Oft blieb nur das Waisenhaus

4 Min
 
 

Vor 100 Jahren war die Not in Forchheim und Umgebung groß. Hinzu kam, dass viele auch junge Leute aus der Region im Ersten Weltkrieg ihr Leben lassen mussten.

Vor 100 Jahren lieferten sich Deutschland und Frankreich eine blutige Materialschlacht um Verdun. In der Heimat wurde am 30. April der Weiße Sonntag gefeiert. "Für viele Kinder ist dieser Sonntag ein hoher und bedeutungsvoller Tag", schrieb der Wiesent-Bote mit Verweis auf Kommunion und Konfirmation. Aber so "manches Kind ... hat der Ernst des Lebens schon angefaßt, bevor es noch in dieses hinaustritt, da es den Vater oder den älteren Bruder im Kampfe für das Vaterland verloren hat, die ihm im Lebenskampf schützend hätten zur Seite stehen sollen".
In den Todesanzeigen der Ebermannstädter und der zwei Forchheimer Tageszeitungen trauerten wiederholt Ehefrauen um den "unvergeßlichen Gatten und treubesorgten Vater". Meist hieß es dann in den Lokalnachrichten: "Der Gefallene hinterläßt eine Witwe, welcher allgemeine Anteilnahme entgegengebracht wird."


Zuschuss auch in Naturalien

Vor allem in Forchheim brachte der Ausfall des Ernährers viele Familien in eine Notlage. Sie erhielten für die zum Heeresdienst eingezogenen Väter nach dem "Reichsunterstützungsgesetz" je nach Bedürftigkeit einen Unterhaltszuschuss. Er belief sich für die Ehefrau "im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober" auf mindestens "monatlich 9 Mk, in den übrigen Monaten 12 Mk" und "für jedes Kind unter 15 Jahren auf 6 Mk", konnte aber durch Sachleistungen wie Brot, Kartoffeln oder Brennmaterial gemindert werden.
Die Stadt entschied nach eigenem Ermessen über die Gesuche, hatte aber die Unterstützung vorzufinanzieren. Weil der städtische Haushalt nicht in der Lage war, die entsprechenden Mittel aufzubringen, musste der Magistrat bereits 1916 einen Kredit in Höhe von 130 000 Reichsmark aufnehmen.
In Forchheim zahlte die Stadt ab dem 31. August 1914 im halbmonatlichen Abstand den Zuschuss aus. Da er aber bei Weitem nicht für den Lebensunterhalt ausreichte, waren die Frauen auf zusätzliche Leistungen angewiesen. Die Ortsgruppe des "Verbandes der Fabrikarbeiter Deutschlands" und auch der "Konsumverein für Forchheim und Umgebung" unterstützten die Familien ihrer zum Heeresdienst eingezogenen Mitglieder mit Geldzahlungen. Trotzdem reichte das vielfach nicht aus. Deswegen häuften sich in den Kriegsjahren die Anträge, Kinder aus finanzieller Not ins städtische Waisenhaus aufzunehmen. Darüber musste in jedem Fall der Magistrat entscheiden. So heißt es im Protokoll der Sitzung vom 19.07.1917: "Die Tageslöhnersehefrau Margaretha Willner hat im städt. Waisenhaus ihr Kind Johann Willner gegen Zahlung eines Verpflegungskostensatzes von 2,50 M pro Woche untergebracht. Dieselbe ist jedoch nicht in der Lage wegen ihres geringen Verdienstes weder diesen noch einen geringeren Kostenbeitrag zu entrichten und mussten bereits früher größere Verpflegungskostenbeiträge nachgelassen werden. Es wurde beschlossen, angesichts dieser Verhältnisse das Kind derselben unentgeltlich im Waisenhaus bis auf weiteres zu belassen."
Oder zwei Wochen später: "5 Kinder des im Felde stehenden Maurers Johann Rösch, Vogelstr. 24 wurden auf Ansuchen der Ehefrau des Genannten im städt. Waisenhaus untergebracht und will letztere als Pensionsbeitrag die den Kindern gewährte Reichsunterstützung dem Waisenhaus überlassen." Im Sommer 1917 kam es zu Engpässen in der Versorgung mit Leder. Deswegen empfahl das bayerische Kultusministerium, "das noch zur Verfügung stehende Lederschuhwerk für die schlechtere Jahreszeit, namentlich für den Winter zu schonen. Es kann daher nur begrüßt werden, wenn die Schüler und Schülerinnen zur jetzigen warmen Jahreszeit in und außer der Schule barfuß gehen oder nur Sandalen tragen." Offensichtlich fehlte es den Arbeiterfamilien in Forchheim überhaupt an Geld für den Kauf von Schuhen; denn im Oktober 1917 bestellte der Magistrat bei einer Nürnberger Firma "165 Paar Schuhe für unbemittelte Schulkinder. Die Stadt wird die Kosten hiefür einstweilen vorschießen", heißt es in der Sitzungsniederschrift. "Ersatz soll der Stadt aus zu sammelnden freiwilligen Spenden geleistet werden."
Aber nicht nur das! Viele Familien hatten beim Ausfall eines Verdienstes auch Probleme bei der Zahlung der Miete. Im Frühjahr 1917 stellten 319 Familien Antrag auf "Mietunterstützung". Der Magistrat gewährte in 285 Fällen einen Zuschuss und stellte dafür 1310 Mark zur Verfügung.
Drastischer als die materielle Notlage war für einzelnen Familien die Nachricht vom Tod gefallener Angehöriger. Besonders hart traf es in Forchheim sieben Kinder, als sie ihren Vater verloren. "Der Landwehrmann Matthäus Löhr aus Forchheim ist am 27. Juni auf dem Felde der Ehre gefallen", meldete 1915 das Forchheimer Tagblatt. "Er hinterläßt 6 im hiesigen Waisenhaus untergebrachte Kinder und eine 16jährige Tochter." Auch Baptist Puff, der Besitzer der Heroldsmühle, wurde vom Schicksal schwer geprüft. Von seinen vier zum Heer eingezogenen Söhnen kehrte nur ein einziger aus dem Krieg zurück. Seinen drei gefallenen Söhne widmete er eine steinerne Gedenktafel. Sie hing über viele Jahrzehnte an der Hausfassade nicht weit entfernt vom großen Mühlrad.


