"Provisorium 2012" heißt das erste Buch des Effeltricher Autors Thomas Georg Werner. Der Titel ist Programm.
Thomas Georg Werner hat zwar die meiste Zeit seines Lebens in Forchheim und Effeltrich verbracht; doch um als Schriftsteller Zugang zu seiner Heimat zu finden, musste er sich erst von ihr entfernen.
Nachdem der gelernte Religionslehrer ein Jahr als Katechet in der Schweiz gelebt hatte, brachte er zwei Erkenntnisse mit nach Hause. Erstens: "Je weiter man weggeht, um so mehr muss man recherchieren." Und zweitens: "Ich musste schreiben, um mich verwurzelt zu fühlen."
Das war 2007. Geschrieben hatte er schon vor seinem Schweiz-Aufenthalt; ein Roman-Manuskript lag seit der Studienzeit in Würzburg unfertig in der Schublade. Thomas Werner versuchte nach seiner Rückkehr daran anzuknüpfen und merkte, dass er noch nicht so weit war; um beispielsweise so "unmittelbar und rustikal" zu Werke zu gehen, wie es der von ihm bewunderte Heimatdichter Oskar Maria Graf tat.
Der heute 40-Jährige begann an seinem Stil zu feilen. Er erprobte Erzählformen und Schreibtechniken. Was dabei in den letzten fünf Jahren entstanden ist, nennt Werner bescheiden "Fingerübungen". Als wäre alles bisher Geschriebene nur eine Hinführung zu dem Roman, an dem er sitzt. Das nach Werners Überzeugung Unfertige dieser Übungen drückt sich auch in dem Titel aus, den er seinem Band mit Erzählungen, Gedichten und einem Essay gegeben hat: "Provisorium 2012".
Doch der Unterhaltungswert dieses Provisoriums ist beachtlich: Hier formuliert ein Beobachter, der sich sehr präzise an seine Wahrnehmungen hält, um sie dann plötzlich ins Fantastische und Skurrile zu wenden. So hat der theologisch geschulte Autor kein Problem, seine Auseinandersetzung mit Leben und Lehre des Papstes aus der Perspektive von Benedikts Katzen zu erzählen. "Ratzingers Katzen" heißt der Text. Und gerade wegen der tierischen Perspektive kommt der Leser nicht unbedingt auf die Idee, dass hier jemand schreibt, der sich als Heimatdichter versteht.
Thomas Werner nutzt die Bezüge zur fränkischen Geographie und zu seiner geistigen Heimat - dem Katholizismus - als Grundlage seiner Texte. Er betont, dass die Religion sein "stabiler Bezugsrahmen" sei und dass er unter Heimat "nichts Folkloristisches" verstehe. Für ihn, den leidenschaftlichen Jogger und Pilger, ist das vertraute Terrain mit inspirierenden Erinnerungen verbunden. "Die Orte bekommen Geschichte durch das, was man dort erlebt hat."
Diese Erlebnisse müssen nicht spektakulär sein, um zum Erzählanlass zu werden. "Wenn man als Kind auf den Hetzleser Berg gelaufen ist - dann ist das einfach was Besonderes", sagt Thomas Georg Werner. Oder: "Dass ich als Schüler am Paradeplatz Tauben verscheucht habe, das bleibt hängen."
Und so ist beinahe jede Geschichte in diesem provisorischen Erzählkosmos an einem von Werners Erinnerungsorten angesiedelt. Ein Uhrengeschäft am Paradeplatz dient als Szenerie für "Das Geschäft des Jahres"; eine Erzählung, die von einer jener typischen abseitigen Ideen gespeist ist, die Werners Helden antreiben: Ein Mann kauft sich einen Wecker, weil er schwer hört. Doch der Wecker funktioniert nicht. Eine Umtauschaktion folgt, die der Autor nutz, um seine so nüchtern beginnende Erzählung in eine tierisch-absurde Szenerie zu verwandeln.
Trotz Hang zum Absurden kehrt Werner immer wieder auf den Boden der Realität zurück. Er brauche das, "damit die Geschichten nicht in der Luft hängen". Wobei er gar keinem bestimmten Heimatbegriff zu folgen scheint. Heimat ist das, was ihm widerfährt und wohin er dann immer wieder zurückkehrt. "Hier passieren die Dinge einfach", sagt der 40-Jährige, "man bekommt sie mit. Ich grabe nichts aus, ich sehe es irgendwann."
Eingebung an der Koppel
Eines Tages vor fünf Jahren sah er die Pferde-Koppel hinter seinem Haus auf eine neue Weise: Das Pferd, ein Auto, der Zaun. Diese Versatzstücke an der Koppel machten ihm bewusst, wie er zu schreiben hatte. Kein Spannungsbogen sei nötig, sagt Werner. Sein Verfahren beschreibt er als ein Zusammensuchen und Zusammenfügen. Orte wie diese Pferdekoppel sucht er dann immer wieder auf, nimmt immer neue Eindrücke mit ("Ich bleibe an Dingen hängen") und baut sie in seine Geschichte ein. Er sei wie ein Bastler sagt Thomas Werner. Manchmal erinnere ihn das Schreiben auch an ein Kind beim Rollenspiel: "Man spielt und weiß nicht, wie es ausgeht."
In diesem Hang zum Provisorischen ähnelt der Autor einer seiner Figuren, dem "Tröster". Entdeckt hat Thomas Werner den Tröster an der Tankstelle des Heimatortes Effeltrich. Zuerst erscheint der Tankwart nicht mehr zu sein als eben ein Tankwart, der an der Zapfsäule steht und nebenbei Zeitungen verkauft. Doch dann hebt auch diese Figur ins Phantastische ab - und wird zu einer Art biblischen Figur, zu einem Geist, der "weht und tröstet, wo er will".
Wie sein Tröster, will auch der Erzähler Thomas Georg Werner auf nichts Bestimmtes hinaus. Es scheint ihm geradezu Pflicht zu sein, nichts Fertiges zu schaffen.
Vielleicht hängt auch diese Eigenart mit seiner Heimat zusammen. Zumindest fällt Thomas Werner, wenn er über den Titel seines Buches nachdenkt, diese Geschichte ein: Vor zehn Jahren habe sein Vater den Garten gestaltet; habe den Boden beackert, Beete angelegt und ein Gartenhäuschen gebaut. Als er mit der Arbeit fertig war, hatte der Vater gesagt: "Das ist jetzt erstmal ein Provisorium."