Im April endete in Pottenstein die NS-Zeit

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KZ-Häftlinge einige Wochen nach ihrer Befreiung in Pottenstein. Repros: Archiv Franze
KZ-Häftlinge einige Wochen nach ihrer Befreiung in Pottenstein. Repros: Archiv Franze
In der Pottensteiner Magerscheune waren über 300 KZ-Häftlinge untergebracht.
In der Pottensteiner Magerscheune waren über 300 KZ-Häftlinge untergebracht.
 
Wilhelm Geusendam um das Jahr 1970
Wilhelm Geusendam um das Jahr 1970
 

Als am 16. April 1945 die Amerikaner in Pottenstein einmarschierten, ging dort auch der Schrecken in der KZ-Außenstelle in der Mager-Scheune zu Ende. Dem sicheren Tod konnten die 360 Häftlinge mit viel Glück und dank großem Mut entgehen.

Am 15. April jähren sich wieder einmal die dramatischen Ereignisse, die Pottenstein am Kriegsende 1945 erlebt hat. Mehr als jeder andere Ort in der Fränkischen Schweiz befand sich Pottenstein als Standort einer SS-Kompanie und einer KZ-Außenstelle in einer besonderen Gefahrenlage. "Bis Donnerstag den 12. April herrschte ... allgemein Ruhe", heißt es in der Aufzeichnung, die unmittelbar nach Kriegsende der kommissarisch eingesetzte Bürgermeister Franz Eichenmüller "über die Vorkommnisse des 15. und 16. April 1945 in der Stadt Pottenstein" gemacht hat.

Gegen den Willen der Bevölkerung errichtete die im Ort stationierte SS zwei Gefechtsstände zur Verteidigung gegen die heranrückenden Amerikaner. Der Volkssturm wurde in Bereitschaft versetzt, verfügte allerdings nur über zehn Gewehre und hatte zudem keinerlei Munition.

Abmarsch aus dem Lager

Am Tag darauf begann die Auflösung der Flossenbürger KZ-Außenstelle in der Mager-Scheune. Die 360 Häftlinge mussten sich zum Abmarsch aus dem Lager bereithalten.

Beim Verladen des Gepäcks verschafften sich einige von ihnen "mit Hilfe der Bevölkerung" Zivilkleider und kamen sogar in den Besitz von Pistolen. Gegen Abend flüchtete der SS-Standartenführer Hans Brand (1879-1959) "als erster mit 6 Begleitmannschaften ..., 2 vollbeladenen Lkw und 3 Pkw" aus Pottenstein - angeblich, um seine "Geheimakten nach einem sicheren Ort zu bringen".

In Wirklichkeit aber setzte er sich schon in Bayreuth vom Transport ab, suchte kurz seine Wohnung auf und fuhr dann allein nach Simbach am Inn ab.

Panische Gerüchte

Ab Samstag, 14. April, verschärfte sich zusehends die Situation. Die Gerüchte verdichteten sich, dass die Amerikaner die Stadt unter Beschuss nehmen würden, falls sie nicht freiwillig kapitulieren und die Panzersperren öffnen sollte.

Aus Angst vor Luftangriffen und Meldungen über heranrückende amerikanische Panzer versteckte sich tagsüber der "größte Teil der Bevölkerung" in Luftschutzkellern oder nahen Höhlen. In seinem Buch "Touristenidylle und KZ-Grauen - Vergangenheitsbewältigung in Pottenstein" schildert Peter Engelbrecht, dass die KZ-Häftlinge am Nachmittag gegen 17 Uhr den Befehl erhielten, unter dem Lagerkommandanten Wenzel Wodak (1909-1948) über Pegnitz in ihr Stammlager Flossenbürg abzumarschieren.

Sie kamen aber nur bis Willenreuth, kehrten hier um und übernachteten beim Elbersberger Wasserwerk. Von da aus ging es am nächsten Morgen zurück nach Pottenstein. Aber nicht ins Lager, sondern auf eine "Anhöhe über Pottenstein", "am Rande eines Waldes oben auf dem Felsen ... weit genug entfernt ... von den SS-Unterkünften auf der Bernitzleite. Mit den relativ besten Möglichkeiten für eine Flucht, wenn Gefahr in Verzug sein sollte", so schildert es Wilhelm Geusendam (1911-1987) später in seinem Bericht. Wilhelm Geusendam war der Lagerälteste.

Am Nachmittag wurden die Deutschen unter den Häftlingen aussortiert. Sie erhielten den Befehl, zur SS-Kompanie am Bernitz abzumarschieren und hier mit der SS gegen die Amerikaner zu kämpfen.

