Historie Heute gilt Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Deutschen mehrheitlich als Held und Vorbild. Bis weit in die 1950er-Jahre hinein verachteten ihn viele dagegen noch als Verräter. Unmittelbar nach dem gescheiterten Tyrannenmord vor 70 Jahren versuchten die Nationalsozialisten im Landkreis, mit Stauffenberg den gesamten Adel zu vernichten.
von unserem Mitarbeiter Manfred Franze
Kreis Forchheim — Am 20. Juli werden es 70 Jahre, seit Claus Schenk Graf von Stauffenberg versucht hat, Adolf Hitler durch ein Attentat zu beseitigen und damit Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. Seinen Widerstand und den seiner Mitverschwörer ehren die Deutschen seit 1963 mit der Beflaggung unserer öffentlichen Gebäude. Der Einsatz für Recht und Freiheit, den die Attentäter an den Tag legten, wird heuer in den Ansprachen, Gedenkfeiern und auch mit dem öffentlichen Gelöbnis junger Soldaten gewürdigt.
Den Ruf, den Stauffenberg und die anderen Attentäter genießen, war allerdings nicht mehr derart gut. Im Gegenteil. In der frühen Bundesrepublik wirkte noch die Nazipropaganda Goebbels' nach. Ihm war es gelungen, zehn Monate vor Kriegsende den gescheiterten Umsturzversuch als eine Tat von "Vaterlandsverrätern" darzustellen, die ihren Treueeid auf den Führer gebrochen hatten. Als ich von Mitte der 50er-Jahre bis Anfang der 60er-Jahre das Forchheimer Gymnasium besuchte, erfuhren wir kaum etwas vom Dritten Reich. Kritisches über Militär oder Wehrmacht zu äußern, war nicht gerade opportun.
Völkische Erziehung Mein Referat über Wolfgang Borchert, der in seinem Heimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" den traumatisierten Soldaten Beckmann kritisch nach der Verantwortung für die vielen Toten fragen lässt, weckte bei meinem Lehrer, der als Offizier im Krieg selbst schwer verwundet worden war, mehr Vorbehalte als Zustimmung.
Im Studium entdeckte ich dann später die Doktorarbeit, die einer meiner Sportlehrer 1941 an der Universität Erlangen verfasst hatte. Der Titel lautete "Von der liberalen zur nationalsozialistischen, völkischen Leibeserziehung unter besonderer Berücksichtigung der N.S.-Kampfspiele". In der Adenauer-Zeit wurde die "Operation Walküre", mit der die Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine zivilen Mitverschwörer den verbrecherischen Krieg beenden und den Rechtsstaat wiederherstellen wollten, noch zurückhaltend bewertet.
Irgendwie schwang noch etwas von der Stimmung mit, über die unmittelbar nach dem Attentat auch bei uns in der Fränkischen Schweiz die Polizei berichtete. "Der Anschlag auf den Führer wurde allgemein verurteilt", heißt es in einer Meldung der Gendarmerie-Station Waischenfeld vom 25. Juli 1944, "und man hört immer wieder, daß, falls der Anschlag geglückt wäre, nur wieder ein 1918 geschaffen worden wäre." Und aus Königsfeld vermerkte der örtliche Polizist, dass "ein großer Teil der Bevölkerung" wegen des "Mordanschlags auf den Führer" sogar der Meinung sei, dass "der Adelsstand völlig ausgerottet gehört, die Schlösser und die Wälder dem Staat enteignet und die Grundstücke an kleine Bauern und Landwirte aufgeteilt" werden müssten.
Ins KZ Ravensbrück Konkret richtete sich die Empörung gegen die Stauffenberg-Linie auf Schloss Greifenstein bei Heiligenstadt und seinem Besitzer, den Oberstleutnant a.D. Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, den Onkel des Attentäters.
Bereits am Tag nach dem Attentat besetzte die Nürnberger Gestapo die Burg und nahm den Grafen zusammen mit seinem Schlossverwalter Karl Geiger in Schutzhaft. Allerdings war die Stimmung von den Nazis gezielt aufgeheizt worden.
14 Tage später drohte der SS-Reichsführer Heinrich Himmler unter dem Beifall der eigens nach Posen einbestellten Gauleiter an: "Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied." Tatsächlich wurde Stauffenbergs schwangere Frau Nina zunächst ins KZ Ravensbrück und ihre vier Kinder in ein Heim nach Bad Sachsa gebracht. Sie erhielten anderen Namen und sollten später zur Adoption freigegeben werden.
Heiligenstadt erlebte am 25. Juli 1944 eine von der NSDAP organisierte Massendemonstration. Ein völlig überfüllter Sonderzug transportierte Parteigenossen aus Nürnberg, Bamberg und Forchheim zu der auf 20 Uhr festgesetzten Veranstaltung. Der am Ort ansässige NSDAP-Kreisleiter Karl Schmidt begrüßte bei der Eröffnung rund 2000 Teilnehmer und Parteigrößen wie den SS-Brigadeführer Ludwig Eschold aus Bayreuth und SS-Standartenführer Prof. Hans Brand aus Pottenstein.
