Der Buchenwald-Überlebende Naftali Fürst sprach mit Schülern in Ebermannstadt über "das Wunder", die Schoah überlebt zu haben. Ihm bleibe nur eine Hoffnung, sagte der Gast aus Haifa: "Erzählen Sie es weiter."
60 Jahre lang weigerte sich Naftali Fürst, seine Muttersprache Deutsch zu sprechen. Geschweige denn, dass er Deutschland oder Österreich betreten hätte. Bruchstücke seiner Kindheit habe er "zu sehr seltenen Gelegenheiten preisgegeben - und das nur einer Handvoll Menschen", schreibt Fürst in seinem Erinnerungsbuch "Wie Kohlestücke in den Flammen des Schreckens".
1999 begannen er und sein Bruder Peter Shmuel jene Erinnerungen aufzuschreiben, die "tief in der Seele begraben" waren. Erst im hohen Alter war der Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald entschlossen, sich der "schweren Aufgabe" zu stellen, "diese Geschichte weiterzuerzählen".
Die Art und Weise, wie Naftali Fürst erzählt; wie er versucht, das Unsagbare auszudrücken, das hat am Montag 250 Menschen bei einem Zeitzeugengespräch in der Realschule Ebermannstadt erstaunt und berührt. Zwar habe er die Schoah überlebt, erzählt der Gast aus Haifa - das sei "ein Wunder". Doch wer den Hunger und die Kälte, die endlose Zahl "schreiender Halbtoter am Wegrand" und den "Zustand absoluter Verzweiflung" ertragen habe, der könne sich nicht mehr dazurechnen. Daher hat Naftali Fürst für seine Existenz eine Metapher gefunden. Er sei kein Überlebender, sondern ein "Stückchen Glut in den Flammen des Schreckens".
Tränen
Es war gar nicht so leicht, in dieses Zeitzeugengespräch hineinzufinden. Erst mussten Naftali Fürst und viele Gäste die Tränen und Emotionen bewältigen: Der Chor der Neuntklässler unter Leitung der Musiklehrerin Katharina Stamp sang Hatikwah, die israelische Nationalhymne. Anschließend war ein Film zu sehen, den die Universität Aachen in Zusammenarbeit mit Holocaust-Überlebenden produziert hat; eine Dokumentation über die Bedingungen der Häftlinge des KZ Buchenwald - und speziell über den Kinderblock 66, in dem Naftali Fürst dank der aufopferungsvollen Hilfe kommunistischer Widerstandskämpfer überlebt hat.
Während des Auftritts des 86-Jährigen schwingt nichts von Anklage oder Sorge oder Mahnung mit. Ihm seien zwei Dinge wichtig, sagt Naftali Fürst den Zuhörern in der vollen Turnhalle: Das Vergangene dürfe nicht vergessen werden. Und das Vergangene sei so schlimm gewesen, dass er die Hoffnung habe, dass es weitererzählt werde.
Für die Realschüler ist dieser Vormittag ein Glücksfall, den sie ihrer Lehrerin Friederike Bennesch zu verdanken haben. Sie hatte Naftali Fürst bei der Feier 70 Jahre Israel in Berlin kennengelernt; war von ihm nach Haifa eingeladen worden - und hatte den 86-Jährigen im Gegenzug zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen.
Schulleiter Harald Pitter sagte, diese Begegnung sei wohl nicht nur für ihn ein Höhepunkt seiner Schullaufbahn. Die positive Einstellung von Naftali Fürst und dessen "Art, nach vorne zu blicken", sei überwältigend. Wochenlang haben sich die Schüler auf diesen Besuch vorbereitet. Die Stellwände voller Dokumentationsmaterial in der Turnhalle zeugen von ihrem Eifer. In Arbeitsgruppen haben die Schüler Fragen erarbeitet, die sie dem Gast aus Israel gestern stellen durften: Wann haben Sie ihre Familie wiedergesehen? Wie war die Befreiung? Wer war ihre wichtigste Bezugsperson? Was war ihre längste Zeit ohne Essen und Trinken?