Gefallen beim siegreichen Sturm

Gleich zu Beginn des Kriegs beklagte der Heiligenstädter Pfarrer Heinrich Daum den Tod seines erstgeborenen Sohns Friedrich Wilhelm, der im Alter von 17 Jahren am 3. November 1914 "bei einem siegreichen Sturm auf die feindlichen Stellungen den Tod für das teure Vaterland als Kriegsfreiwilliger erduldet hatte", wies es in seiner Todesanzeige hieß. Trotz dieses herben Schicksalsschlags hat Daum bis zum Ende des Kriegs eifrig für die Zeichnung von Kriegsanleihen geworben.
In Muggendorf verlor Pfarrer Johann Bickel im August 1917 seinen "geliebtesten einzigen Sohn". Der 23-jährige Theologiestudent fiel in Flandern "nach fast dreijährigem, in treuester Pflichterfüllung geleistetem Heeres- und Kriegsdienst".
Nicht allen hat der Glaube über den Tod geliebter Menschen so geholfen wie den beiden evangelischen Pfarrern. In Egloffstein erhängte sich eine 65-jährige Witwe, weil sie "sich den Verlust eines Sohnes im Kriege sehr zu Herzen" nahm. Und Kuni Bayerlein aus Breitenbach war nicht die Einzige, die ihrem Mann am Jahrestag seines Todes öffentlich gedachte: "Ein Jahr ist's her, daß Du Dein junges Leben mußtest lassen ..."
Anrührend war der Fall des 21-jährigen Schäfers Georg Hutzler aus Nankendorf. Der "geistig etwas minderwertige Angeklagte" wurde 1915 vom Kriegsgericht Bayreuth wegen "4 militärischer Vergehen der unerlaubten Entfernung zu 3 Monaten 15 Tagen Gefängnis" verurteilt, weil er "angeblich vor lauter Heimweh und Sehnsucht nach seiner in Nankendorf im Armenhaus lebenden Mutter, jedenfalls aber auch aus Furcht vor dem Ausmarsch ins Feindesland" seine Truppe in Bayreuth verlassen hatte. "Da er erklärte, sich freiwillig ins Feld zu melden, wurde ihm Strafaufschub gewährt."
Schwer mitgenommen wurde auch die Familie des Ebermannstädter Bezirksarztes Ludwig Mayr. Sie war 1910 aus München zugezogen und hatte sich schnell integriert. Die Eltern widmeten sich mehr als üblich der Versorgung der Kriegsverletzten im örtlichen Militärlazarett. Alle ihre drei Söhne wurden eingezogen, der jüngste - Richard - fiel im November 1916 an der Westfront, der zweite - Theodor - wurde verwundet und starb 1919 in Ebermannstadt.