Das Zauberwort beim Umgang mit Fremden heißt Respekt

2 Min
Renan Demirkan bei ihrem Besuch in der Zehntscheune Foto: Pauline Lindner
Renan Demirkan bei ihrem Besuch in der Zehntscheune Foto: Pauline Lindner

Die Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan stellte in der Zehntscheune in Neunkirchen am Brand ihr achtes Buch "Migration - das unbekannte Leben" vor.

Ein kleines Energiebündel trotzt auf dem Podium in der Zehntscheune den doch recht kühlen Temperaturen. Die Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan, einst Inhaberin eines türkischen Passes, stellte bei den Literaturtagen "Blätterwald" ihr achtes Buch "Migration - das unbekannte Leben" vor.

"Ich bin mit sieben Jahren von Ankara nach Hannover gekommen. Das siebenjährige türkische Mädchen bin ich geblieben, aber den Rest des Lebens war ich deutsch", stellt sich die 61-Jährige als engagierte Kämpferin für die Teilhabe aller Migranten vor. "Wir sprachen dann auch zu Hause nur deutsch", betont sie. Das Verbindende sucht sie, den gegenseitigen Respekt fordert sie ein, auch in ihrem achten Buch. Aus dieser Anthologie vor allem gehaltener Ansprachen trägt sie Abschnitte vor.


"Grassierende Ungleichheit"


30 Jahre ist Migration ihr Thema - mit "unveränderter Notwendigkeit", denn sie sieht eine "grassierende Ungleichheit". "Jede Form des Ausgrenzens hat klein angefangen und endete in einer Katastrophe", befürchtet sie angesichts der Aktionen von Gruppen wie der AfD. Als "völkisches Unwesen" fasst sie die vielen, teilweise hochkriminellen Aktivitäten zusammen.

Ausgelöst hätten diese eine "Retro-Identität bei den Türken samt Kopftuch und Bart". Eine Welle, die erst die Türkei erreichte, nachdem sich viele türkischstämmige in Deutschland Erdogan zugewandt hatten. Denn der zeigte damals Verständnis für sie und brachte die Türkei voran, nicht zuletzt deshalb, weil er ihr ihre Geschichte zurückgab.


Der Fluch der Moderne


Der Kemalismus ist für Demirkan eine Militärdiktatur, die auf dem westlichen Modell basiert, keine Demokratie. Dass Erdogan diesen Prozess überzog und nun selbst diktatorische Züge zeigt, steht für sie - und für die Analyse des Migrations- und Integrationsprozesses - auf einem anderen Blatt.

Die ausländer- und einwandererabwehrende Haltung entstand ihrer Auffassung nach als Reaktion auf die eigene Lebenssituation, die seit der Agenda 2010 von unsicheren Arbeitsverhältnissen, insbesondere Zeitverträgen geprägt ist. "Das sind Tagelöhner, die existenziell Angst haben", erklärt sie den Rechtsruck bei den vergangenen Wahlen.

"Flexibilität ist vielleicht der Fluch der Moderne", sagt sie, hält sie aber für ursächlich für die steigende Zahl von Singlehaushalten und Armutsgefahr selbst bei Akademikern. Den ökonomischen Ursachen des Rassismus will sie eine soziale Balance entgegensetzen, "damit die Wut nicht in Aggression umschlägt". Dazu müsse in Deutschland die soziale Marktwirtschaft eingefordert werden.


Checkpoint Demokratie


"Die Islamophobie ist hoffähig geworden", beklagt sie, auch wenn sie die oben genannten Ursachen für nachvollziehbar hält. Vorhanden war sie schon zu Zeiten des ersten Anwerbevertrags mit der Türkei, der auf Drängen der Amerikaner und der Nato aus geostrategischen Gründen zustandekam. "Die passen nicht zu uns", soll der damalige Arbeitsminister geäußert haben. Eine Haltung, die auch Helmut Kohls Zögern beim Thema EU-Mitgliedschaft gezeigt habe.

"Wir brauchen ein neues, ein respektvolles Miteinander", schließt sie aus diesem Ursachenbündel und lädt zur Teilhabe an der Aktion "Checkpoint Demokratie" ein. "Wir müssen die Idee des Respekts überall hineintragen, um unser selbst willen." Deshalb will sie "kulturelle Unterschiede synchronisieren, nicht integrieren". In letzterem Begriff steckt ihr zu viel von Verschmelzen und Untergehen wie bei chemischen Prozessen. Nicht zuletzt für die klare Analyse der Ursachen und der dadurch erzeugten Wechselwirkungen dankte ihr das Publikum mit stehendem Applaus.