Nach schweren Bombenangriffen bleiben die Schulen in Hamburg nach nach den Sommerferien 1943 geschlossen. Die Schüler werden deshalb zum Lernen in die deutsche Provinz geschickt. Die Mädchen landen dabei unter anderm in einem Muggendorfer Lager.
Als Anfang April 1945 Forchheim zur "Gefahrenzone II" deklariert wurde, schreibt ein 18-jähriges Mädchen, die in einem Muggendorfer KLV-Lager (Kinderlandverschickung) untergebracht war, ihren Eltern: "... denkt Euch, gestern kamen zwei Mütter von Schülerinnen der Unterstufe hier an, die per Rad von Hamburg kamen und ihre Kinder holen wollten. Wie die sich die Rückfahrt denken, weiß ich nicht, das meiste wollen sie zu Fuß machen und im übrigen versuchen, auf Lastwagen unterzukommen." Das war kein Einzelfall, auch aus anderen Lagern wurde Ähnliches vermeldet.
Trotz aller Kriegsgefahr feierten zwei Wochen zuvor am 18. März 1945 17 Mädchen aus dem Dooser KVL-Lager ihre Konfirmation in der protestantischen Kirche von Muggendorf. Ein halbes Jahr lang waren sie vom Muggendorfer Dekan Zahn darauf vorbereitet worden - außerhalb des KLV-Lagers, weil es innerhalb nicht gestattet war.
Unterstützung erhielten sie von ihrer Lagerleiterin, der Oberlehrerin Ottilie Begemann.
Sie verärgerte damit den Hamburger Gauleiter, der wegen des erteilten Religionsunterrichts seiner Schulverwaltung Vorhaltungen machte. Konfirmiert wurden die Mädchen "in geliehenen Kleidern vom Hamburger Pastor Friedrich-Wilhelm von Boltenstern". Was im Nachhinein wie der Abgesang auf das sieben Wochen später untergehende "Dritte Reich" interpretiert werden kann, war damals den Mädchen sicher nicht bewusst.
Anfang April mussten die Lerchenfelder Mädchen ihr Muggendorfer Quartier räumen. Den "Stern" bezogen Unterstufenschülerinnen, die vor der immer näher rückenden Front ihr Lager in Schlüsselfeld aufgaben und mit dem Zug über Strullendorf und Forchheim am Abend des 3. Aprils hier ankamen. Jetzt war der Krieg auch in Doos und in Gößweinstein hautnah zu spüren.
Ein 13-jähriges Mädchen im KLV-Lager Veilbronn trug in Stichworten in ihr Tagebuch ein, wie sie hier das Kriegsende erlebt hat:
"1.4. Ostersonntag: Deutsche Wehrmacht fährt durch Veilbronn.
2.4. Ostermontag: Panzer rollen unaufhörlich Richtung Bamberg in der Nacht.
7.4. Endlose Gefangenenzüge: Russen, Franzosen, Polen, Ungarn, Italiener, Amerikaner. Flakregiment aus Mainz. - Absetzbewegung. ...
9.4. Tieffliegerangriffe: Ein Bauer aus Leidingshof wird auf seinem Fuhrwerk erschossen. ...
12.4.: In der Nacht nehmen wir eine deutsche Kampftruppe auf. Die Soldaten sind völlig erschöpft und schlafen in unserem Tagesraum. Wir hören die Front. ... Vor unserem Haus steht ein schwer verwundetes Pferd. Es hat eine tiefe klaffende Halswunde. ...
13.4.: ... die Soldaten ziehen gegen Abend weiter. Wir hören, daß schon alle Straßen verstopft sind, denn immer neue Truppen wollen sich vom Feinde absetzen.
Wir haben keinen elektrischen Strom mehr, daher kein Licht, kein Radio.
14.4.: ... Wir sitzen beim Mittagessen - da plötzlich das tiefe Brummen von Tieffliegern, sie brausen dicht an unseren Fenstern vorbei und - tak, tak, tak geht ihr Maschinengewehr. ... ‚Alles unter die Bänke und Tische!'" Nach dem Mittagessen suchen die Mädchen mit Proviant und Wolldecken ihr "Felsenversteck in der Wolfsschlucht" auf. "Etwa um ½ 7 beginnt eine tolle Schießerei. ...
15.4.: Der erste Tag unter amerikanischer Besatzung. Früh um 7 Uhr fährt der 1. amerikanische Kampfwagen das Dorf ab. Da an jedem Haus eine weiße Fahne, braust er weiter. ... In der Scheune von Sponsel (zweiter Gasthof) werden 20 deutsche Soldaten gefangen genommen ... Die abgegebenen Waffen werden zerschlagen und liegen als wirrer Haufen vor dem Haus von Sponsel.
.."
Trauer über Hitlers Tod Die Einnahme Gößweinsteins erlebte im KLV-Lager "Faust" eine 15-jährige Oberschülerin aus dem Stadtteil Wilhelmsburg mit großer Skepsis gegenüber den Siegern. Aus Angst vor einem "amerikanischen Überfall" hatte sich ihre Klasse am frühen Morgen des 15. Aprils im Wald "hinter einem Felsen" versteckt. Nach Rückkehr ins KVL-Lager ist der Ort am Nachmittag bereits besetzt: "Es ging ziemlich glatt vor sich. Nur ein Haus hat gebrannt. Es wurde fast gar nicht verteidigt."
