Normalerweise hätten wir vergangene Woche über die Abschluss-Sitzung des Stadtrats berichtet.Aber wegen Corona gab es keine Abschluss-Sitzung. Kein Rückblick, kein Fazit, kein Abschied. Heute Nachmitt...
Normalerweise hätten wir vergangene Woche über die Abschluss-Sitzung des Stadtrats berichtet.Aber wegen Corona gab es keine Abschluss-Sitzung. Kein Rückblick, kein Fazit, kein Abschied. Heute Nachmittag wird der neue Stadtrat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen.
Letzte Gelegenheit also, auf die abgelaufene Wahlperiode zurückzublicken. Der SPD widerfuhr 2015, was acht Jahren zuvor der CSU widerfahren war: Es gab eine Abspaltung, diesmal nicht verursacht durch einen politischen Zwist (bei der CSU ging es seinerzeit um den Umgang mit dem Neuen Innenstadtkonzept, wer erinnert sich?), sondern durch einen persönlichen. Ein Mitglied der SPD-Fraktion hatte einen Strafbefehl erhalten, die Art des Delikts erschien drei Mitgliedern unentschuldbar. Sie taten sich mit dem Linken René Hähnlein zu "Sozial und bürgernah für Coburg" zusammen. Dieses Bündnis ist noch vor Ende der Wahlperiode zerbrochen, weil ein Mitglied starb und Barbara Kammerscheid zur CSU wechselte. Sie hat sozusagen einmal die Runde um den Rathaussaal gedreht - als Mitglied der SPD-Fraktion saß sie erst links vorne, dann links hinten (vom OB aus gesehen), bei der CSU dann rechts.
Auch manches Thema drehte seine Runden im Stadtrat, allen voran die Frage nach einer Interimsspielstätte fürs Landestheater. Der Beschluss, einen Behelfsbau am Anger zu errichten, schien zum Greifen nah, als das Globe doch noch seinen Durchbruch feierte. Auf Schlossplatz und Anger war es noch zu teuer, auf dem Güterbahnhofsareal kostet es zwar genauso viel, aber die Wirtschaft will es ja. Deshalb musste auch der Rahmenplan Güterbahnhof umgearbeitet werden. Den ehemaligen Schlachthof entwickelt die Stadt nun selbst für die Hochschule, am ehemaligen DSZ ermöglichte sie ein ehrgeiziges Investitionsprojekt gegen den Protest der Nachbarn. Hauptsache, vom DSZ bleibt keine Ruine stehen. Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt. Zumindest ist versprochen, dass es weitergeht.
Erfolgreicher liefen da schon die Projekte "Milchhofareal" und "Bahnhof", letzterer freilich auch nach dem Motto "drei vor, zwei zurück". Dass Norbert Tessmers Haupthaar in seinen sechs Jahren als OB von grau zu fast weiß wechselte, könnte mit dem Bahnhof, den dortigen Parkplätzen, dem teuren Abbau von Strommasten und etlichen Gesprächen mit Bahnvertretern zu tun haben. Immerhin fährt jetzt der ICE. Ein bisschen weißes Haupthaar könnte auch Regiomed verursacht haben. Die Gesellschafter glaubten lieber den Erfolgsmitteilungen des ehemaligen Hauptgeschäftsführers, anstatt ein bisschen genauer hinzugucken, Tessmer war da keine Ausnahme.
Und dann die Sache mit der elektronischen Abstimmung: Sie funktionierte meist erst auf den zweiten Anlauf, war umständlich und wurde irgendwann stillschweigend wieder eingestellt, weil das System nicht mehr funktionierte.
Dominik Sauerteig als neuer OB kann sich schon mal Gedanken machen, wie die elektronische Abstimmung mit einem Streaming der Stadtratssitzungen ins Internet gekoppelt werden kann. Er hat versprochen, es möglich zu machen, trotz juristischer Bedenken. Schauen wir mal, ob der politische Wille obsiegt.
Doch das dürfte im Moment eins der kleineren Probleme sein. Ab heute steht Dominik Sauerteig voll in der Verantwortung, denn noch gilt der Krisenfall. Das bedeutet: Krisenstabssitzungen, tägliche Telefonkonferenzen mit der Regierung von Oberfranken, den Oberbürgermeistern und Landräten, Entscheidungen treffen. Eine Einarbeitungsphase bleibt nicht.Die letzten Wochen konnte er noch Norbert Tessmer begleiten, im Schnellkurs, sozusagen.
Ja, es wurden kurz vor Schluss die Weichen gestellt.
Zwar ist die Besetzung des Baureferats mit einem berufsmäßigen Stadtrat überfällig, wurde doch diese Stelle regelmäßig mit gescheiterten OB-Kandidaten besetzt, die nicht immer ausreichend qualifiziert waren.
Warum aber die „alte Garde“ dem neuen Stadtrat diese Entscheidung vorwegnehmen will, ist nicht auf Anhieb nachvollziehbar. Ebenso wie die Festlegung hinsichtlich der Posten des 2. und 3. Bürgermeisters. Hierfür besteht auch überhaupt kein Bedürfnis.
Irritiert frage ich mich auch, warum die Position des 2. Bgm. mit einem Ehrenamt durch einen CSU-Stadtrat besetzt werden soll, während der (numerisch nachrangige) 3. hauptamtlich und damit höherrangig tätig werden soll.
Bei näherer Betrachtung wird aber klar: CSU und SPD treffen Verabredungen, vertrauen einander aber nicht: Da der Stadtrat zunächst den 2. Bgm. wählt, will die CSU mit der Beanspruchung dieses Posten die SPD zwingen, ihren Kandidaten zu wählen. Wählt die SPD-Fraktion den CSU-Stadtrat nicht mit, hat auch der SPD-Kandidat für das Amt des 3. Bgm. keine Chance. So einfach ist das.
Mit diesem unwürdigen Postenschacher entwertet man aber auch die an sich über Fraktions- und Parteigrenzen hinaus anerkannt gute Leistung von Thomas Nowak. Er hätte es verdient, unparteiisch von allen Mitgliedern des Stadtrates zum 2. Bgm. gewählt zu werden.
Ein Mehrwert für unsere Stadt ist nicht erkennbar!
Im Gegenteil: Bisher hatten wir drei hauptamtliche Bürgermeister zu besolden.
Zwar soll einer dieser Posten entfallen, dafür wird künftig ein berufsmäßiger Stadtrat bezahlt werden müssen. Hinzu kommt der sog. Ehrensold für den ehrenamtlichen Bürgermeister. Unterm Strich entstehen also Mehrausgaben für die Stadt, nur um einem CSU-Stadtrat einem CSU-Stadtrat einen Posten zu verschaffen.
Fazit: Machterhalt und Postenschacher sind wichtiger als das Wohl unserer Stadt. Die Chance für einen Neuanfang wurde vertan. Der Bürger wendet sich mit Grausen.
Wolfgang Simon, Coburg