Opfer haben jetzt auch ein Gesicht

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Kapai Pines (rechts) und Cordula Kappner enthüllten gemeinsam mit Bürgermeister Günther Werner (verdeckt) die Inschrift, die als Metallband um den Denkmalsockel läuft. Fotos: Sabine Weinbeer
Kapai Pines (rechts) und Cordula Kappner enthüllten gemeinsam mit Bürgermeister Günther Werner (verdeckt) die Inschrift, die als Metallband um den Denkmalsockel läuft.  Fotos: Sabine Weinbeer
 
Zahlreiche Gäste fanden sich in der Promenade in Haßfurt ein, wo die neue Inschrift am Mahnmal für die jüdischen Mitbürger enthüllt wurde.
Zahlreiche Gäste fanden sich in der Promenade in Haßfurt ein, wo die neue Inschrift am Mahnmal für die jüdischen Mitbürger enthüllt wurde.
 

Gedenken   Das Mahnmal in der Promenade ziert eine Inschrift mit den Namen der Haßfurter Juden, die im Dritten Reich ihr Leben ließen.

von unserer Mitarbeiterin Sabine Weinbeer

Haßfurt — Hannelore Heimann war 14 Jahre alt, als es ihren Eltern gelang, sie in den letzten Zug zu setzen, der jüdische Kinder aus Deutschland hinaus und damit in Sicherheit brachte. Hannelore Heimann heißt heute Chana Pines. Die Künstlerin schuf das 1988 in der Haßfurter Promenade installierte Mahnmal zum Gedenken an die ehemals jüdische Gemeinde und die so genannte Kristallnacht. Die Haßfurter, die durch das Nazi-Regime ihr Leben verloren, sind jetzt mit Namen am Denkmal verzeichnet. "Mit den Namen erhalten sie auch ein Gesicht", erklärte Bürgermeister Günther Werner (FWG) am Freitag bei der Enthüllung der Inschrift.

Mann und Töchter kamen

Chana Pines konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Enthüllung teilnehmen, ihr Mann Kapai Pines und die Töchter Ori und Niri jedoch reisten an und empfanden die Ergänzung des Kunstwerks ihrer Mutter als wichtigen Beitrag zum Gedenken und als gestalterisch gelungen.
Gedenken bedeute, die Vergangenheit sicht- und greifbar zu machen, gerade für jene, die sie nicht selbst erlebt haben, stellte Bürgermeister Günther Werner fest.
Spätestens jetzt beziehe sich das Denkmal in der Promenade nicht mehr nur auf Millionen anonyme Betroffene, sondern auf konkrete Menschen mit Namen und Gesichtern, Mitbürger, die im Haßfurt der dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts lebten. "Der Holocaust fand auch in unserer Nachbarschaft statt und niemand kann heute sagen, dass man von all dem ja nichts gewusst habe", sagte Werner.
Erlebnisberichte von Haßfurtern, damals meist noch Kinder, steuerte Cordula Kappner bei. Auch bei damals Dreijährigen brannten sich die Erinnerungen an die Vorfälle der Reichspogromnacht unvergesslich ein. Schließlich wurden da Nachbarn aus ihren Häusern geprügelt.
Auch Roswitha Ullrich erinnert sich, als Mädchen die Deportation beobachtet zu haben. Als sie fragte, warum man so mit diesen Menschen umgehe, habe ein anderes Mädchen geantwortet: "Das sind doch nur Juden".

Verschwundene Silberbecher

Auch in die Wohnung der Familie Heimann wurde damals eingebrochen, unter anderem verschwanden zwei Silberbecher. Cordula Kappner, die seit Jahrzehnten jüdische Schicksale im Kreis erforscht, ist sich ziemlich sicher, dass einer der Becher heute in einem Haßfurter Haushalt steht.
Für die jüdischen Gemeinden der Region sprach Rektor i. R. Israel Schwierz aus Würzburg. Gedenken, das sei für Juden eine Mizwah, eine heilige Pflicht. Aus dem Gedenken erwachse für jeden die Verpflichtung zu verantwortungsbewusstem Handeln. Dabei müsse man strikt trennen zwischen Gedenken und Vorwürfen, vor allem gegenüber nachfolgenden Generationen.
Kein Volk der Welt sei vor solchen Entwicklungen wie im Nationalsozialismus sicher, warnte er, und gerade die Vorkommnisse der jüngsten Vergangenheit seien ein Aufruf zu erhöhter Wachsamkeit. Die neue Inschrift im Haßfurter Denkmal verdiene "höchsten Respekt und tiefsten Dank".
Ori Alon erinnerte an die Geschichte ihrer Mutter Hannelore, die als Kleinkind mit ihren Eltern Ida und Salomon Heimann von Bamberg nach Haßfurt zog. Die Großeltern hätten wohl zu spät die Gefahr erkannt, die die Machtergreifung Hitlers bedeutete, so Ori Alon. "Als brave deutsche Bürger glaubten sie an die Demokratie und die Menschlichkeit, hofften auf eine bessere Regierung", erklärte sie.

Ihre Eltern sah sie nie wieder

In der Kristallnacht sei ihr Großvater nach Dachau gebracht worden, wenige Tage später als gebrochener Mann zurückgekehrt. Für eine Flucht der ganzen Familie sei es zu spät gewesen, die Tochter jedoch konnte am 3. Mai 1939 Haßfurt verlassen und Großbritannien erreichen, wo sie von einer Familie aufgenommen wurde. 1947 siedelte sie ins heutige Israel in einen Kibbuz über und lernte ihren Mann kennen. Ihre Eltern sah sie nie wieder. Sie wurden im Konzentrationslager ermordet.
Aus Hannelore Heimann wurde Chana Pines. Sie studierte Kunst und konnte sich erst zu einer Rückkehr nach Haßfurt überwinden, als sie 1986 gebeten wurde, das Mahnmal für die Promenade zu schaffen. Neben ihrem Namen als Künstlerin trägt dieses Mahnmal nun auch die Namen ihrer Eltern auf dem Metallband, das den Denkmalsockel umfasst und das Schicksal von insgesamt 24 jüdischen Haßfurtern aufzeigt.
Die Erosionsschicht auf dem Metall könne auch als Sinnbild für die Wunden des Verlustes gesehen werden, erklärte Burkard Hauck, der für die Umsetzung der Inschrift verantwortlich zeichnete. Auch das Umfeld des Denkmals wurde aufgewertet, ein kleiner Platz gepflastert, der Bewuchs so weit zurückgenommen, dass es wieder von allen Seiten sicht- und erlebbar ist.

Passanten blieben stehen

Die zahlreichen Anwesenden, auch einige zufällige Passanten, die stehen blieben, nutzten nach der Enthüllung durch Bürgermeister Günther Werner, Cordula Kappner und Kapai Pines die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen.