Die Tochter des jüdischen Emigranten Max Fleischmann schenkt die Brieftasche ihres Opas dem Museum in Tüchersfeld.
Es war ein bewegender Moment. Als Inge Fowlie (83), aus Toronto im Fränkische-Schweiz Museum die Brieftasche ihres Großvaters Carl Fleischmann, ein jüdischer Viehhändler aus Aufseß, an Rainer Hofmann den Leiter des Museums übergab, versagten ihr die Worte. Die Bilder der Reichskristallnacht, die Inge in Deutschland erlebt hatte, tauchten wieder vor ihren Augen auf.
In der Brieftasche bewahrte die Psychologin, die zehn Jahre mit dem jüdischen Psychoanalytiker Bruno Bettelheim in Chicago gearbeitet hatte, alles auf, was sie an ihre deutschen Wurzeln erinnerte. Sie habe zwar den den jüdischen Glauben, räumte Inge Fowlie ein, aber sie fühle sich als Deutsche, der die Heimat genommen wurde.
Im Herzen ein Fränkin Ihre Kindheit verbrachte sie in Nürnberg.
Viel Zeit verbrachte sie bei den Großeltern mütterlicherseits in Demmelsdorf (bei Scheßlitz) oder väterlicherseits in Aufseß. Am 29. April 1940 wanderte sie mit ihren Eltern nach Amerika aus. Das Ziel: New York.
Im Herzen blieb sie aber Franken verbunden. So hütete sie den Brief, den ein Nachbar ihrer Großeltern aus Demmelsdorf geschrieben hat, wie ihren Augapfel. Auf acht Seiten informiert der Briefschreiber, wer aus ihrer Verwandtschaft den Krieg überlebt hat, wer nicht, und was mit dem Nachlass der Großeltern passiert war.
Darin schildert der Schreiber auch, dass die Großeltern nach Theresienstadt deportiert wurden. Im Konzentrationslager, so erfuhr Inge Fowlie, sei ihr Cousin Jakob, in den Armen ihrer Oma Klara gestorben. "Mit ihm geht meine ganze Seele", hatte Klara in einem Tagebuch vermerkt.
Tod in Theresienstadt Auch ihr Mann, der Viehhändler Carl Fleischmann, der auch Gedichte schrieb, starb acht Monate später in einer Gaskammer in Theresienstadt. Am 1. Januar 1942 hatte er noch in einem Büchlein vermerkt, dass ihm Thomas Bracht 423 Mark 40 Pfennig an Zins schuldet. Am 10. März 1942 erhielt er von Erwin Ludwig Kann aus Leimershof (bei Breitengüßbach) 185 Mark an Zinsen für ein Darlehen, das er Kann wohl gegeben hatte. "Dieses Büchlein, das die Geschäftsbeziehungen von Carl Fleischmann offen legt, beweist also, dass selbst mitten im Holocaust die Geschäftsbeziehungen noch funktionierten", urteilte Museumsleiter Hofmann.
Die Notizen und alles was ihm sonst wichtig war, hat Carl Fleischmann in der Brieftasche, die nun dem Fränkische Schweiz Museum übergeben wurde, seinem Nachbarn anvertraut, als er ins Konzentrationslager kam.
In einem Brief an seinen Sohn Max, Inges Vater, offenbarte Carl Fleischmann, dass er verprügelt worden sei und Fanny, seine einzige Tochter von der Schule ausgeschlossen wurde, weil sie Jüdin war. Er könne seine Tochter nicht allein lassen, schrieb Carl Fleischmann, der sich wohl mit Auswanderungsgedanken trug, sich aber zum Bleiben entschied.
Soldbuch vom Ersten Weltkrieg "Die Welt ist schon komisch", sinnierte Inge Fowlie. Jetzt ist eine Enkelin von Fanny Rektorin an jener Schule, aus der ihre Großmutter ausgeschlossen wurde. Die Brieftasche des Carl Fleischmann enthält außerdem ein "Gebet der Trauer", ausgeschnitten aus der in New York erscheinenden Zeitschrift "Der Aufbau". Das Gebet stammt aus der Ausgabe vom 23. Juni 1943.
Ferner ist das Soldbuch von Carl Fleischmann aus dem Ersten Weltkrieg erhalten. Carl war Infanterist des 23. Battalions der fünften Kompanie.
Aufgezeichnet sind alle Verletzungen und Einsätze. "Aber er war kein Held", lacht Inge Fowlie, denn im Familienkreis wurde erzählt, dass der Großvater einen Pfennig unter die Zunge gelegt habe, um Fieber zu bekommen und länger im Lazarett bleiben zu können. Sein Bruder Ludwig dagegen, der im Ersten Weltkrieg einen Arm verloren habe, sei auf einem Foto im Hause der Großeltern sehr heroisch dargestellt gewesen", erinnert sich Inge Fowlie, die mittlerweile der Familie ihrer Tochter Sarah nach Toronto (Kanada) gefolgt ist und noch bis Freitag bei Freunden in Bayreuth bleiben wird. Ehe sie wieder zurück fliegt, ist Inge Fowlie, die am 27. Mai 84 Jahre alt wird, Gast im Erzählcafe der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden.