Neustadt und Sonneberg schmieden an einer interkommunalen Allianz. Schon vor über 60 Jahren hatten sich die Stadtväter über die Zonengrenze hinweg getroffen und auf eine Wiederbelebung der gemeinsamen Entwicklung gehofft.
Wenn sich am Montag Stadtratsmitglieder aus Neustadt im Gesellschaftshaus Sonneberg mit ihren Kollegen aus der Nachbarstadt treffen, steht nur ein Punkt auf der Tagesordnung für die gemeinsame Sitzung: "Zustimmungs- und Billigungsbeschluss für das Integrierte ländliche, regionale, länderübergreifende Entwicklungskonzept (ILREK) für die interkommunale Allianz
der Städte Neustadt b. Coburg und Sonneberg." Ein Akt, der etwas hat von der Erfüllung eines uralten Traumes.
Es gab schon früher Treffen und gegenseitige Besuche von Ratsmitgliedern beider Städte. Viel früher. 1955, so berichtet es Helmut Scheuerich in seinem Buch "Geschichte der Stadt Neustadt im 20. Jahrhundert", besuchte Sonnebergs damaliger Bürgermeister Braun mit einer Delegation Neustadt. Er brachte den Nachbarn ein Fotoalbum mit, in dem der Aufbau Sonnebergs seit 1945 dokumentiert wurde. In der Widmung zu dem Band heißt es unter anderem: "Das deutsche Volk will in Ruhe und Frieden sich ein neues demokratisches Vaterland aufbauen. Noch nie standen die Worte ,Deutsche an einen Tisch' in einer solchen Verantwortung vor uns wie heute. Sie stellen uns die große Aufgabe, das nationale Gespräch noch mehr zu entfachen." Am Ende zitiert er Schiller: "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr." Eine Zeichnung, die dem Band beigefügt wurde, zeigt das Sonneberger Reiterlein, wie es über den Schlagbaum nach Neustadt springt.
Neustadts Oberbürgermeister Ernst Bergmann kam 1959 zum Gegenbesuch nach Sonneberg. Auch diese Delegation kam nicht mit leeren Händen. Neustadt hatte ebenfalls seinen Wiederaufbau in einem Bildband dokumentiert. Im Vorwort von Ernst Bergmann heißt es: "Die Gefahr ist groß, dass sich die Bewohner des gemeinsamen Landschafts und Bevölkerungsgebietes diesseits und jenseits des Stacheldrahtzaunes auseinanderleben.(...) Aber dass wir den Umweg über Fotografien wählen müssen, um uns gegenseitig zu zeigen, wie es hüben und drüben aussieht, das ist es, was uns wehmütig stimmt. Hätten wir da nicht eine gemeinsame Aufgabe?"
Wenigstens Hönbach
Bergmann äußert die Hoffnung, dass die gemeinsamen Besuche ein wenig dazu beitragen könnten, die Zonengrenze abzubauen "oder doch wenigstens - gleichsam als einen ersten Schritt hierzu - den Zonengrenzübergang bei Hönbach wieder zu öffnen." Er konnte nicht ahnen, wie lange es dauern würde, dass dieser Traum in Erfüllung gehen und der Schlagbaum an der "Gebrannten Brücke" wieder abgebaut würde.
Wie bei den Treffen zuvor, ging es auch bei einer Zusammenkunft im Oktober 1960 in Neustadt um Abwasserfragen - sprich die Notwendigkeit einer Kläranlage auf Sonneberger Seite und eine Umgehungsstraße für die beiden Städte. Im Bahnhofshotel betonte Ernst Bergmann: "Wir sind durch die Landschaft genauso verbunden, wie durch die Entwicklung der Spielwarenindustrie." Sein Amtskollege, inzwischen Bürgermeister Bunzel, sagte: "Wir freuen uns, dass die Beziehungen zwischen Neustadt und Sonneberg bisher so erhalten geblieben sind, trotz der Grenzziehung. Wir werden uns bemühen, diese Beziehungen weiter zu vertiefen." Im Juni des folgenden Jahres 1961 sagt Walter Ulbricht als Staats- und Parteichef der DDR: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Wenige Wochen später wurde in Berlin Stein auf Stein gesetzt und innerhalb kürzester Zeit trennte ein kaum noch überwindbare Grenze die beiden deutschen Staaten. Die Hoffnung der beiden Städte auf eine enge Zusammenarbeit rückt in weite Ferne. Von "oben" wird nicht nur den Stadtvätern im Osten deutlich gemacht, dass Bemühungen über die Grenze hinweg nicht erwünscht sind. 1989 fällt die innerdeutsche Grenze. Die DDR-Regierung scheitert an ihrem eigenen Volk, das ihr die Macht abspricht, es weiterhin im eigenen Land einzusperren.
Mit Grenze nicht abgefunden
Schon 1955 schreibt Sonnebergs Bürgermeister Braun: "Ich glaube mit Ihnen einer Meinung zu sein, dass die Beseitigung der Zonengrenze nicht nur das Schicksal unserer Nation entscheidet, sondern darüber hinaus die Entwicklung unserer beiden Städte ungemein günstig beeinflussen würde." Viele Jahrzehnte später sind sich Neustadts Oberbürgermeister Frank Rebhan und Sonnebergs Bürgermeister Heiko Voigt wieder einig, dass eine gemeinsame Entwicklung für die beiden Städte große Vorteile bringt. Stacheldraht und Mauern gibt es nicht mehr. Eine Grenze trennt die beiden Städte noch immer. Es ist eine Landesgrenze zwischen zwei bundesdeutschen Freistaaten. Das selbst diese Grenze noch immer bürokratische Hürden aufweist, die gar nicht so einfach zu überwinden sind, das mussten die beiden Stadtoberhäupter bereits oft genug feststellen, wenn sie über die Grenze hinweg zusammenarbeiten wollten. Dennoch ist schon viel gelungen und das ILREK, dessen Billigung nun auf der Tagesordnung steht, ist einer der Schritte in Richtung einer immer engeren Kooperation, die von beiden Städten unternommen werden, seit ihre Bemühungen scheiterten, als "gemeinsames grenzüberschreitendes Oberzentrum" anerkannt zu werden.