Erfahrungen in Forchheim nach zehn Jahren Hartz IV

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Foto: Jens Büttner/dpa
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Mit einer Tastenkombination können Mitarbeiter Amok-Alarm auslösen. Foto: Peter Groscurth
Mit einer Tastenkombination können Mitarbeiter Amok-Alarm auslösen. Foto: Peter Groscurth
 
Teamleiterin Heidrun Reinhardt und Geschäftsführer Roland Dauer in einem Büro der Arbeitsagentur Foto: Peter Groscurth
Teamleiterin Heidrun Reinhardt und Geschäftsführer Roland Dauer in einem Büro der Arbeitsagentur Foto: Peter Groscurth
 

Mitarbeiter des Jobcenters Forchheim sehen die Einführung von Hartz IV vor zehn Jahren positiv. Der Kontakt zu den Arbeitssuchenden sei viel enger geworden. Im Notfall kann das Personal aber auch Amok-Alarm auslösen.

Fördern und fordern - diese beiden Begriffe umschreiben die Kernpunkte der umstrittenen Hartz-IV-Reform. Vor genau zehn Jahren startete sie mit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe sowie einer stärkeren Betreuung von Langzeitarbeitslosen und Bedürftigen. Auch in Forchheim nahm damals das Jobcenter mit seinen heute 44 Beschäftigten den Betrieb auf.

Geschäftsführer Roland Dauer und Heidrun Reinhardt, Teamleiterin Integration, sind seit Jahren die Macher im Jobcenter, kennen die schweren Fälle, wissen, wo es bei der Vermittlung von Menschen in Jobs hakt. Wie fällt ihre Bilanz aus? "Vor Hartz IV gab es keine große Arbeitsvermittlung für Sozialhilfe-Empfänger", sagt Dauer. Der Staat verwaltete damals nur das Leben der Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen.
Doch das hat sich komplett geändert.

"Dichter dran"
"Heute gibt es einen viel intensiveren Kontakt zwischen unseren Kunden und unseren Sachbearbeitern oder Arbeitsvermittlern", erklärt Heidrun Reinhardt. Und sie fügt an: "Wir sind somit viel dichter an den Menschen dran, können besser Lösungen für sie finden."

Früher hatte ein Vermittler weit über 300 Menschen zu betreuen - heute sind es dank Hartz IV etwa 230. Etwa 13 Millionen Euro bekommen die rund 2500 Menschen, die im Landkreis Forchheim Leistungen vom Staat erhalten - wie etwa den Regelsatz (bis zu 391 Euro), Mietzuschüsse oder andere Zuwendungen.

Suche nach Fachkräften
Dabei hat sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen zehn Jahren im Kreis mit seinen 113.000 Einwohnern prächtig entwickelt: Waren 2005 fast 1600 Beschäftigte ohne Job, sind heute knapp 740 Menschen auf Arbeitsplatzsuche. "Viele Firmen brauchen händeringend Fachkräfte, doch leider gibt es unter unseren Kunden im Jobcenter sehr viele ungelernte Menschen, die wir nur schwer vermitteln können", sagt Dauer.

Daher legen seine Mitarbeiter einen Schwerpunkt auf die Betreuung von Jugendlichen. "Wir machen ihnen klar, dass Ausbildung das A und O für den späteren Erfolg auf dem Arbeitsmarkt ist", stellt der Geschäftsführer fest. Selbst wenn es zunächst weniger Geld in Lehrberufen gebe: "Hiervon dürfen sich die jungen Leute nicht beirren lassen."

Und die Kritik an Hartz IV? Die verstummt nicht. Experten wie Politiker schimpfen, dass die Gräben in unserer Gesellschaft tiefer geworden seien und viele Menschen das System der Grundsicherung als repressiv und ungerecht empfinden. Das Versprechen der damaligen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), für jeden, der bereit sei, sich anzustrengen, einen vernünftigen Arbeitsplatz zu finden, sei nicht eingelöst worden. Es werde viel zu wenig in die Qualifikation von Arbeitslosen investiert.

