Ein Wunsch bleibt: nie wieder Krieg

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Rosa Thron Foto: Veronika Schadeck
Rosa Thron Foto: Veronika Schadeck
Ferdinand Bozdech Foto: Veronika Schadeck
Ferdinand Bozdech Foto: Veronika Schadeck
 
Rosa Thron (rechts) im Kreise ihrer Familie. Fotos: privat
Rosa Thron (rechts) im Kreise ihrer Familie. Fotos: privat
 
Ferdinand Bozdech mit Sohn Rudolf im Jahre 1960
Ferdinand Bozdech mit Sohn Rudolf im Jahre 1960
 

Rosa Thron und Ferdinand Bozdech leben schon seit über 100 Jahren. Beide haben vieles erlebt und schlechte Zeiten kennen gelernt.

Veronika Schadeck Wie feiern 100-jährige Mitbürger Weihnachten? Und welche Wünsche haben sie? Für Ferdinand Bozdech und Rosa Thron spielt zumindest der Kommerz keine Rolle mehr. Ihre Wünsche zum Weihnachtsfest hören sich bescheiden an, sie sind jedoch von unschätzbarem Wert. Während sich Rosa Thron, die vor wenigen Tagen ihren 102. Geburtstag feierte, Gesundheit wünscht, möchte Ferdinand Bozdech, der im April 102. Jahre alt, noch die "Vereinigten Staaten von Europa" erleben: "Das ist mein Traum."

Beide Senioren gehören der gleichen Generation an. Beide haben Kriege und Entbehrungen erlebt. Beide blicken zwar auf unterschiedliche Biografien zurück, aber sie haben einen gemeinsamen Wunsch: "Nie wieder Krieg."

Franz Bozdech sitzt im Aufenthaltsraum des ASB-Seniorenheims in Marktrodach. Er ist freundlich, seine Augen leuchten. Trotz seines Alters von knapp 102 Jahren ist sein Blick voller Neugierde. Er könne mit tschechisch, ungarisch, slowakisch, russisch und deutsch fünf Sprachen, erklärt er voller Stolz. Immer wieder wechselt er schließlich von deutsch in seine tschechischen Muttersprache.

Geboren wurde Franz Bozdech im April 1918 im mährischen Olmütz. Bis zu seinem achten Lebensjahr lebte er in Leipnik/Nordmähren in der Nähe der damaligen deutschen Sprachgrenze. Seinen Vater, einen österreichischen Zollbeamten hat er nie kennen gelernt. Der Vater kam im Jahr 1917 bei einem Angriff auf den Hafen von Porto Rose in Istrien ums Leben. In den 1920er und 1930er Jahren wuchs Franz Bozdech nach der Hochzeit seiner Mutter mit seinem Stiefvater mit weiteren fünf Geschwistern in der südlichen Slowakei nahe der Stadt Lucenec auf.

Beliebter Christbaumschmuck

Die Erinnerungen an Weihnachten während dieser Zeit halten sich bei Ferdinand Bozdech in Grenzen. Nur selten gab es weiße Weihnachten, erklärt er. Seine Familie sei arm gewesen. Dementsprechend gab es auch kaum Geschenke. Er wisse aber noch, wie er mit seiner Mutter mit dem Schlitten in den Wald zog und sie von dort ihren Weihnachtsbaum nach Hause holten. Sein Stiefvater hatte dann eine sogenannte "Kollektion", das sind Schokoladenfiguren in Form von Zapfen, Glaskugeln, Weihnachtsmännern, gekauft. Diese waren in einer bunt bedruckten Stanniolfolie eingewickelt und hatten Aufhänger. "Das war damals ein sehr beliebter Christbaumschmuck." Der Senior kann sich noch erinnern, wie er den Baum zusammen mit seiner Mutter schmückte. Richtig geärgert habe er sich, als seine Schwestern vor Heiligabend die "Kollektion" wegschnappten. "Für mich war nichts Süßes mehr da."

