Jürgen Schuster ist auf allen Kontinenten Marathon gelaufen - doch keiner dieser Läufe wird ihm so in Erinnerung bleiben wie sein letzter in der Antarktis. Ein außergewöhnliches Abenteuer.
Es sind knapp 42,2 Kilometer, die ein Marathonläufer zurücklegen muss - für die meisten Menschen eine unvorstellbare Strecke, selbst unter normalen Bedingungen. Nicht für Jürgen Schuster. Der Forchheimer hat bereits zahlreiche Läufe hinter sich - und das auf allen Kontinenten der Erde. Sein letzter Marathon führte den 49-Jährigen in die Antarktis.
Laufen bei bis zu 30 Grad minus Eine russische Iljuschin-Maschine brachte ihn und rund 50 weitere Menschen von Süd-Chile aus auf das Festland der Antarktis. Vor der Abreise gab es Instruktionen vom Reiseveranstalter. Denn in der Antarktis gelten besondere Regeln: Drei Kleidungsschichten sind bei den eisigen Temperaturen von 20 bis
30 Grad unter Null Pflicht. Es darf kein Müll hinterlassen werden. Auch menschliche Ausscheidungen, die im Camp produziert werden, muss das Flugzeug wieder mitnehmen. Wildpinkeln ist streng untersagt.
Als er vom Flugzeug aus die weiten Eislandschaften der Antarktis sah, stellte sich Jürgen Schuster die Frage: "Wie wird das wohl werden?" Da ahnte er noch nicht, dass eines der beeindruckendsten Erlebnisse seines Lebens auf ihn warten würde.
Der eisige Kontinent auf der Südhalbkugel der Erde empfing die Reisegruppe mit herrlichem Sonnenschein und blauem Himmel. Doch das schöne Wetter war trügerisch, denn der Wind schnitt sich schmerzhaft in Schusters Gesicht. Er erinnerte sich an das Briefing des Veranstalters und war froh, dass er die erforderlichen drei Schichten an Kleidung trug.
Von der Landebahn, die vollkommen aus Eis bestand, ging es mit riesigen Trucks ins acht Kilometer entfernte Camp. Schuster, ohnehin kein Camping-Fan, war sich nicht mehr sicher, ob die Reise eine gute Entscheidung war. Doch er fand sich schnell zurecht und lernte die Vorzüge des Campens zu schätzen. Überraschenderweise war Kälte kein Problem. "Ich habe öfter geschwitzt als gefroren", sagt Schuster. Zwei dicken Thermo-Schlafsäcken sei dank.
Im Aufenthaltsraum des Camps trafen sich die Teilnehmer der Reise. "Es waren 50 Leute aus 18 Nationen mit denen man zehn Tage zusammengelebt hat. Die einzige Klammer, die uns verband, war unsere Begeisterung für das Marathonlaufen. Und das wir verrückt genug waren, das auch in der Antarktis zu machen."
Vorbereitung lief schlecht Es gab keine lange Vorbereitungszeit, am zweiten Tag gingen die Marathonläufer an den Start. Schusters Training war suboptimal: Wegen einer Verletzung konnte er im Vorfeld einige Wochen gar nicht laufen. Dennoch ging er an den Start und verließ sich voll und ganz auf seine Erfahrung. Trotz der sportlichen Betätigung galt die Drei-Schichten-Kleiderordnung: Eine Schicht saugt den Schweiß auf, eine wärmt und eine hält den schneidenden Wind ab. "Der Veranstalter hat uns vor dem Lauf darauf hingewiesen, dass wir die Kleidung nicht ablegen sollen - auch wenn wir schwitzen", sagt Schuster. Ein brasilianischer Teilnehmer hielt sich nicht an die Vorgabe und zog einen Handschuh aus. Eine Frostbeule war die Folge.
Um das Gesicht und die Augen zu schützen, mussten die Teilnehmer Skibrillen aufsetzen. "Durch den Atem beschlug die Brille von innen immer wieder, und das Kondenswasser gefror sofort", sagt Schuster. Während des Laufens blieb dem Forchheimer wenig Zeit, die ruhige und wunderbare Landschaft zu genießen. Er war fokussiert, vergaß alles um sich herum, spürte keinen Schmerz. "Ich habe auch nicht auf die Uhr geschaut, hatte aber auch nie das Gefühl, ich könnte nicht weitermachen. Ich bin einfach gelaufen", sagt Schuster.
Mitarbeiter des Veranstalters, unter ihnen auch Ärzte, überwachten die Strecke und die Läufer. In Protokollen hielten sie fest, wann welcher Sportler an der Station ankam und wann er weiterlief. So stellten sie fest, dass niemand verlorengegangen war. Die Gefahr besteht durchaus, wie Schuster erklärt: "Durch die Skibrille ist das Sichtfeld stark eingeschränkt. Häufig hat Nebel die Sicht zusätzlich behindert. Man sieht unter Umständen nur weiß."
Zeit spielte keine Rolle Alles ging gut. 42,2 Kilometer und sieben Stunden später überquerte er die Ziellinie. Es war ihm kein Zeichen von Erschöpfung anzusehen, denn sein Körper war vollgepumpt mit Endorphinen und Adrenalin: "Wenn mich in diesem Moment jemand gefragt hätte, ob ich weiterlaufen will, dann hätte ich ja gesagt", so Schuster. Freude und Stolz empfand er nicht - das habe sich erst später eingestellt. Sieben Stunden wären keine Super-Zeit für ihn gewesen. Zeit sei aber bei diesem Erlebnis zweitrangig.
"Was ich in der Antarktis schnell gelernt habe, war, dass sich das Wetter rasch ändern kann", erzählt Schuster. Das hatte nicht nur Auswirkungen auf die Sportler, sondern auch auf das Transportflugzeug: Es konnte nicht starten, weshalb Schuster seinen Aufenthalt unfreiwillig um fünf Tage verlängern musste.
So eine Reise in die Antarktis macht man nicht mal eben so. Schuster meldete sich mit reichlich Vorlauf an und musste zwei Jahre warten, bis er in den Flieger steigen durfte. Für fünf Tage in der Antarktis musste er drei Wochen Urlaub nehmen - das unbeständige Wetter macht eine exakte Zeitplanung nahezu unmöglich.
Wo andere Menschen mit ihren Kräften völlig am Ende wären, legte Jürgen Schuster noch einmal nach. Zwei Tage später lief er einen Halbmarathon. Die restliche Zeit verbrachte er mit Ausflügen, dem Bau eines Iglus, Wanderungen und den anderen Sportlern im Camp. Dann ging es zurück nach Chile und von dort nach Deutschland.
Jetz hat Schuster seine Sammlung komplett: Marathon und Halbmarathon auf allen sieben Kontinenten. Und jetzt? Pläne für die Zukunft hat er noch nicht, er möchte das Erlebnis Antarktis noch wirken lassen: "Für mich persönlich war es der schönste Marathon", sagt Schuster. "Das Beste kommt zum Schluss."