Greuther Fürths Sportpsychologe: "Als Fußballer bist du kein besserer Mensch"

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Martin Meichelbeck Foto: Barbara Herbst
Martin Meichelbeck Foto: Barbara Herbst

Im Profifußball ist Psychologie interessant, weil sie den Erfolg beeinflusst. Martin Meichelbeck spricht über seine Arbeit bei der SpVgg Greuther Fürth.

Der Bamberger Martin Meichelbeck startete seine Fußball-Karriere beim 1. FC Nürnberg und 1. FC Bamberg, kickte acht Jahre als Profi in der 1. Bundesliga für den VfL Bochum und studierte nebenbei unter anderem Psychologie und Sportwissenschaften. Seit 2010 ist der heute 39-Jährige Sportdirektor der SpVgg Greuther Fürth und befasst sich auch als Sportpsychologe mit Motivation und Ängsten der Spieler.

Was ist das Problem bei der Motivation?
Martin Meichelbeck: Fehlende Motivation gibt es bei Profisportlern nicht. Das sind Leistungsmaschinen, die muss man nicht anspornen. Ihr Problem ist eher Übermotivation. Schwierig wird es vor allem, wenn einer mit seinen Gedanken und Gefühlen nur noch damit beschäftigt ist, warum er schlecht gespielt hat, was er falsch gemacht hat, wo Erwartungen enttäuscht wurden. Wenn die Gedanken eines Menschen ständig darum kreisen, wie er in seine jetzige Lage gekommen ist und was das bedeutet, nennt die Psychologie das Lageorientierung. Das Gegenstück dazu ist Handlungsorientierung. Dass eine Persönlichkeit eher zum Analytischen neigt, kann zum Problem werden, wenn derjenige es nicht mehr schafft, aus der Lageorientierung in die Handlungsorientierung zu wechseln. Profifußballer sind immer mit enormen Erwartungen von außen konfrontiert. Anerkennung spielt eine große Rolle. Sie stehen unter Druck. Wenn so einer zu sehr mit seinen aktuellen Leistungen hadert, kommt er in einen Gedankenkreislauf, aus dem er alleine nicht so leicht wieder rausfindet. Entscheidend bei der Motivation ist für mich deshalb der intrinsische Aspekt, also die inneren, selbstbestimmten Antriebe: Freude und Spaß am Fußballspiel in Verbindung mit einer großen Professionalität.

Aber machen den Traum vom Profifußball nicht eher die äußeren Dinge aus: schöne Frauen, Geld und Ruhm?
Es ist schwierig, weil du als junger Spieler schnell das Gefühl bekommst, dass du etwas Besonderes bist. Du hebst dich von anderen ab. Durch deine sportliche Leistung. Aber du bist kein besserer Mensch. Es ist wichtig, Demut, Bodenständigkeit zu lernen. Wir versuchen, die Jungen dabei zu begleiten, aber es ist nicht einfach. Wie gut es gelingt, hängt von vielen Faktoren ab: der Sozialisation in der Kindheit, dem Umfeld, der Bildung, dem Intellekt. Vieles spielt mit rein, wie gut einer mit der Situation klarkommt. Schwierig wird es immer, wenn die Motivation nur von außen kommt, wenn es nur darum geht, Lob, Anerkennung und mehr Geld zu bekommen. Das ist fremdbestimmtes Handeln. Man sollte sein Handeln danach ausrichten, woran man Freude hat und seine Ressourcen einbringen kann.

Einige Fürther machten bei nächtlichen Ausflügen in den vergangenen Monaten nicht gerade wegen ihrer Demut Schlagzeilen: Es gab Schlägereien, ein Türsteher wurde mit Geldscheinen beworfen. Müssen die Spieler danach beim Sportpsychologen antanzen?
Hier gehe ich auf die Spieler zu und werde diese Dinge sehr kritisch aufarbeiten. Dennoch sind psychologische Gespräche grundsätzlich freiwillig, keiner muss zu mir kommen. Ich bin nur ein Angebot. Ich teile den Spielern aber auch meine Beobachtungen mit. Es gibt außerdem andere Fälle, bei denen die Betreuung viel wichtiger ist. Ilir Azemi hatte 2014 diesen schweren Autounfall mit Lungenquetschung und mehreren Brüchen. Oder Bastian Lerch, der vergangenes Jahr im Spiel ein offenes Schädel-Hirn-Trauma erlitt und am Kopf operiert werden musste. Das sind schwierige Fälle, wo viel aufzuarbeiten ist hinsichtlich Trauma und Ängsten. Da auch ich für die medizinischen Strukturen im Verein verantwortlich bin, sind solche Fälle sehr komplex.
Seit dem Suizid von Robert Enke wird Psychologie im Fußball oft mit Depressionen verbunden. Wie gehen Sie damit um?
In so einem Fall wäre ich nicht mehr der richtige Mann. Sobald es etwas Klinisches ist, koordiniere ich nur noch. Wir können auf ein psychotherapeutisches Netzwerk zurückgreifen und haben außerdem eine Kooperation mit der Uniklinik Erlangen. Aber man darf jetzt nicht glauben, dass der Profifußball einen besonderen Nährboden für psychische Erkrankungen böte. Das sind Einzelschicksale.

