Erster Weltkrieg: Das Grauen an der Westfront

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Dem im Westen eingesetzten Gas fielen unzählige Soldaten zum Opfer.Repros: Franze
Dem im Westen eingesetzten Gas fielen unzählige Soldaten zum Opfer.Repros: Franze
 
Der Ebermannstadter Hans Lachmeyer
Der Ebermannstadter Hans Lachmeyer
 
 

Auch junge Soldaten aus dem Landkreis Forchheim zogen im Spätsommer 1914 mit fliegenden Fahnen in den Ersten Weltkrieg. Nicht wenige sahen ihre Heimat nie wieder.

Wie in ganz Deutschland waren im August 1914 viele Soldaten auch aus unserer Heimat mit der Überzeugung in den Krieg gezogen, bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein. Nach zehn Monaten Krieg war dieser Optimismus aber gründlich verflogen. Bisweilen waren in den drei Tageszeitungen - Forchheimer Tagblatt, Forchheimer Zeitung und Wiesent-Bote - ganzseitig die Todesanzeigen von Gefallenen zu lesen: aus allen Orten, allen Berufen und jedes Alters.

Darunter waren auch Schüler und Studenten - der Jüngste unter ihnen erst 17 Jahre alt. Sie alle sind an der Westfront im Herbst 1914 gefallen, nachdem der deutsche Vormarsch auf Paris in der Marne-Schlacht gescheitert war. Ab dem 11. September erstarrte die Front in einer Länge von fast 700 Kilometern. Beide Seiten verschanzten sich in Schützengräben und bekriegten sich mit allen zur Verfügung stehenden Waffen.

Feindliche Reihen

Um doch noch einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen, versuchten die Deutschen im Oktober 1914, sich an der belgisch-französischen Kanalküste festzusetzen.

In der vier Wochen andauernden Flandernschlacht fielen im November 1914 zwei junge Männer aus unserer Region: der Gymnasiast Hans Lachmayer aus Ebermannstadt und der Student Karl Siebenlist aus Unterweilersbach. Sie fielen in den Gefechten um Ypern, wenige Tage vor dem Versuch, mit Freiwilligenverbänden am 10. November die feindlichen Reihen mit unausgebildeten, meist noch jungen Reservisten zu durchbrechen. Die blutigen Verluste und das militärische Scheitern beschönigte die Oberste Heeresleitung mit dem folgenden Satz: "Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über Alles' gegen die erste Linie der feindlichen Stellung vor und nahmen sie." Auch der Wiesent-Bote und das Forchheimer Tagblatt veröffentlichten diese amtliche Meldung.

In der Folge entstand ein Opfermythos, der nach 1919 dazu beigetragen hat, die junge Demokratie zu untergraben und ein Pathos zu befördern, das auch Hitler immer wieder in seinen Reden benutzte.

40 000 Freiwillige

Der Langemarckplatz um das Studentenhaus in Erlangen trägt noch heute den Namen, in den ihn 1937 die Nationalsozialisten umbenannt haben. Dass aber allein bei Ypern unter den 50 000 deutschen Gefallenen über 40 000 Kriegsfreiwillige waren und der Angriff ein grandioser Fehlschlag war, tauchte in den Meldungen nicht auf.

Überraschenderweise konnte aber im Januar 1915 im Wiesent-Boten ein Feldpostbrief abgedruckt werden, in dem berichtet wurde, was der Obersten Heeresleitung überhaupt nicht gefiel: die Waffenruhe zu Weihnachten 1914 an der flandrischen Westfront. Ein Soldat aus Egloffstein schrieb nach Hause: "Gott sei Dank ist Weihnachten glücklich abgelaufen. Ich wünsche mir keine solchen Feiertage mehr und dachte oft an die schönen Stunden, die wir miteinander verlebten. Es ist mir hart gefallen, wie ich an die Heimat dachte. Von 9-10 war ich auf Posten und mir wars gerade als hörte ich die Glocken zur Kirche rufen. Der erste Feiertag ist ganz ruhig bei uns abgelaufen. Früh morgens 9 Uhr riefen die Franzosen immer ,deutsches Kamerad' und wir wußten nicht, was los ist."

