Sucht 40 Jahre Suchtkrankenhilfe der Caritas im Landkreis Haßberge: Drei Sozialpädagogen kümmern sich um die Menschen, die Drogen - ganz egal ob legale oder illegale - wie eine Tablette bei Kopfweh einnehmen.
von unserem Redaktionsmitglied Sarah Dann
Landkreis Haßberge — Ein Zeichen von Schwäche. Das war einmal. Als die Caritas-Suchtberatung 1974 in Haßfurt öffnete, galten Alkoholiker nicht als krank, sondern als charakterschwach. Menschen, die Drogen nahmen, waren meist als Kriminelle angesehen, mindestens aber als haltlose, von bösen Dealern verführte Menschen. Medikamentenabhängige waren angepasst und fielen meist in der Öffentlichkeit nicht auf. Sucht war und ist es teilweise heute noch: ein Tabuthema. So könnte die Bilanz von 40 Jahren Suchtberatung in Kürze ausfallen.
Genuss, Konsum, Missbrauch... "Bin ich süchtig?" - eine Frage, die in der Gesellschaft wohl immer noch zu selten gestellt wird.
Wer merkt auf, wenn im Freundeskreis immer wieder über den Durst getrunken wird? Wenn Leonore vom Hofe abends im Freundeskreis zusammensitzt, kann sie schon mal eine "Spaßbremse" sein. "Das reicht schon, wenn ich einfach nur gucke", sagt sie. Sie ist Sozialpädagogin und arbeitet seit vielen Jahren in der Suchtberatungsstelle im zweiten Stockwerk der Caritas Haßberge.
Wie es sich anfühlt, wenn man dem Alkoholrausch verfallen ist, hat sie selbst bis sie 17 Jahre alt war, erlebt. Auch Günter Feiler, Kollege und Leiter der Beratungsstelle, hatte als junger Mann die eine oder andere berauschende Nacht. Wenn überhaupt, dann trinken beide bewusst Alkohol. Das Leben hat sie gelehrt und in ihrem Berufsalltag erfahren sie, was es bedeutet, wenn Alkohol oder auch andere legale wie illegale Drogen missbräuchlich konsumiert werden - bis hin zur Abhängigkeit.
Morgens aufwachen, der Schädel dröhnt, eigentlich will man sofort Zähne putzen, aber irgendwie ist einem schlecht und überhaupt... Was ist eigentlich letzte Nacht passiert?
Trinken bis zum Vergessen Was von einem Rausch übrig bleibt, sind Nebenwirkungen. Trinken bis zum Vergessen - "dem einen macht das Angst, der andere sucht genau diesen Zustand", sagt Feiler. Katja Leonhardt, Leonore vom Hofe und Günter Feiler leisten im Landkreis Haßberge "Feuerwehrarbeit". Gelöscht werden sollen Süchte. Mit Worten, mit Zuhören, mit verschiedenen Therapieansätzen. Das mit dem Verständnis war nicht immer so.
Bis in die späten 70er Jahre setzte man zum großen Teil auf Aufklärung durch Abschreckung.
In den Schulen wurden Broschüren über die Gefahren des Drogenkonsums verteilt, im Biologieunterricht Filme über die gesundheitlichen Konsequenzen des Rauchens gezeigt. Polizeibeamte kamen mit einem "Drogenkoffer" in die Klassen und zeigten, wie verschiedene psychotrope Substanzen aussahen.
Erst in den 80er-Jahren habe eine Welle der objektiven Wissensvermittlung begonnen. "Es ging erstmals auch darum, sich selbst besser wahrzunehmen und mögliche Gefahren des Konsums zu erkennen", sagt Feiler. "Wenn Alkohol wie ein Medikament benutzt wird, wenn ich mir von dem Glas Wein etwas erwarte", sagt vom Hofe, dann könne nicht mehr von einer Trinkgewohnheit die Rede sein. Ob, oder wie schnell ein Konsument süchtig ist, "hängt auch vom sozialen Umfeld ab", sagt Feiler.
"Den reinen Alkoholiker gibt es gar nicht mehr."
Wehret den Anfängen "Neue" Süchte kamen zu den damals "klassischen" (Alkohol, Medikamente, Drogen) hinzu. Nicht nur die Suchtbilder, auch das System habe sich verändert. Von 40 Jahren Suchtberatung ist Feiler 33 dabei. Klaus Diedering, Sozialarbeiter und ehemaliger Geschäftsführer des Caritasverbandes Haßberge, beobachtete in den 70er-Jahren, wie viele Menschen durch regelmäßigen Alkoholkonsum versuchten, ihre Lebenssituation erträglicher zu gestalten. Mit Hilfe persönlicher Kontakte zu Politikern gelang es ihm, nicht nur auf die Not dieser Menschen hinzuweisen, sondern ein konkretes Hilfsangebot aufzubauen. Mitte der 70er war die Haßfurter Beratungsstelle eine der ersten staatlich geförderten Stellen, die sich Suchtkranken annahm.
Einer der größten Wendepunkte in der Suchtkrankenhilfe war 1978 das Urteil des Bundessozialgerichts: "...Alkoholismus ist eine Erkrankung, die einer Behandlung bedarf...". Damit wurde geregelt, wann die Kranken- und wann die Rentenversicherung für die Therapie aufkommen musste.
In diese Zeit fiel auch die Bestandsaufnahme der einzelnen Suchtberatungsstellen in ganz Unterfranken. Anlass waren die alarmierenden Zahlen von Drogenabhängigen. Man ging in der Region Main Rhön von 800 bis 1000 Drogenabhängigen (meist Heroinkonsumenten) aus. Unabhängig von vielen politischen Veränderungen, massiven Einsparungen durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz und - bedingt dadurch - auch einer Verkürzung der stationären Behandlungen, erweiterte sich das Angebot der Suchtberatungsstelle weiter.
Keine Lobby für Suchtkranke Doch: "Es gibt keine Lobby für Suchtkranke", sagt Katja Leonhardt. "Für was setze ich mich als Politiker ein, für Kinder oder für Suchtkranke....?" Und anders herum: "Der Staat macht ein Riesengeschäft mit Zigaretten und Alkohol", sagt vom Hofe - "was der bei Lotto oder Casinos abkassiert". Den drei - beziehungsweise zweieinhalb - Pädagogen bleibt im Alltagsgeschäft wenig Zeit für "Werbung in eigener Sache". "Wir leben von Mund-zu-Mund-Propaganda", sagt vom Hofe. Und wenn die Mitarbeiter dann mal mit einem Stand beim Stadtfest sind, laufen die meisten rasch dran vorbei. "Es trauen sich die wenigsten, sich zu informieren ..." - Doch "irgendwie müssen wir einen Vertrauensvorschuss aufgebaut haben", sagt vom Hofe. Und für die nächsten 40 Jahre? "Die Nachfrage wird nicht weniger werden", dafür könne das Geld ein bisschen mehr werden - doch vor allem solle das Thema in der Gesellschaft weniger tabuisiert werden.