Wilhelm Ge usendam befürchtete das Schlimmste für die übrig gebliebenen 300 Ausländer und versuchte, den Kommandanten umzustimmen. Der aber reagierte barsch und brüllte: "Halt die Klappe. Das Erschießungskommando ist unterwegs." Da war plötzlich ganz aus der Nähe Maschinenfeuergewehr zu hören, erinnerte sich Geusendam. Panik brach aus. Geusendam schreit: "Alles weg, die Felsen runter!" Dann sieht er, wie die SS-Posten als Erste springen, weil sie denken, die Amerikaner sind da.

Drei Tage und drei Nächte

Geusendam selbst stürzte wie die anderen Häftlinge und die Wachtposten den steilen Hang hinab ins Püttlachtal. Er versteckte sich im Wald und blieb hier "drei Tage und drei Nächte" lang, bis alles vorüber war. Tatsächlich überlebten alle 360 Häftlinge. Bis auf einen polnischen Sanitäter, der an einer Panzersperre erschossen wurde. Am späten Nachmittag formierte sich in Pottenstein unter der Führung des Zahnarztes Krawutschke Widerstand gegen eine weitere Verteidigung der Stadt.

Gegen "einzelne Parteimitglieder und gegen den lebhaften Protest" einer im "Goldenen Anker" untergebrachten Sanitätsabteilung aus Coburg wurde "die ganze Stadt weiß beflaggt". Der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Hans Dippold (1900-1975) gestand nach einer "erregten Aussprache" ein, machtlos gegenüber den SS-Wachtposten an den Panzersperren zu sein.

Ohne Gegenwehr

Nach Eichenmüllers Aufzeichnungen sorgte Fritz Löhr in der Nacht zum Montag für den Abbau der Panzersperre am Langen Berg, während der Zahnarzt Krawutschke zusammen mit einem Begleiter namens Maas und dem KZ-Häftling Lorenz Ritter Kontakt mit den Amerikanern bei Kirchenbirkig aufnahm.

Das US-Kommando, "bestehend aus ca. 25 Panzern, Panzerspähwagen und anderen Fahrzeugen", hatte "anhand genauer Karten" bereits die Route für den Einmarsch festgelegt und marschierte am frühen Morgen des 16. Aprils ohne Gegenwehr über den Langen Berg in Pottenstein ein. Ortsgruppenleiter Dippold übergab daraufhin die Stadt den Amerikanern.

Noch am selben Tag verhafteten die Besatzer den Gendarmeriemeister Egidius Wehrsdorfer, der - wie Zeitzeugen berichteten - "aus seiner Vorliebe für die Nationalsozialisten zu Kriegszeiten keinen Hehl" gemacht hatte, mit dem KZ-Lager aber außer einigen Vernehmungen von Häftlingen "nichts zu tun" hatte.

"Aus Angst und Erregung über die kommende Zeit", vermerkte Bürgermeister Eichenmüller, erhängte sich tags darauf Wehrsdorfers Frau mit 47 Jahren in der Dienstwohnung der Polizeistation. Mit ihr starben auch Tochter Lydia (25 Jahre) und deren beiden Kinder Karin (drei Jahre) und Klaus (ein Jahr). Ihr Abschiedsbrief, der in maschinenschriftlicher Abschrift im Staatsarchiv Bamberg überliefert ist, zeugt von der Verzweiflung, in der sich die Familie befand.

Die 25-jährige Witwe des SS-Hauptsturmführers Horst Vetter, der als Bataillonschef der berüchtigten 16. SS-Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" 1944 in Italien gefallen war, bat "die amerikanische Besatzungsbehörde ... unseren Papa mit dem Gnadenschuss zu erledigen und uns 5 gemeinsam in ein Loch zu legen".

Sie sah sich mit ihrer Familie allein gelassen, sich verraten und hoffte darauf, dass der "Herrgott" die "Schmach und Behandlung" an denjenigen vergelten werde, die den "geliebten Papa ... in das Elend gebracht haben. Ich habe", bekennt sie, "meine Kinder selbst umgebracht aus Verzweiflung, denn ein Weiterleben ist für uns unmöglich. ... Ich gehe mit meiner Mutter jetzt selbst in den Tod und der Herrgott wird mir diese Tat verzeihen."

Es war wohl eine Kurzschlussreaktion, denn Egidius Wehrsdorfer wurde schon nach wenigen Monaten aus der Internierungshaft entlassen.

Sinnlose Opfer

Schon zuvor hatte sich am 16. April in der Außendienststelle der Waischenfelder SS-Forschungsstätte "Ahnenerbe", dem heutigen Rathaus, der SS-Hauptsturmführer Adolf Rampf das Leben genommen. Dass Pottenstein vor noch größeren Tragödien bewahrt blieb, ist dem Mut des KZ-Häftlings Geusendam und des Zahnarztes Krawutschke zu verdanken.

Trotzdem: Wer vor der Gefallenentafel an der Pfarrkirche steht und die Namen jener 123 Soldaten liest, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben lassen mussten, den erfasst die Trauer über die sinnlos geopferten jungen Männer.