EMS steht nicht für Einfach Mal Sport treiben lassen

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Sportredakteur Daniel Ruppert hat EMS getestet. Foto: Ronald Rinklef
Sportredakteur Daniel Ruppert hat EMS getestet. Foto: Ronald Rinklef
Per Schalter regelt der Trainer die Stromzufuhr, ein Männchen zeigt die Übung auf dem Display. Foto: Ronald Rinklef
Per Schalter regelt der Trainer die Stromzufuhr, ein Männchen zeigt die Übung auf dem Display. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Die Hände soll ich kräftig zusammendrücken. Foto: Ronald Rinklef
Die Hände soll ich kräftig zusammendrücken. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Bernhard Hauser bewässert die Weste. Foto: Ronald Rinklef
Bernhard Hauser bewässert die Weste. Foto: Ronald Rinklef
 
Die zweite Variante des EMS: Auf dem Laufband. Foto: Ronald Rinklef
Die zweite Variante des EMS: Auf dem Laufband. Foto: Ronald Rinklef
 
Ein Männchen auf dem Display gibt die Übungen vor. Foto: Ronald Rinklef
Ein Männchen auf dem Display gibt die Übungen vor. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Bei der elektrischen Muskelstimulation sorgen Stromimpulse für den Trainingseffekt. Entspannt zurücklehnen kann man sich dabei allerdings nicht.

Der Vergleich mit einem zum Tode Verurteilten, der zum elektrischen Stuhl geführt wird, ist makaber und übertrieben, aber ein komisches Gefühl ist es schon, wenn der Personal Trainer die Weste mit den Sensoren bewässert, damit mein Körper den Strom besser aufnimmt. Aber der Reihe nach: Um herauszufinden, warum Freunde, Bekannte oder Kollegen plötzlich zum EMS gehen, und um mein Vorurteil, die Maschine übernehme dabei das Schwitzen für mich, abzubauen, habe ich einen Termin bei "Schnell in Form" in Forchheim vereinbart.


Immer mit persönlichem Trainer

Das Studio ist noch neuer als die dazugehörigen Häuserreihen, die 2012 auf dem früheren Gelände des Sattlertor-Kindergartens entstanden. Die Umkleidekabinen und Duschen nehmen genauso viel Platz ein wie das eigentliche Studio, denn Bernhard Hauser hat nur vier Geräte. "EMS ist personalisiertes Training, bei dem immer ein Trainer dabei ist", erklärt der Fitnessfachwirt. "Die Schalter zur Impulssteuerung bedienen nur wir und nicht die Kunden selbst, damit es zu keinen Überlastungsschäden kommt."

Zunächst drückt mir Bernhard Hauser eng anliegende Funktionsunterwäsche in die Hand. "Nichts drunter ziehen!", mahnt er und erzählt, dass Frauen davon häufig irritiert sind. Nachdem ich mich in die Radlerhose und das Hemd gezwängt habe, zieht mir Hauser besagte Weste über und verkabelt mich. "Wir stimulieren acht Muskelpärchen", sagt der 51-Jährige, während er meine Einkleidung mit Klettverschlussarmbändern für Oberarme und - schenkel fortsetzt.




Wasser ist nicht nur für die Leitung des Stroms wichtig, sondern auch im Körper, weshalb mich Hauser bittet, noch ein Glas zu trinken. "Weil ich in 20 Minuten so viel schwitzen werde?", frage ich leise. "Wasser ist einfach der wichtigste und häufigste Stoff in unserem Körper, der den Stoffwechsel, die Regulierung der Körpertemperatur und vieles mehr unterstützt", erläutert der frühere Teilnehmer an deutschen Meisterschaften im Bodybuilding.

In voller Montur führt er mich zum Gerät, das nur aus einem Bildschirm in Brusthöhe und Griffen besteht. "Als Notgriff, wenn mich der Strom wie ein Polizei-Taser in die Knie zwingt", denke ich mir. Auf dem Monitor taucht ein Männchen in gebeugter Haltung auf. Das ist die Grundposition, aus der heraus ich meine Übungen machen soll, und ist mit rotem Licht verbunden.

Wenn es Gelb wird, solle ich mich vorbereiten, sagt Hauser und reflexartig spanne ich meinen ganzen Körper an. Doch er hat den Strom noch gar nicht aufgedreht, weshalb ich die Grünphase unbeschadet überstehe. Nach vier Sekunden Pause macht das virtuelle Männchen die zweite Wiederholung. Mein Trainer betätigt den ersten Regler. "Wenn es zu stark wird, bitte Stop sagen", weist er mich an, während das Bitzeln in meiner Brust beginnt.


Bernhard Hauser erkennt die Schmerzgrenze

Erst angetan von der Massage, dann verkrampft vom vermeintlichen Elektroschock vergesse ich das Signal, doch Hauser hat längst in meinem Gesicht gelesen, wann meine Schmerzgrenze erreicht ist. Bei Bauch, Po, Armen, Beinen, Schultern sowie unterem und oberem Rücken entscheide ich selbst über das Ausmaß meiner Kasteiung.

Es kann losgehen. Drei Minuten habe ich als Ersttäter bereits für die Einstellungen verschenkt. Für das Training bleiben also lächerliche 17 Minuten. Das sollte ich als regelmäßig Sporttreibender mit links absitzen. Links fängt es an zu ziehen, als meine erste normale Grünphase beginnt. "Der Strom ist auf beiden Seiten gleich stark, aber man kann Unterschiede spüren, je nachdem, ob man Links- oder Rechtshänder beziehungsweise -Füßler ist", erzählt Hauser.

