Angeklagtem kommt Zeit zugute

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Noch immer beschäftigen die Vorfälle auf der Hirschaider Kirchweih 2017 das Amtsgericht. Ein 23-Jähriger wird freigesprochen.

Diesmal ging es vor dem Amtsgericht nicht um die Sexualstraftaten syrischer und irakischer Geflüchteter an jenem Freitag im September 2017, sondern um die Gewalttaten ausländerfeindlicher Deutscher bei der Kerwa tags darauf. Dem 23-jährigen Angeklagten aus dem Landkreis Bamberg kam dabei die Zeit zu Hilfe. Er wurde freigesprochen.

Es gibt ein wackeliges Amateur-Video, das ein Kerwa-Besucher mit dem Smartphone aufgenommen hat. Auf ihm sieht man, wie ein Mann einen Maßkrug nach einem jungen Syrer wirft. Das Geschoss trifft sein Ziel. Es dauert Sekunden, und der heute 20-jährige Syrer liegt bewusstlos am Boden. Es ist nicht das erste Gefäß, das an diesem Abend gegen seinen Kopf geschleudert wurde. Eine Flasche und ein Glas haben bereits blutige Spuren hinterlassen.

Noch heute kann man die Narben am Hinterkopf deutlich erkennen. Eine Schädelprellung und mehrere Platzwunden stellen die Klinikärzte später fest. Dabei hatte der Syrer mit einem Faustschlag das ganze Getümmel erst verursacht. Eine Gruppe unbekannter Deutscher eilt dann vom Kanal aus heran. "Scheiß Ausländer!" ist zu hören. Die Situation eskaliert.

Leider ist die Bildqualität der Aufnahme nicht besonders, fast alle vor Ort hatten dem Alkohol maßlos zugesprochen, die Lichtverhältnisse um kurz vor 23 Uhr tun ein Übriges. Jedenfalls kann man den Täter nicht zweifelsfrei identifizieren. Nur eine Zeugin gibt es, die den Maßkrug-Werfer aus nächster Nähe gesehen hat. Als die Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes zur Hilfe eilt. Vor Strafrichter Florian Kratzer kann sich die Security-Frau dann aber nur noch schwer erinnern. Zu viele Ereignisse sind an diesem Wochenende auf die 35-Jährige eingeprasselt. "Ich habe selber etwas abbekommen, einen Schlag in die Rippen."

Das Opfer der Attacke selbst erkannte den Angeklagten nicht wieder. Die anderen beiden Angreifer waren vermummt. Auch ein Landsmann, der in der Massenschlägerei ebenfalls von den Beinen geholt wird, kann den Täter nicht identifizieren. Er sei an dem Tattag gar nicht in Hirschaid gewesen, erklärte der Angeklagte. Vielmehr habe er mit zwei anderen eine Shisha-Bar in Bamberg besucht. Einer davon ist sein Bruder, gegen den mehrere Verfahren geführt, aber eingestellt worden waren. Außerdem trage er nie Käppis. Hintergrund ist, dass der Maßkrug-Werfer eine weiße Basecap aufhatte.

Mit einem Coup gelang es Rechtsanwalt Jochen Kaller aus Bamberg, die Augenzeugin endgültig zu verunsichern. Sein Mandant hatte ein Foto eines Bekannten dabei, der ihm erstaunlich ähnlich sieht. Damit war "die stärkste Waffe der Staatsanwaltschaft" stumpf geworden.

Am Ende muss selbst Staatsanwalt André Libischer die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung fallenlassen und den Freispruch fordern. Zu viel Zeit ist vergangen. Was auch daran liegt, dass die Justiz zeitweise an den Rand der Überlastung geraten war, als es galt, die Vielzahl an Straftaten zu ahnden, die während der Hirschaider Kirchweih 2017 begangen worden waren. Insbesondere das Jugendschöffengericht mit seinem Vorsitzenden Richter Martin Waschner hatte Übermenschliches geleistet und buchstäblich von früh bis spät getagt. Die Priorität hatte dabei zuerst auf den Verfahren gelegen, in denen es um Sexualstraftaten und Angeklagte in Untersuchungshaft ging. Da liefen Fristen, die zu zügiger Bearbeitung nötigten.

So blieb die Anklage gegen den 23-Jährigen gezwungenermaßen erst einmal liegen. Zudem taten sich ganz grundsätzliche Probleme bei den Ermittlungen auf, wie ein Polizeibeamter erklärte: "Es war bei den Deutschen schwieriger, Täter festzustellen als bei den Ausländern. Jeder in der rechten Gruppe wusste doch, wer es war. Die kennen sich untereinander. Nur hat niemand etwas gesagt."