Verzehr Wiederkehrende Berichte über verstrahltes Schwarzwild machen es Jagdpächter Michael Ament immer schwerer, seine Wildsauen zu verkaufen. Dabei gebe es eine einfache Lösung, im Kampf gegen den Pauschalverdacht.
von unserem Redaktionsmitglied Anja Greiner
Landkreis Lichtenfels — An der Zimmerwand gleich neben den Orchideen hängen drei Hirschgeweihe, rechts davon baumeln Füchse vom Treppengeländer im ersten Stock. Der ausgestopfte Fasan sieht dem Bären an der gegenüberliegenden Wand aufs schwarze Fell und in der Mitte all dessen sitzt Dieter Erbse an einem runden Holztisch in seinem Esszimmer. Vor ihm ist eine kleine Messstation aufgebaut.
Erbse ist 67 Jahre alt, er war bis vor kurzem Vorsitzender der Kreisgruppe Bad Staffelstein des Bayerischen Jagdverbandes (BJV), und wenn man ihn auf Berichte über strahlenbelastetes Schwarzwild anspricht, lächelt er, lehnt sich im Stuhl zurück und sagt: "Da gibt es nur eine Lösung, das Fleisch messen lassen."
Eine Ausnahme sei es gewesen, sagt Erbse, als 2010 bei einer Jagd bei Langheim neun von den elf geschossenen Tieren einen erhöhten Strahlenwert aufwiesen.
Dennoch habe der Jagdverband daraufhin beschlossen, eine Messstation zu installieren. Einfach um sicherzugehen.
Seitdem stehen Jäger in regelmäßigen Abständen bei Dieter Erbse in Ebensfeld vor der Tür. In der Hand halten sie Beutel mit 500 Gramm Muskelfleisch des erlegten Wildschweins.
Erbse häckselt dann das Fleisch klein, legt es in den Messbehälter und drückt auf Start. Gemessen wird das radioaktive Isotop Cäsium 137. Der Grenzwert liegt bei 600 Becquerel. 270 Messungen hat er bis heute durchgeführt, sechs Mal lag der Wert über 600 Becquerel.
"Das ist eigentlich nicht viel", sagt Erbse. Und eine Verunsicherung seitens der Konsumenten sei völlig unbegründet. Die meisten Proben hätten Werte zwischen 20 und 60. Außerdem unterliege der Jäger dem Produkthaftungsgesetz.
"Wer verstrahltes Fleisch in den Handel bringt, macht sich strafbar", sagt Erbse.
Der Gau in Tschernobyl Cäsium 137 ist ein künstliches radioaktives Isotop, es entsteht bei der Kernspaltung. Als am 26 April 1986 der Reaktorblock 4 in Tschernobyl explodiert, gelangt das Isotop mit anderen Spaltprodukten zunächst durch Hitze und Aufwind in höhere Luftschichten und anschließend mit Winden nach Europa. Als die radioaktive Wolke am 29./30. April in Bayern ankommt, regnet es in einigen Teilen des Landes heftig. In der Folge gelangte das Cäsium 137 dort in tiefere Bodenschichten, wo es Pflanzen und Pilze aufnehmen.
Anders als Rotwild oder auch Hasen, wühlen Wildschweine tief im Boden nach Nahrung. Vor allem, um an Hirschtrüffel und Maronenröhrlinge zu gelangen. Diese Pilze reichern strahlendes Cäsium 137 stärker an als andere.
Und aufgrund seiner vergleichsweise langen Halbwertzeit von 30 Jahren, ist Cäsium 137 auch heute in den betroffenen Gebieten noch gut nachzuweisen.
Zu den belasteten Gebieten gehören laut Aussagen des Bayerischen Jagdverbandes das Voralpenland, Teile Schwabens und der Bayerische Wald. Franken ist von den kontaminierten Niederschlägen weitgehend verschont geblieben.
Michael Ament steht auf seinem Jagdgrundstück oberhalb von Tiefenroth. Hinter den Bäumen im Westen liegt Vierzehnheiligen, im Süden Kloster Banz. Ein schönes Gebiet, sagt Ament und setzt sich auf eine Holzbank am Beginn des Waldes. Der 44-Jährige ist Vorsitzender des BJV Lichtenfels. Vor sieben Jahren hat er mit der Jagd begonnen, ein Ausgleich zum Alltag als Justizvollzugsbeamter. Jagen, sagt er, ist seine Passion.
Insgesamt 800 Hektar ist Aments Jagdgebiet groß. Die Pacht beträgt 5,50 Euro pro Hektar.
Ein relativ hoher Mietpreis, aber der Landkreis sei begehrt, die Reviere schön und gut strukturiert. Früher, sagt Ament, hat der Wildverkauf die Kosten gedeckt.
Mittlerweile sei der Markt gesättigt, mit der Grenzöffnung gelange immer mehr Schwarzwild in die heimischen Wälder. Hinzu komme eine sinkende Nachfrage, die Gesellschaft habe sich verändert. Berichte über strahlenbelastetes Schwarzwild machten die Situation nicht besser, sagt Ament. "Viele Reviere müssen tief in die Tasche greifen."
Grundsätzlich gilt die Auflage von den Bayerischen Staatsforsten, jedes geschossene Wildschwein untersuchen zu lassen. Aufgrund der geringen Belastung im Kreis Lichtenfels schreibt das hiesige Veterinäramt nur stichprobenartige Kontrollen vor. Da jedoch keine Gastwirtschaft ein Tier ohne Messprotokoll nehme, müsse er am Ende doch jede Sau testen lassen, sagt Ament.
Das Wildschwein auf der Karte 7,50 Euro kostet eine Messung. Ament schießt bis zu 20 Wildschweine im Jahr. Im gesamten Landkreis werden rund 800 Sauen jährlich erlegt. Irgendwie werde er das Fleisch am Ende immer los, manchmal müsse man eben kreativ sein, da komme das Wildschwein auch mal in die Wurst. "Es wäre der Supergau, wenn wir darauf sitzen bleiben würden", sagt Ament. Dann wäre die Jagd nur noch Schädlingsbekämpfung.
Im Gegensatz zu Michael Ament hat Wolfgang Jakob einen Vorteil. Der Kreisjagdberater ist Besitzer der Gaststätte Karolinenhöhe in Trieb und sein eigener Abnehmer. 30 Tiere schießt er im Jahr. Wild sei sehr beliebt bei den Gästen. Vor allem Reh. Beim Schwarzwild, sagt er, schwanke der Absatz regelmäßig.
Auf einen Bericht in der Presse über die mögliche Strahlenbelastung von Wildschweinen folgen meist Abbestellungen von Wildessen.
"Ich kann das verstehen, ich würde auch kein Fleisch essen wollen, das belastet ist", sagt Jakob. Aber man müsse differenzieren, wenn von strahlenbelasteten Tieren in Bayern die Rede ist, betreffe das immer nur bestimmte Regionen. Franken gehöre nicht dazu.
Wenn es noch schlimmer werde, sagt Jakob, werde er auch eine Kopie der Messprotokolle in die Speisekarte legen.