Arbeiten bis 20 Uhr
Wo gibt es Schwachpunkte? Dauer und seine Kollegin Heidrun Reinhardt müssen nicht lange überlegen. "Vor allem Familien oder Alleinerziehende benötigen ein besseres Angebot für die Betreuung von Kindern", fordert Reinhardt. Jobs im Handel etwa würden häufig abends bis 20 Uhr gehen - nur sei genau das ein Problem für Mütter von Kindern, deren Kitas um 16 Uhr schließen. "Hier brauchen wir dringend mehr und bessere Angebote", meint Roland Dauer.

In diesem Punkt gebe es auch eine enge Vernetzung mit Kommunen und dem Landkreis, um hier für eine Verbesserung zu sorgen. Häufig sei es auch ein Problem, dass gerade ungelernte Menschen durch ihre Vollzeitarbeit nur wenig mehr als staatliche Leistungen bekommen würden. Für solche Menschen rechne sich nach deren Ansicht der Aufwand für eine geregelte Beschäftigung gar nicht.

Und was ist dran an den Vorwürfen, dass überdurchschnittlich viele Migranten Hartz-IV-Leistungen beziehen würden? "Etwa 17 Prozent unserer Kunden im Jobcenter sind Menschen mit einem Migrationshintergrund, deren Anteil in der Gesamtbevölkerung um rund acht Prozent pendelt", stellt Dauer fest. Größte Hindernisse für eine erfolgreiche Vermittlung auf dem heimischen Arbeitsmarkt seien Sprachhindernisse sowie eine fehlende Ausbildung.

Und wenn Geschäftsführer Dauer einen Wunsch freihätte? Was würde er sich dann wünschen, um die Lage der Hartz-IV-Empfänger oder Aufstocker zu verbessern? "Ich würde mir mehr Geld und auch noch mehr Personal für unser Jobcenter wünschen, damit wir unseren Kunden noch bessere Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen anbieten können."

Wie groß ist aber der Frust unter den Langzeitarbeitslosen in der Region? Gab es auch schon Übergriffe im Jobcenter oder Schläge für die Mitarbeiter dort? "In den zehn Jahren seit der Hartz-IV-Einführung mussten nur drei Hausverbote ausgesprochen werden", berichtet Dauer. Für Schlagzeilen sorgte der Fall eines psychisch verwirrten Mannes, der mit einem Benzinkanister durch die Räume des Forchheimer Jobcenters marschierte, ohne aber etwas dort anzuzünden. Für genau solche Fälle gibt es Vorkehrungen in der Behörde. "Mit Hilfe von bestimmten Kombinationen auf der Tastatur können wir unsere Kollegen im gesamten Gebäude rasch warnen. Dann erhalten sie über ihre PCs Hinweise und wissen, wie sie sich verhalten sollen."

Eine zweite Tür
Zudem hat jedes Büro eine zweite Tür, so dass Sachbearbeiter und Vermittler rasch flüchten können. Doch solche Szenarien spielten in den Köpfen der Mitarbeiter nur eine untergeordnete Rolle, sagt Dauer. Viel wichtiger sei, dass jeder da sein möchte für seine Besucher. Damit genau das passiert, was sich Geschäftsleute nie wünschen würden: Dass ihre Kunden so viel Erfolg haben, dass sie nicht mehr zurückkommen.



Hartz IV als Dauer-Baustelle
Gesetz: Mit dem "Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", so der amtliche Name von Hartz IV, wurde das Sozialsystem in den vergangenen zehn Jahren radikal um- und abgebaut. Seitdem ist das Gesetz quasi eine Dauerbaustelle, bei der permanent nachgebessert, ergänzt und verändert wird.

Grundsicherung: Als Hartz IV am 1. Januar 2005 in Kraft trat, wurde damit im offiziellen Sprachgebrauch die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe in einer neuen "Grundsicherung für Arbeitssuchende" zusammengelegt. Faktisch wurde die Arbeitslosenhilfe abgeschafft.

Die Arbeitslosenhilfe bildete bis 2005 einen Puffer für die Arbeitslosen, die aus dem Bezug von Arbeitslosengeld herausfielen.

Die Arbeitslosenhilfe lag über dem Niveau der Sozialhilfe und war an die Höhe des früheren Lohns gebunden. Mit Hartz IV entfiel der Puffer. Seit 2005 fallen Arbeitslose nach meist einem Jahr hinab auf das Niveau der früheren Sozialhilfe.