Porträt Heute Abend ist es wieder soweit. Stockfinster wird es sein. Allein die Kerzen am Christbaum werden flackern. Die Finger von Kirchenmusiker Wolfgang Schneider drücken die Tasten der Orgel und ein weihnachtlicher Hit wird erschallen: "Stille Nacht! Heilige Nacht!"
von unserer Mitarbeiterin Johanna Eckert
Ebern — "Der Siegeszug dieses Liedes ist phänomenal. Höchst bemerkenswert", sagt Dekanatsmusiker Wolfgang Schneider bei einer Tasse Tee. In seinem Ohr dudeln nicht Bach, Mozart oder Beethoven. Keine Symphonien, keine großen Arien. Sondern: "Stille Nacht! Heilige Nacht!" Ganz einfache Harmonien von ganz einfachen Männern.
Zu Heiligabend im Jahr 1818 haben der Organist Franz Xaver Gruber und der Hilfspfarrer Joseph Mohr in der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg das Weihnachtslied zum ersten Mal gespielt. Dass dieses Lied die ganze Welt eroberern sollte, konnte damals niemand ahnen.
"Vielleicht ist es auch der Text", überlegt Schneider, "der das Lied so bekannt gemacht hat." Sehnsüchte sind es, die die Worte ausdrücken. Und Frieden. Joseph Mohr habe diese bereits 1816 als Gedicht verfasst. Ursprünglich widmete er der Weihnachtsgeschichte sechs Strophen.
In der heute gebräuchlichen Fassung werden nicht mehr als drei gesungen. "Der Text erschließt sich in seiner Gesamtheit, man müsste da eigentlich schon alle sechs Strophen singen", meint Schneider.
Erlebt hat das der Musiker schon einmal. In seiner früheren Gemeinde in München verlangte der Pfarrer das Lied in der Originalfassung. Es erklangen zwei Solostimmen, begleitet von Chor und Gitarre. "Das war eine aufwendige Sache. Kirchenmusik läuft ja auch nicht einfach so", kann sich Schneider an jene Christmette erinnern. Der Organist konnte aber erkennen, welchen zentralen Stellenwert dieses Lied hat.
Von "immateriellem Kulturerbe" und "Inbegriff des Weihnachtsbrauchtums" ist die Rede, wenn es um "Stille Nacht! Heilige Nacht!" geht. Die Menschen verbinden Emotionen mit dieser Melodie, die nicht einfach so wegzuschieben seien. Auch Schneider ganz persönlich.
"Auf der ersten Sprachaufnahme, die ich von mir als Kind habe, singe ich diese Lied", erzählt Schneider aus seinem Leben, "es muss wohl eines der ersten Lieder gewesen sein, das man mir beigebracht hatte." Obwohl der Tonumfang recht groß und das Lied damit überhaupt nicht so einfach ist.
Besuche vor Ort Recht vergilbt sind die Bilder im Fotoalbum des 45-Jährigen. Aber Schneider erkennt sich noch, wie er den Christbaum mit diesem Weihnachtslied regelrecht "angesungen" hatte. Bis er anfing, zu studieren. Schneider verkehrte dann in "intellektuelleren Kreisen", mit Professoren und Topmusikern. "Da galt das Lied als sentimental und kitschig", entsinnt er sich. Abneigung diesem Lied gegenüber ist dadurch jedoch nicht erstanden. Im Gegenteil. Schneider hat im Voralpenland die Schauplätze des Liedes, die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf besucht. Anfang des 20.
Jahrhunderts wurde sie an die Stelle der St.-Nikola-Kirche gebaut und ist heute eine beliebte Touristenattraktion.
Etwa so turbulent, wie es an dieser Kapelle zugeht, sind die Weihnachtsfeiertage für Schneider. Es ist seine Aufgabe, anderen ein "entspanntes Fest" zu bieten. "Zehn Meter tief in die Sofakissen fallen", steht bei ihm nicht auf dem Tagesplan, und auch keine "himmlische Ruh'". Ein Termin jagt den anderen. Seit Wochen probt er mit dem Laurentiuschor eine Mozartmesse für den Festgottesdienst am ersten Weihnachtsfeiertag - in der Messe um 10 Uhr wird in der Stadtpfarrkirche St. Laurentius in Ebern die Missa brevis in C, KV 259, von Wolfgang Amadeus Mozart zu hören sein. Schneider gestaltet den Gottesdienst gemeinsam mit dem Laurentiuschor und bekannten Solisten.
Wenn Schneider Ruhe genießt, dann tankt seine Seele auf. Er treibt sich im Grünen herum und philosophiert über die Wunder der Natur.
"Scheinbar fühlen sich manche Menschen in der Ruhe unwohl", stellt Wolfgang Schneider mit Blick auf die ganze Hektik und den Drang nach Kommunikation fest.
So wie er braucht es auch seine Musik: Nur wenn Ruhe im Hintergrund herrscht, fühlt er sich wohl. "Sonst können die Töne überhaupt nicht richtig geformt und erfasst werden", meint der Dekanatsmusiker. Auch heute in der Christmette, wenn er in der Kirche oben an der Orgel sitzen wird, genießt Wolfgang Schneider die Minuten der Ruhe vor dem Gottesdienst, um sich zu sammeln. Nur so kann er "Stille Nacht! Heilige Nacht!" mit Respekt und Ehrfurcht spielen.