"Europa fällt auf die Knie"

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Der Lyriker Daniel Falb erhielt den Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums. Fotos: Matthias Hoch
Der Lyriker Daniel Falb erhielt den Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums.  Fotos: Matthias Hoch
Hasnain Kazim
Hasnain Kazim
 
Selma Wels
Selma Wels
 
Sascha Feuchert
Sascha Feuchert
 

Beim Treffen des PEN-Zentrums Deutschland war die türkische Repressionspolitik ein großes Thema.

Rudolf Görtler

Eine zufällige Koinzidenz, und dennoch passte das Thema der Podiumsdiskussion im E.T.A.-Hoffmann-Theater am Donnerstagabend zur politischen Debatte der vergangenen Tage genau.
Ein Punkt nur beim Eröffnungsabend der Jahrestagung des PEN-Zentrums Deutschland, doch einer, der - nach Grußworten von Kultus-Staatssekretär Bernd Sibler und OB Starke sowie der Eröffnungsrede des deutschen PEN-Präsidenten Josef Haslinger - die Intentionen der 1924 gegründeten Schriftstellervereinigung schön demonstrierte. Denn neben der Vertretung der ökonomischen Interessen der schreibenden Zunft hat sich der PEN ("Poets, Essayists, Novelists") insbesondere den Einsatz für bedrohte und verfolgte Berufskollegen vorgenommen - und zwar weltweit.
Und mit der Freiheit des Worts steht es nicht zum Besten, beileibe nicht. 800 Fälle umfasst die "Case List", die traurige Auflistung verfolgter, bedrohter oder gar ermordeter Autoren, die Harro Zimmermann erwähnte. Er leitete eine Diskussion über Meinungsfreiheit in der Türkei: "Die Geschichte des Schreibens ist gleichzeitig die der Unterdrückung." Dieses Zitat stammt von Can Dündar. Er steht zurzeit zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül vor Gericht. Beide haben für die Zeitung "Cumhuriyet" über türkische Waffenlieferungen an den "Islamischen Staat" berichtet: die türkische Version eines Abgrunds an Landesverrat.
Die zunehmende Repression im Land Erdogans spürte auch der "Spiegel"-Korrespondent Hasnain Kazim. Ihm wurde die Berichterstattung über ein Bergwerksunglück im Jahr 2014 zur Last gelegt: 10 000 Drohungen per Mail, die Akkreditierung ist ihm entzogen worden. Eine schleichende Entwicklung zum Schlechteren, so Kazim, die auch die Verlegerin Selma Wels bestätigte. In ihrem Berliner binooki-Verlag erscheint junge türkische Literatur. Seit den Protesten auf dem Gezi-Platz 2013 leiden ihre Autoren unter "konkreten politischen Zensurmaßnahmen".


1900 Beleidigungs-Anzeigen

Was Sascha Feuchert nicht wundert. Für den PEN-Beauftragten für das Programm "Writers in Prison" nimmt die Türkei in der Skala der problematischen Länder Platz 1 ein. Mehr als 1900 Anzeigen wegen Präsidentenbeleidigung seien erstattet worden, 40 "Main Cases" von inhaftierten oder von Haft bedrohten Autoren lägen vor. Was Zimmermann zu der Frage provozierte, ob Erdogan, "dieser grässliche Despot", denn machen könne, was er wolle. Die lapidare Antwort Kazims: "Er macht es einfach." Noch schlimmer: Die türkische Opposition sei schwach, "und Europa fällt auf die Knie". Der Grund sei klar: Es benötige die Türkei als Grenzposten in der Flüchtlingspolitik. Eine Entwicklung, die nicht von heute auf morgen gekommen sei. Die ökonomischen Erfolge Erdogans seien einem Großteil der Bevölkerung wichtiger als Meinungs- und Pressefreiheit.
Dass das PEN-Zentrum nicht nur theoretisch über Repressalien reflektiert, denen Autoren in aller Welt unterliegen, zeigt das Programm "Writers in Exile". Das hat Konjunktur, sagte Franziska Sperr, die es für den PEN betreut. Was naturgemäß signalisiere, welch miserable Zeiten für Menschenrechte herrschten. In der Tat waren die Biografien und Berichte von Autoren wie Erik Arellana Bautista aus Kolumbien oder Yamen Hussein aus Syrien deprimierend. Sieben Stipendiaten stellte Sperr vor, die unterstützt werden vom Staatsministerium für Kultur und Medien und betreut von PEN-Mitgliedern.
So ist es dem chinesischen Blogger Liu Dejun möglich, weiterhin zu schreiben. Er hatte Wanderarbeiter über ihre Rechte aufgeklärt und war deswegen im - kommunistischen! - China verfolgt worden, so wie der Vietnamese Bui Thanh Hieu wegen seiner Satiren mehrmals inhaftiert war oder der christlich-orthodoxe Syrer Fouad Yazji, der nun einen Roman mit dem Arbeitsitel "Liebe in Zeiten des Horrors" plant.
Erfreulicher war der Abend, als Daniel Falb mit dem Kurt-Sigel-Lyrikpreis des PEN-Zentrums Deutschland ausgezeichnet wurde. Ihm bescheinigte die Laudatorin Dorothea von Törne "unpathetische, spannende Diskurse, überraschende Sprachbilder". Der Preisträger bedankte sich mit Kostproben aus seinem Gedichtzyklus "CEK". Ein künstlerischer Lichtblick an einem Abend, der sich viel mit unkünstlerischen Widrigkeiten beschäftigte.