Nur 30 Prozent der berufschulpflichtigen Flüchtlinge sollen deutschlandweit Zugang zu Schulunterricht haben. Im Landkreis Forchheim dagegen sind es 100 Prozent. Diese vorbildliche Quote ist nicht zuletzt dem Engagement von Elisabeth Bräunig, der Leiterin des Forchheimer beruflichen Schulzentrums, und ihrem Team zu verdanken.
Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die selbst beruflich mit Asylbewerbern und Migranten zu tun haben, besuchten das Berufliche Schulzentrum jetzt zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Bräunig sieht die Situation mit viel Empathie und zugleich einem nüchternen Blick auf die demografischen Veränderungen in Deutschland.


Ergreifende Schicksale

Ihr gehen die menschlichen Schicksale nahe und sie ist von der Motivation der allermeisten, sich in die westliche Kultur einzufinden, überzeugt.
"Unsere Flüchtlinge sind jung, männlich und arbeitswillig", stellte sie ihren Ausführungen zur Entwicklung der Schulsituation voran. Am 20. März 2015 wurde die erste Klasse für Flüchtlinge in Forchheim eingerichtet: für damals 16 junge Männer unter 18 Jahre, die als unbegleitete Minderjährige vom Jugendamt im Don-Bosco-Heim untergebracht waren. "Wir hatten keinen Lehrplan, keine Handreichung, wie wir das Problem der mangelnden Deutschkenntnisse angehen sollten", erinnert sich Bräunig. Ferner gab es auch keine Lehrer mit der Ausbildung Deutsch als Fremdsprache.
So wurde im Herbst 2015 das erste Berufsintegrationsjahr gestartet. Mit dabei waren auch begleitete junge Leute unter 18. Es wurden drei Klassen zu je 20 Schülern gebildet. Im Halbjahr kam eine vierte dazu. Damit platzte die Schule aus allen Nähten und bis zum Weggang der Abschlussklassen im Mai wurde in Schichten unterrichtet. Derzeit sind es 120 Vollzeitschüler in sechs Klassen und 15 besuchen Regelklassen.
Es werden junge Leute bis 21 (deutsche Berufschulpflicht) beschult und freiwillig etliche bis 25. Nach einem "selbst gestrickten" (Bräunig) Deutsch-Einstufungstest im Sitzungssaal des Landratsamts wurden die Klassen nach den Sprechkenntnissen differenziert gebildet. In einer Klasse ist auch ein junger Mann, der einem dem Abitur gleichen Schulabschluss hat und schon einige Semester Arabistik studiert hat. Er muss das sogenannten B2-Sprachlevel erreichen, dann darf er weiter die Universität besuchen.


Mit Engagement dabei

"Verloren" hat Bräunig eine Schülerin. Sie hat bereits das nötige Sprachniveau geschafft und studiert nun in Erlangen. Eine Klasse von den sechs ist aus Menschen gebildet, die Analphabeten oder Nahezu-Analphabeten sind oder waren. Gerade sie sind begeistert dabei, die lateinische Schrift zu erlernen.
Bräunig gibt zu bedenken, dass der Schulbesuch manchem selbst in der jeweiligen Heimat verwehrt war und andere lange Jahre auf der Flucht waren. Auch auf der Flucht kann von Beschulung meist keine Rede sein. Eine ganz wichtige Aufgabe der Beschulung sieht Bräunig darin, den jungen Leuten zu helfen, "sich an Regeln anzupassen, die sie auch wegen der Fluchtdauer gar nicht kennen. Das bedeutet für die Schulleiterin und ihre Kollegen, immer wieder zu hinterfragen, ob ein angesprochener Bereich für "unsere Kultur" wichtig ist.
Ihr Beispiel: Sie stellte ein Kollegen, der bei der Eheschließung den Namen seiner Frau angenommen hat, als besonders emanzipiert vor. Dabei stellte es sich heraus, dass den Flüchtlingen unser fast bis heute patriarchalisch geprägtes Namensrecht unbekannt ist.
Oder das viel zitierte Problem der verschleierten Frauen. Zwei besuchen mit ihrem Schwager die Forchheimer Schule. Er hatte Bedenken wegen des Sportunterrichts. Die Frauen gaben ihm Kontra: "Wir machen Sport, damit wir kräftig werden und schön bleiben. Und du musst mehr Deutsch lernen, damit du nicht dumm bleibst." Überhaupt die Lernmotivation. Bräunig beschreibt sie durchgängig als hoch. Frontalunterricht und keine Ablenkung wird von den meisten hochgeschätzt. "Unsere Schüler sind sehr dankbar für sinnvolle Bildung." Ein Glücksfall für die Forchheimer Schule ist ein Lehrer, ein Ingenieur im Ruhestand, mit arabischen Wurzeln. Das Forchheimer Schulprojekt ist inzwischen auf zwei Jahre angelegt. Das zweite Jahr ist für die älteren Schüler freiwillig.


"Keine Übergriffe"

Bräunig geht deshalb ab Herbst von acht Vollzeitklassen aus. Um diesen Schüleranstieg zu verkraften, werden die Container vom Umbau des Ebermannstadter Gymnasiums nach Forchheim transportiert. "Dann sind die Flüchtlingsklassen so viele wie eine kleine Grundschule", macht Bräunig deutlich.
Gleichbehandlung aller Schüler ist ihr oberster Grundsatz. So schritt sie auch ein, als ein Schüler einem anderen vorwarf, er befolge die Regeln des Ramadans nicht. Das dürfe er in Deutschland, auch das sei Religionsfreiheit. "Übergriffe gab es keine", betont sie ausdrücklich.
Ein Großteil der Flüchtlinge orientiere sich durchaus an westlichen Standards: "Sie suchen nach Informationen, wie sie sich anpassen können."