Zwei Tage später müssen die 23 Schülerinnen ihr Quartier für die amerikanische Besatzung räumen und in das KVL-Lager "Waldesruh" umziehen in ein "Zimmer mit 3er Türmen, zum größten Teil zwei in einem Bett". Obwohl die 15-Jährige sich eingestehen muss, dass die "Amerikaner bis jetzt nett sind" und die meisten sogar deutsch
können, "kann sie die größte Wut kriegen, wenn man sieht, wie sich unsere deutschen Soldaten von ihnen behandeln lassen müssen. So jämmerlich hilflos müssen sie ihre Sachen durchsuchen und ihre Dienst- und Ehrenzeichen runterreißen lassen. Hier sind schon allerhand deutsche Gefangene vorbeigekommen. Wie Vieh hat man sie verladen. Zum Heulen! Ich kann nicht begreifen, wie der größte Teil der Bevölkerung so nett zu den Ami sind. Ne Wut kann man kriegen, wie sie die umwedeln. Sogar mit Kamerad reden sie die an und tun, als ob sie nie an die deutsche Sache geglaubt hätten. Erbärmlicher als jedes andere minderwertige Volk."
Ihren Klassenkameradinnen dagegen "gefallen die Soldaten zum Teil sehr. Es sind auch durchwegs prima Sportgestalten", gesteht sich die 15-Jährige ein. "Aber trotzdem. Ich kann die Dussels nicht mehr sehen. Dieses spöttische Gegrinse schon allein." Sie bedauert, dass sie am 20.
April, dem Geburtstags des Führers, "nichts besonderes machen" konnte, aber immerhin "haben alle Sonntagskleider angehabt und HJ-Abzeichen angesteckt".
Als sie am 2. Mai vom Tod Hitlers erfährt, notiert sie in ihrem Tagebuch: "Jetzt kann ich nicht mehr an einen Sieg glauben. Er war doch der Einzige, dem unser ganzes Vertrauen gehörte." Und drei Tage später, als die Nachricht von der Kapitulation der Westfront eintrifft, offenbart sie ihrem Tagebuch: "Ich kann mir ein Deutschland ohne den Führer einfach nicht vorstellen. Wie soll das bloß alles werden?"
Eine vier Monate lange Odyssee Mitte Januar 1945 war Rolf Harald Arnold mit seiner Klasse und ihrem LMF über Umwege in die Ferien nach Hause gefahren. Das Kriegsende erlebte er selbst nicht in Gößweinstein, sondern in einem KLV-Lager an der Ostsee.
"Die Versorgung der vielen Schülerinnen und Schülern machte auch in den KLV-Lagern große Schwierigkeiten. Die älteren Schülerinnen aus dem KLV-Lager Doos verdingten sich im Juni als Erntehelferinnen und wurden dafür mit Lebensmitteln entlohnt. "Der schönste Augenblick" für sie war, wenn es hieß "Brotzeit" und die Bäuerin die Sachen auspackte.
Die Frau des Lagerleiters Dr. Nevermann machte sich mit dem Fahrrad nach Hamburg auf, um hier bei der Schulbehörde möglichst bald den Rücktransport zu erwirken. Zehn Tage war sie unterwegs. Der Organisator der Hamburger KLV-Lager, Schulinspektor Dr. Heinrich Sahrhage, erfuhr von ihr am 16. Juni, dass aber "die Verpflegung und Finanzierung erhebliche Schwierigkeiten" bereite. "Die Ortsbehörden möchten die Kinder los sein und unterstützen die Lager daher nicht mehr.
Tatsächlich gelang es Frau Nevermann, "mit einem Holzgas-LKW nach Gößweinstein" zurückzukehren und am 13.06. mit einem ersten "inoffiziellen" Rücktransport zu beginnen.
Weitere Transporte führten dann am 20. und 27. Juni "Rote-Kreuz-Autos" durch, unter anderem eins, das KZ-Leute von Hamburg nach München" gebracht hatte. Als Letzte wurden die Mädchen aus Doos und Muggendorf abgeholt.
Der erste Transport auf einem "Lastkraftwagen mit Autobusanhänger". geht am 13. Juli ab, der zweite am 30. Juli und beide dauert vier Tage. Am längsten war eine Mädchen-Klasse der Hansa-Oberschule (heute Helene-Gymnasium) unterwegs. Sie war bereits am 10. April zu Fuß eigenmächtig aus Egloffstein aufgebrochen.
Ihre Odyssee "voller Abenteuer und Gefahren" mit Militärkraftwagen, Eisenbahn und Pferdegespannen ging durch die "russische Zone" und dauerte 4 ½ Monate.
Nur mit Mühe und mit Hilfe von "zweieinhalb Flaschen Branntwein" gelang es, am 15. August "die Grenze des russischen Gebietes" zu überwinden und gegen Ende des Monats in Hamburg anzukommen.
die ersten Evakuierten kamen schon 39 aus dem Saarland. Zu diesem Thema sehr zu empfehlen: Martin Broszat, Bayern in der NS-Zeit: Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte (aus dem Inhalt: Ein Landkreis in der Fränkischen Schweiz - Der Bezirk Ebermannstadt 1929-1945)
oder http://books.google.de/books?id=8EFFxMEz_rUC&hl=de&source=gbs_book_other_versions