Kinder können bis zum Vorschulalter nicht lügen. Lügen setzt einen Denkvorgang voraus und entwickelt sich erst im Lauf des Lebens.
Kinder und Betrunkene lügen nicht, meint der Volksmund. Und das stimmt - zumindest was die Kinder betrifft.
"Kinder lügen nicht", bestätigt Andrea Roder, die Leiterin der evangelischen Kinderkrippe in Neunkirchen am Brand. Jedenfalls nicht bis zum vierten Lebensjahr, darüber sind sich die Erzieherinnen auch anderer Einrichtungen einig. Ab dem frühen Vorschulalter oder mit fünf Jahren und älter, sieht es schon ein bisschen anders aus. "Wenn Kinder etwas behaupten, dann sehen sie das so. Es ist ihre Wahrnehmung", erklärt Andrea Roder.
Wie oft sagt ein Kind auf Nachfrage, was es denn zum Frühstück gegessen hat, dass es nicht einmal gefrühstückt hat? Die Eltern schütteln dann verwundert den Kopf und sehen sich in dem Moment als Rabeneltern abgestempelt. Andererseits wird sich so mancher Erwachsener schon Sorgen machen, warum das Kind ohne Essen aus dem Haus geschickt wird. Vor allem, wenn diese Antwort mehrfach kommt.
"Wenn das Kind sagt, es hat nichts gefrühstückt, kann es sein, dass es jetzt schon wieder Hunger hat. Oder wenn es sagt, der Papa ist weg, die Mama ist jetzt ganz alleine, kann es einfach nur sein, dass der Papa auf einer Dienstreise ist", erklärt Roder die Wahrnehmung der Kinder, die für einen Erwachsenen oft wie Lüge aussieht.
Oder ein Kind isst immer Müsli zum Frühstück, nur heute ein Brot. "Das Kind verbindet Müsli mit dem Frühstück", erklärt Andrea Roder, warum das Kind bei der Frage nach dem Frühstück den Kopf schütteln könnte.
Orientierung an Erwachsenen
Was können Erwachsene nun tun, wenn sie wirklich wissen möchten, was passiert ist? "Erwachsene müssen anders nachfragen. Hast du heute schon einen Keks gegessen oder ein Brot?", nennt Roder andere Möglichkeiten, die das Kind dann schon bejahen wird. "Die Kinder sind in ihrer Welt und sehen die Dinge anders als Erwachsene", erklärt die Krippenleiterin.
Ein kleines Kind lügt nicht, um andere nicht zu beleidigen, sondern nennt die Dinge beim Namen. "Ein Kind wird nie sagen, du bist schön oder chic angezogen, wenn sie es nicht so empfinden", sagt Roder und nennt ein weiteres Beispiel für eine andere Wahrnehmung, ohne dass es eine Lüge ist. Eine Frau mit kurzen Haaren und langer Hose bekleidet, kann von dem kleinen Kind als männlich benannt werden, weil es so den Mann als Bild im Kopf hat. Ebenso verhält es sich mit Ironie. "Kinder verstehen keine Ironie", erzählt Roder. Das Kind nimmt die Ironie als Wahrheit an. "Das bewusste Lügen entwickelt sich erst später, das lernt der Mensch im Lauf des Lebens, auch was man damit bewirken kann", meint Roder.