Ohne Technik geht es nicht

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Christina Balemba (links) und Hildegard Kiesel überqueren die Ludwigstraße in Bad Kissingen. Foto: Johannes Schlereth
Christina Balemba (links) und Hildegard Kiesel überqueren die Ludwigstraße in Bad Kissingen.  Foto: Johannes Schlereth

Die 64-Jährige Hildegard Kiesel aus Nüdlingen erblindet schleichend. Im Lauf der Zeit hat sie ihren eigenen Weg gefunden, um mit ihrer Krankheit umzugehen. Für uns hat sie die Innenstadt in Bad Kissingen getestet.

Johannes Schlereth Bei Herbstwetter auf dem Sofa ein Buch lesen? Etwas, das die 64-jährige Hildegard Kiesel seit ihrem 27. Lebensjahr nicht mehr kann. Allerdings nicht, weil sie das Lesens verlernt hat, sondern weil sie an Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (ZSD) erkrankt ist. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich eine Augenkrankheit, bei der zunächst die Zapfen, lichtempfindliche Zellen, die für das Sehen verantwortlich sind, in der Mitte der Netzhaut absterben. Im Krankheitsverlauf breitet sich das Absterben auf die äußeren Bereiche des Auges aus. Hildegard Kiesel erblindet schleichend.

Sehverlust ausgleichen

Weil sie in den Außenbereichen ihres Blickfeldes noch etwas sieht, sind ihre Augen stets in Bewegung. Hinter einer modernen Hornbrille huschen sie von links nach rechts. "Damit gleiche ich aus, dass ich im Zentrum meines Blickfeldes nichts sehe", erklärt sie. Die Krankheit sieht man ihr nicht an. Ihre Augen sind klar. "Viele denken deswegen, dass ich normal sehe und nicht krank bin." Denn ihren Blindenstock hat sie nicht immer dabei. "Die Leute vergessen, dass ich wenig sehe. Viele denken dann: Was ist mit der los? Warum grüßt die mich nicht?" Mittlerweile hat sie ihren eigenen Weg gefunden, um damit umzugehen: "Ich muss es immer wieder sagen: Sprecht mich an, redet mit mir - ich sehe euch ja nicht."

Der Stadtbummel beinhaltet allerdings weitere Hürden, wie das Einkaufen. "Ich hole mir dafür immer einen Verkäufer dazu", sagt Kiesel. Anders löst das ihre Bekannte Christina Balemba, die aus Krefeld nach Bad Kissingen gezogen ist. "Salopp gesagt: Um den Rotkohl von Kirschen unterscheiden zu können, nehme ich eine Lupe." Die trägt sie am Hals. Eine klobige Leselupe ist das nicht. Die fein gefasste nur wenige Zentimeter große Linse erinnert an ein Schmuckstück. Die 70-Jährige sieht auf ihrem besseren Auge noch 20 Prozent. "Das geht wunderbar mit einem Hilfsmittel", meint sie. Sie leidet an einer Makula-Degeneration, einer Netzhauterkrankung. Sie gilt rechtlich gesehen damit als stark sehbehindert. Aber selbst der Weg zum Einkaufen ist nicht einfach. "Radfahrer auf den Straßen sind immer etwas kritisch", sagt Kiesel. "Mountainbikes haben grobstollige Reifen - die hört man besser als normale Räder." Trotzdem: "Ich muss mit all meinen anderen Sinnen konzentriert dabei sein, um das Problem mit dem Sehen auszugleichen." Gefährlich ist das etwa an Fußgängerüberwegen. "Es gibt in Bad Kissingen nicht überall Ampeln mit einem Akustiksignal." Ein Hilfsmittel ist dabei der Ampelpilot. "Das ist eine App für das Handy, die mir sagt, ob die Ampel rot oder grün ist."

Technik hilft

Überhaupt sei die moderne Technik eine große Hilfe: "Mein Smartphone unterstützt mich mit Voice-Over", sagt die Nüdlingerin. Das Telefon liest dabei beispielsweise eingehende Nachrichten vor. Durch eine Sprachsteuerung ist es Hildegard Kiesel möglich, ihre Nachricht an das Handy zu übermitteln, so dass aus dem Gesprochenen erst Wörter und schließlich Sätze werden. Selbst beim Essen gehen hilft die Technik. "Die Speisekarte lässt sich abfotografieren, und eine App erkennt dann die Gerichte und liest sie mir vor."

Bei der Orientierung in der Stadt hilft entweder das Smartphone mit einem Navigationsprogramm in Verbindung mit dem Taststock - oder aber die Bodenbeschaffenheit. Auf dem Gehsteig an der Kreuzung der Ludwig- und Theresienstraße sind mehrere Pflasterstreifen eingelassen, an denen sie mit dem Taststock erfühlt, dass der Gehweg hier eine Kurve macht.

Irritierend für auswärtige Sehbehinderte und Blinde ist dagegen der Eingang in die Fußgängerzone bei der unteren Marktstraße. Dort gibt es einen Wechsel im Bodenbelag. "Gerade war es noch Pflaster, jetzt ist es Teer - und weiter in der Ludwigstraße ist es wieder Pflaster." In der Stadt wird es nicht besser. Wieder und wieder bleibt die Stockspitze an Unebenheiten hängen. Aber - nicht überall sind Unebenheiten gleich ein Hindernis. Manche sind nämlich sogar gewollt. "Es gibt an mancher Bushaltestelle die Platten mit den Rillen. Da weiß ich genau wo ich zum Busfahren stehen muss. Das ist eine große Hilfe." In der ganzen Stadt könne man ein solches Leitsystem laut ihr allerdings nicht realisieren. "Es geht einfach nicht überall", meint die Nüdlingerin. Ihr Fazit: Für Auswärtige gibt es in der Bad Kissinger Innenstadt etwas Verbesserungsbedarf.

Das Leben mit einer solchen Krankheit sei nicht einfach, "aber lösbar". "Es gibt Schlimmeres im Leben, zum Beispiel Krankheiten, für die es keine Hilfsmittel gibt", meint Kiesel. Halt bieten vor allem die Blindenstammtische. "Jammern gibt es bei uns nicht, stattdessen geben wir uns gegenseitig Tipps zu neuen Hilfsmitteln."