Hatten Sie schon solche Einzelschicksale?
Es gab zwei oder drei Mal Auffälligkeiten im klinischen Sinne, die wir schnell in den Griff bekommen haben. Ich habe in den vergangenen Jahren etwa 300 Spieler betreut. Und jeder Spieler ist im Grunde ein Einzelfall. Ein Stürmer tickt anders als ein Abwehrspieler und jeder Einzelne ist anders.

Wo ticken Stürmer und Abwehrspieler anders?
Stürmer sind in der Regel viel sensibler, stellen sich selbst mehr in Frage. Sie brauchen mehr Vertrauen. Ein Abwehrspieler ist vom Typ her ein sicherheitsdenkender Mensch, einer der Verantwortung übernimmt. Die haben eher Leadereigenschaften.

Sie haben als Abwehrspieler fast 90 Spiele in der Ersten Bundesliga bestritten ... Wenn Sie heute zuschauen, sehen Sie ein Spiel dann eher durch die Augen des Ex-Profis oder des studierten Psychologen?
Beides. Ich bin so oder so sehr drin in dieser Welt der Spieler. Ich sehe beispielsweise die Ängste, sehe wie der Spieler die Szene wahrnimmt, wie die Kommunikation funktioniert oder wie sein Coaching ist.

Was tun Sie als Sportpsychologe konkret?
Ich bin Hilfe zur Selbsthilfe. Zum einen verstehe ich mich als Angebot für den Spieler mit allen psychischen Themen, die er hat. Er kann auf mich zukommen. Außerdem sage ich den Spielern, was ich beobachte: im Training, aber auch allgemein in ihrem Verhalten. Ich lade sie zu Gesprächen ein. In der Sportpsychologie geht es auch um die Optimierung der Leistungsfähigkeit, um das Training im Kopf, die Arbeit mit Gedanken und Gefühlen. Das ist immer sehr individuell.

Zum Beispiel?
Wenn ein Spieler sich viel Druck macht, viele Ängste hat, muss ich schauen, wie man daran arbeiten kann. Oft kann man an so etwas auch körperlich arbeiten, zum Beispiel mit Entspannungstraining. Eine Entspannungstechnik, die ich Jedermann empfehlen kann, ist die Bodyscan-Methode. Dabei geht es darum, den Körper zu spüren und um die Atmung - die Atmung ist sowieso das Element, mit dem der Körper sich am schnellsten entspannen lässt.

Inwiefern hat die Sportpsychologie Einfluss auf den Erfolg der Mannschaft?
Es ist ein Baustein, der stabilisiert und dazu beiträgt, dass Sportler ihre Spitzenleistung abrufen können. Das ist genauso wichtig wie Athletik- und Taktiktraining, Ernährungsberatung und Physiotherapie, Medizin - damit können wir Menschen begleiten. Umsetzen muss es jeder selber. Die Lösung liegt beim Menschen. Psychologie ist eine Unterstützung. Das muss man nicht überbewerten. Im Fußball ist es immer das Gleiche: Wenn du gewinnst, ist alles wunderbar. Verlierst du, wird alles und jeder in Frage gestellt. Egal ob es das Taktiktraining oder die psychologische Betreuung ist.

Ist die sportpsychologische Betreuung im deutschen Fußball ausreichend?
Bei der Nationalmannschaft schon. Aber die Vereine hinken sehr hinterher. In der NBA, beim amerikanischen Basketball, ist es so, dass viele Spieler einen eigenen Psychologen haben. Ähnlich ist es beim Tennis. Aber von 36 Vereinen in der Ersten und Zweiten Fußballbundesliga arbeitet vielleicht ein Fünftel überhaupt mit Psychologen zusammen. Das ist schade und mehr als ausbaufähig.

Die Fragen stellte Natalie Schalk