Die schönsten Weihnachtsfeste gab es für Ferdinand Bozdech erst, als er seine Frau Lieselotte Anfang der 1950er Jahre im einst sudetendeutschen Asch heiratete und sie ein Haus in Neuberg im Westen der damaligen Tschecheslowakei kauften. Von da an wurde Weihnachten sehr nach der Tradition seiner angeheirateten Familie gefeiert. Der Weihnachtsbaum wurde aus dem nahen Wald geholt. Gekocht wurde mit "Neunerlei", das unter anderem traditionelle Weihnachtsessen, das aus zwei verschiedenen Sorten Fleisch und Topfenknödeln, bestand. Bozdech erinnert sich auch noch an den Ausführungen seines Schwiegervaters, wie dieser noch in jüngeren Jahren in der Heiligen Nacht an einer Wegkreuzung die Zukunft des kommenden Jahres gesehen hatte. "Das war damals fester Volksglaube."

Es gibt einen Herren in meiner Nähe, der 102 Jahre alt wird?, fragt Rosa Thron erstaunt. Erst vor wenigen Tagen feierte sie dieses seltene Wiegenfest. "Sogar der Söder hat mir einen schönen Schal geschickt", freut sie sich über das Geschenk des Ministerpräsidenten. Bei der Frage, wie das denn so war mit Weihnachten früher, denkt die alte Dame kurz nach. Sie zeigt alte Fotos, eines davon mit ihrer Mutter, Schwiegermutter und ihrer kleinen Tochter Gisela vor dem geschmückten Christbaum. Weihnachten gab es natürlich auch damals einen Baum, der mit Kugeln und Lametta geschmückt wurde. Und natürlich wurden auch früher Plätzchen und Stollen gebacken. Zudem gab es immer einen besonderen Braten und Gemüse. Alle Lebensmittel seien aus der Region gekommen: "Es war das, was die Menschen anbauten", betont Rosa Thron. Viel gehäkelt, gestickt und gestrickt habe sie. Diese Fähigkeiten habe sie in der Haushaltsschule in Aachen vermittelt bekommen. Und natürlich ging man in die Christmette und hörte sich die Geschichte von Jesu Geburt an.

Weihnachten war und ist auch eine Zeit, in der bei Rosa Thron auch Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann Franz wach werden. Nur zwei gemeinsame Ehejahre waren beiden gegönnt. Die meiste Zeit davon war ihr Ehemann im Krieg. In den Nachkriegsjahren habe sie nicht so viel an Weihnachten und damit verbundene Vorbereitungen gedacht, vielmehr beherrschten die Sorge um ihre Tochter und um ihre gemeinsame Existenz das Denken. Neben dem Ehemann von Rosa Thron blieben auch ihr Vater und Schwiegervater im Krieg. Der Krieg sei nicht nur für sie, sondern für die meisten Menschen mit Trauer, Verlusten und vielen Entbehrungen verbunden gewesen. Nicht zuletzt deshalb spielen für Rosa Thron Geschenke zu Weihnachten keine Rolle. Vielmehr stehe neben der Gesundheit der Wunsch, dass die Friedenszeiten Bestand haben möchten, im Mittelpunkt.

Vereinigte Staaten von Europa

Und was hat es nun mit dem Weihnachtswunsch von Ferdinand Bozdech von den "Vereinigte Staaten von Europa" auf sich? Hier kommt die Politik ins Gespräch, die Gründung der Tschechoslowakei und deren Zerfall, der Anschluss des Sudetenlandes ans Deutsche Reich, die Unabhängigkeit der Slowakei, die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, der Anschluss im Jahre 1945 an den neu gegründeten tschechoslowakischen Staatsverbandes, die Machtübernahme der Kommunisten im Jahre 1948, die Reformzeit des Prager Frühlings und die Niederschlagung des Prager Aufstands. All diese Geschehnisse waren für Ferdinand Bozdech immer wieder mit Familientrennungen, Umsiedlungen, Ausweisungen und Entbehrungen verbunden. Die letzte Aussiedlung war im September 1969 nach Deutschland. "Die heutige Jugend kann sich so etwas nicht mehr vorstellen", sagt er. Und sie sollen es auch nicht erleben, hofft er. Deshalb der Wunsch nach den "Vereinigten Staaten von Europa". Es soll ein Europa werden, in dem Frieden herrscht und sich alle Menschen frei bewegen können. Und so meint der Senior mit einem Schmunzeln: "Weihnachten eignet sich doch am besten dafür, um solche Wünsche zu äußern - oder nicht?