Gert Melville, international bekannter Historiker, will künftig weniger Zeit in Dresden verbringen, wo er - noch - eine Forschungsstelle leitet. Aber er hat sich schon neue Ziele gesetzt - wieder einmal weit über Coburg hinaus.
Wo hat Gert Melville eigentlich seinen Lebensmittelpunkt? Familiär gesehen in Coburg, vor allem, seit sein Sohn hier die eigene Physiotherapiepraxis eröffnet hat. Beruflich ist es - noch - Dresden. Oder ist es doch die ganze Welt, zwischen Buenos Aires und Rom, USA, Paris und Japan?
Zumindest ist Gert Melville in den vergangenen 23 Jahren, seit er sich mit seiner Familie in Coburg niederließ, viel um die Welt gereist. Doch ab Februar soll es weniger werden, sagt der Historiker, Professor für Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Leiter eines Instituts für vergleichende Ordensgeschichte, Sprecher der Coburger Historikerkommission, Mitglied im Päpstlichen Komitee für Geschichtswissenschaften (Pontificio Comitato di Scienze Storiche) und ansonsten Mitglied in und Konstrukteur von weltweiten Historiker-Netzwerken.
Zum 1. Februar will er die Leitung seiner Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte (Fovog) abgeben. Das Institut hat er 2005 an der Katholischen Hochschule Eichstätt gegründet und 2010 an die Technische Universität Dresden transferiert, wo er seit 1994 als Professor lehrte. In Eichstätt war er zwischenzeitlich kommissarischer Hochschulleiter, hätte auch Präsident werden können, wollte aber lieber nicht.
Die Forschungsstelle wird an der Uni Dresden weiter bestehen, und einer seiner Schüler wird ihn als Direktor ablösen, wie Melville nicht ohne Stolz erzählt. Er selber wird dann "nur noch alle drei Wochen" nach Dresden fahren und nicht wöchentlich für mehrere Tage.
Noch fünf Jahre forschen
Als Uni-Professor ist er zwar seit knapp zehn Jahren im Ruhestand, aber als Seniorprofessor hat er weitergemacht, befreit von Lehrverpflichtungen, aber immer noch leidenschaftlicher Forscher. An der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ist ein weiteres seiner Forschungsprojekte angesiedelt: "Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle". Es läuft noch fünf Jahre. "Dann bin ich 80 und könnte überlegen, ob ich mich zur Ruhe setze", sagt er etwas kokett.
Als Coburger Bürger und Dresdner Professor hat er die Wiedervereinigung am eigenen Leib und unter den Rädern gespürt: Dauerten die Fahrten nach Dresden mit dem Auto anfangs noch über vier Stunden, sind es jetzt dank ICE-Halt in Coburg weniger als drei Stunden. Das empfindet er als angenehm. Auch in Rom war er vor kurzem mit dem Zug. Er wohnt dort stets im gleichen Gästehaus wie der Papst. "Neulich habe ich ihn am Frühstücksbüffet beinah aus Versehen umgestoßen", erzählt er. "Er stand hinter mir und ich hatte ihn nicht gesehen." Der Papst persönlich am Frühstücksbüfett, das beeindruckt auch einen weitgereisten Historiker wie ihn. Übers Recht ist er an die Geschichte gekommen: Er hätte Jura studieren und in die Rechtsanwaltskanzlei seines Onkels in München eintreten sollen. Doch schon nach dem ersten Semester verfiel er als Besucher einer Ausgrabung dem Geschichtsvirus. Als Hommage an den Onkel wählte der junge Professor 1983 für seine erste Vorlesung das Thema "Die Idee des Rechts im Mittelalter".
Gerade aus der Geschichte der Klöster und Orden lasse sich viele von dem, was noch heute gilt, erklären, sagt Melville, seien es Rechtsnormen oder Kunst. Selbst die Reformation: "Luther erklärt sich für mich aus seinem Mönchsein heraus. Daher hatte er den unmittelbaren Bezug zu Gott und sein Kirchenverständnis. Seine ,Sola‘ resultieren aus dem Mönchtum des 12. Jahrhunderts. Das hat damals eine Theologie des verinnerlichten Glaubens entwickelt."