Frieden an Weihnachten

Weiter heißt es in der Feldpost: "Endlich schauten wir aus dem Graben heraus. Es fiel kein Schuß und als sie uns sahen, trauten sie sich auch herauszuschauen. Dann in fünf Minuten war alles aus dem Schützengraben heraus. Die Franzmänner winkten ganz freundlich und wir auch. Doch hatte keiner die Schneid, zu uns herüberzugehen. Da machten sich vier Mann von uns auf und gingen hinüber, reichten ihnen die Hand und ein kleines Weihnachtsgeschenk, nämlich einen kleinen Christbaum und eine Schachtel Zigaretten. Diese feine Unterhaltung dauerte eine Stunde. Dann mußten wir in die Gräben und die Schießerei ging wieder los. ..."
Dieses Weihnachtswunder fand natürlich keinen Niederschlag in den offiziellen Verlautbarungen der deutschen Heeresleitung, ist aber vor allem in England im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Denn im Wesentlichen hat es sich zwischen Mesen und Nieuwkapelle zugetragen, wo sich die Soldaten des britischen Devonshireregiments und des bayerischen Reserveinfanterieregiments (RIR) 16 gegenüberstanden.
Am Heiligen Abend waren hier aus beiden Schützengräben Weihnachtslieder zu hören. Irgendwann kam ein Deutscher heraus und rief den Briten zu: "Ihr schießt nicht, wir schießen nicht. Es ist euer Weihnachtsfest. Wir wollen Frieden. Ihr wollt Frieden" - so schildert es der aktuell in den USA lehrende Historiker Thomas Weber. Nach seiner Darstellung haben sich am 24. Dezember 1914 auf etwa zwei Dritteln der von britischen Einheit besetzten Westfront beiderseits der belgisch-französischen Grenze etwa 400 britische und deutsche Soldaten im Niemandsland getroffen, kleine Geschenke ausgetauscht und vereinzelt sogar miteinander Fußball gespielt.
Dass das aber auch zwischen Deutschen und Franzosen der Fall gewesen ist - wie es der Egloffsteiner Soldat nach Hause berichtete - war eher die Ausnahme. Interessant ist, dass auch Hitler im RIR 16 diente, also in der Einheit, dessen Männer - wie Weber sagt - mindestens zur Hälfte an diesem Weihnachtsfrieden teilnahmen. Hitler war zwar zu diesem Zeitpunkt nicht direkt an der Front, sondern dahinter beim Regimentsstab. Er habe sich aber als erbitterter Gegner der Waffenruhe gezeigt.
Tatsächlich war es mit der weihnachtlichen Waffenruhe auch sehr schnell vorbei. Der Wetterumschwung und Befehle der Vorgesetzten beendeten das friedliche Miteinander. Verbrüderungsversuchen zwischen den Engländern und unseren Mannschaften wurde energisch entgegengetreten. Ypern war auch der Ort, an dem erstmals in der Geschichte tödliches Gift eingesetzt wurde. Den Einsatz plante die deutsche Heeresleitung seit dem Jahreswechsel 1914/15.

Angriff mit Chlorgas

Ab Anfang April streute sie in ihre amtlichen Berichte immer wieder ein, dass die Franzosen Geschosse mit betäubender Gasentwicklung verwendeten.
Allerdings waren das Chemikalien, die nicht die Wirkung des von Fritz Haber (1868-1934) entwickelte Chlorgases hatten. Die sich täglich wiederholenden Meldung der Obersten Heeresleitung sollten den ersten Chlorgas-Angriff rechtfertigen, den wir in der Kriegsgeschichte kennen und der nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 verboten war.
Tatsächlich erfolgte er am 22. April - gegen alle Bedenken, die Kronprinz Rupprecht von Bayern als Befehlshaber der an der Westfront eingesetzten 6. deutschen Armee äußerte. 150 Tonnen Chlorgas, die aus über 5000 Stahlzylindern ausgeblasen wurden, erzeugten eine Wolke von etwa sechs Kilometern Breite und bis zu 900 Metern Tiefe. Bei dem Angriff kamen mindestens 620 französische Kolonialsoldaten ums Leben. Dass aus unserer Heimat Soldaten durch Gas umkamen, davon ist in unseren drei lokalen Tageszeitungen nichts zu lesen.