Ein Hakenkreuz auf Greifenstein "Gauleiter Wächtler", so berichtete Gendarmerieführer Heinrich Meyer, "rechnete bei dieser Veranstaltung mit den Drahtziehern des verbrecherischen Anschlags auf den Führer unter stürmischer Zustimmung der Volksgenossen ab. Im Verlauf dieser Kundgebung wurde auf der Burg Greifenstein erstmals die Hakenkreuzfahne ge-hißt."
Trotz "schärfster Ablehnung" der Tat - so Meyer - hielten sich die Einheimischen zurück und ließen sich nicht zu "spontanen Gewaltakten" verleiten. Das aber war ursprünglich die Absicht einiger Nazis. Mit einem Fackelzug wollten sie nach der Kundgebung zum Schloss ziehen, es in Besitz der Partei nehmen oder - wie der "Frankenführer" Julius Streicher forderte - es ganz "abfackeln".
Verhindert hat das der Nürnberger Polizeipräsident und SS-Obergruppenführer Benno Martin. Er ließ das Schloss beschlagnahmen und bis Kriegsende von einem SS-Rechtsanwalt verwalten. Martin bewirkte auch, dass der 84 Jahre alte Berthold Schenk Graf von Stauffenberg aus dem Gefängnis in Würzburg entlassen und in ein Krankenhaus überwiesen wurde, wo er am 9. November 1944 starb. Zuvor hatte sich bereits sein Verwalter Karl Geiger im Erlanger Gefängnis das Leben genommen. Im Jahr 1968 änderte sich mit der Aufnahme des Rechts auf Widerstand in das Grundgesetz (Artikel 20 Absatz 4) auch die Bewertung der Attentäter um Stauffenberg. Seitdem "haben alle Deutschen das Recht", sich aktiv zur Verteidigung von Recht und Freiheit zur Wehr zu setzen, "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".
In der Debatte um die Einführung dieses Artikels wurde immer wieder auf das Beispiel Stauffenbergs verwiesen, der mit seiner Tat Zeuge eines "anderen Deutschlands" war und gezeigt habe, dass es Deutsche gab, die sich den nationalsozialistischen Verbrechen widersetzten.
Historische Persönlichkeit Das nahm 1979 die städtische Realschule in Bamberg zum Anlass, sich in "Graf-Stauffenberg-Realschule" umzubenennen. "Mit der Namensgebung sollte eine historische Persönlichkeit geehrt werden", heißt es auf ihrer Homepage, "die bis zum Jahr 1936 einen Teil ihres Lebens in der Stadt Bamberg verbracht hatte und die vor allem eine herausragende Rolle im Widerstand gegen Hitler übernommen hatte. Die Menschenrechte als Grundlage unserer Demokratie fordern nicht nur Wachsamkeit und Einsatz von der älteren Generation, sondern bedürfen gerade auch des Engagements der Jugend. Dies soll den Schülern durch das Vorbild unseres Namensgebers vor Augen geführt werden."
Treueid auf Hitler Zutreffend betont die Schule auch, dass der Namensgeber "keineswegs von Anfang an ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus" war. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 hatte er sich gegen Hindenburg und für Hitler ausgesprochen, weil er in ihm jemanden sah, der Deutschland wieder zur nationalen Größe und Einheit führen würde.
Für die Weimarer Republik zeigte er ebenso wenig Verständnis wie für die parlamentarische Demokratie. Zentrale Werte waren für Stauffenberg der aufopfernde Dienst für das Vaterland, verantwortliches Handeln im Spiegel des Gewissens und die Vision von einem Neuen Reich, wie sie im Freundeskreis um den Dichter Stefan George gepflegt worden war.
Spät erst, im Kriegsjahr 1942, entschied er sich angesichts der katastrophalen militärischen Situation, dem systematischen Judenmord und der brutalen deutschen Besatzungspolitik zum Widerstand gegen Hitler. Dass er dabei den Treueid brechen musste, den er dem Führer geleistet hatte, bereitete ihm große Gewissensnot.
Diese "Wandlung vom Saulus zum Paulus" habe sich als "grob gezeichnetes Bild von Stauffenberg ins kollektive Gedächtnis eingeprägt", schreibt Rainer Lewandoski im Vorwort zum Programmheft seines Schauspiels "Stauffenberg", das er im Frühjahr dieses Jahres im E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg aufgeführt hat. Gerade aber der Umstand, dass sein Lebensweg nicht geradlinig in den Widerstand geführt hat, macht Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu jener mutigen "historischen Persönlichkeit", die längst unverzichtbar geworden ist für das kollektive Geschichtsbild unseres Landes.