Der rät mir in der viersekündigen Anspannungsphase zur Bauchatmung, doch ich bin froh, während der gefühlten zehn Sekunden unter Strom überhaupt Luft zu kriegen. Erst nach und nach bekomme ich die Sauerstoffzufuhr in den Griff und widme mich dem Vortänzer auf dem Display. Hauser ist zufrieden mit meiner Ausführung, wenngleich er immer wieder korrigierend eingreift. "Den Rücken gerade! Die Knie leicht gebeugt! Die Arme ausstrecken!"

So drehe und senke ich mich jeweils zehn Mal in eine Richtung. Unter normalen Umständen sind das Übungen für Kinder oder Senioren, doch mit den Impulsen aus der Steckdose vervielfacht sich die Wirkung. "20 Minuten ersetzen eine bis eineinhalb Stunden konventionelles Training", erklärt Hauser, zu dessen Zielgruppe vor allem Vielbeschäftigte mit wenig Zeit für Sport gehören. Ein Grinsen kann sich Hauser nicht verkneifen, als mir die erste Schweißperle die Stirn hinunter rinnt. Es bleibt nicht die letzte.

Die Weste glänzt mittlerweile nicht mehr nur aufgrund des aufgesprühten Wassers. Fleißig imitiere ich die Kniebeugen und sehne mich nach der Bleiweste beim Fußballtraining. Als die Uhr abgelaufen ist, befreit mich Bernhard Hauser von den Kabeln. War doch gar nicht so schlimm. Oder?


Drei Tage lang Muskelkater

Meine Nachfrage, warum er meine Rückmeldung erst am Folgetag wünsche, quittiert Hauser mit einem Lächeln, das besagt: "Der Muskelkater kommt bestimmt." Nach Jahrzehnten in der Fitnessbranche behält der 51-Jährige - wenig überraschend - Recht. Aber die kleinen Risse im Muskelgewebe (=Muskelkater) schrecken mich nicht ab.

Mein Fazit fällt positiv aus. Wenn die Risiken (siehe Infos weiter unten) ausgeschlossen werden und eine Fachkraft das Training begleitet, ist EMS eine gute Alternative für Berufstätige, Ältere oder Menschen, die aufgrund einer Verletzung keinen anderen Sport ausüben können.



Was genau ist EMS?


Entstehung: Was klingt wie eine Krankheit, ist eine sich rasch verbreitende Fitnessvariante. Die elektrische Muskelstimulation (EMS) verstärkt die Trainingswirkung durch Anregung der Tiefenmuskulatur. Wie die Apotheken-Umschau schrieb, sollen bereits die Ägypter vor 4500 Jahren kleine Stromstöße von Fischen zur Schmerzlinderung genutzt haben. In der Physiotherapie werden Nerven seit Jahrzehnten zur Förderung des Heilungsprozesses mit Elektroden stimuliert.

Klientel: Im Prinzip kann EMS jeder betreiben, dessen Wachstumsphase abgeschlossen ist. In der Regel gilt eine Altersgrenze von 18 Jahren. Diabetiker haben beim personalisierten EMS im Gegensatz zu anderen Sportarten gute und rasche Erfolge. Ansonsten ist EMS vor allem für Personen mit wenig Zeit, für Übergewichtige oder zu Reha-Zwecken geeignet, denn die Gelenke werden nicht belastet.

Risiken: Ausgeschlossen sind unter anderem Epileptiker, Schwangere, Menschen mit Rheuma oder Herzschrittmacher. Die Teilnehmer sollten ihre Fitness und Leidensfähigkeit nicht überschätzen. Lieber klein, sprich mit wenig Strom anfangen. Mehr als zwei Sitzungen pro Woche verträgt Otto-Normal-Verbraucher nicht. EMS-Trainer sollten eine Ausbildung haben, den Kunden gut einschätzen und gegebenenfalls bremsen können. Andernfalls drohen Kopfschmerzen, Übelkeit oder Kreislaufprobleme bis zur Zerstörung der Skelettmuskulatur.

Ausrüstung: Die Teilnehmer brauchen zweiteilige Funktionsunterwäsche, die sie bei regelmäßigem Ausüben und aus hygienischen Gründen kaufen sollten (ab ca. 50 Euro). Die Weste und weitere Sensoren werden vom Studio gestellt. Eine Einheit von 20 Minuten kostet zwischen 20 und 30 Euro.

Impulse: Es gibt zwei Grundformen des EMS: Bei der im Haupttext erwähnten wechseln sich (An-)Spannungs- und Entspannungsphasen ab. Bei der Stoffwechsel-Methode erhält der Praktizierende durchgehend Impulse, zum Beispiel auf dem Laufband oder am Crosswalker.

Studio: Ein EMS-Studio kann im Prinzip jeder eröffnen, der eine Wochenend-Schulung zum Personal Trainer absolviert hat. Kunden sollten sich aber von der Eignung ihres Übungsleiters überzeugen, um Pannen oder falsche Ausführungen zu vermeiden.

Wissenschaft: Trotz positiver Studienergebnisse, unter anderem von den Unis Bayreuth und Erlangen-Nürnberg ist die Wirkung wissenschaftlich umstritten. Nicht zuletzt aufgrund vereinzelter Unfälle mit EMS wird es z.B. von den Krankenkassen nicht bezuschusst. rup