Nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben Tausende von Vertriebenen im Landkreis Forchheim eine neue Heimat gefunden. Willkommen waren sie hier keineswegs immer.
Erstmals findet 70 Jahre nach Kriegsende auf Beschluss der Bundesregierung am 20. Juni ein "Gedenktag für Opfer von Flucht und Vertreibung" statt. Dass fast zwölf Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge - trotz der Katastrophe des von Hitlers begonnenen Krieges - friedlich integriert werden konnten, ist in der deutschen Geschichte eine einmalige Leistung.
Forchheim und die Fränkische Schweiz hatten allerdings große Schwierigkeiten, die aus dem Osten ausgewiesenen Landsleute unterzubringen.
Andere Sprache und Sitten Dabei war es schon während des Krieges zu einschneidenden Veränderungen des ländlichen Lebens gekommen. Ab dem Jahr 1943 nahm der Zustrom von Fremden, die in Sprache und Sitten auffallend anders waren, erheblich zu.
Evakuierte aus dem Saarland, Bombengeschädigte und ganze Schulkassen aus Hamburg, Parteigänger ausgelagerter nationalsozialistischer Einrichtungen, ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter brachen in das traditionell bäuerliche Leben ein.
Bis Ende 1950 spitzte sich die Lage dramatisch zu: Bayern hatte innerhalb von fünf Jahren den Zustrom von 1,9 Millionen Menschen zu bewältigen, die zum größeren Teil in den Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken, Niederbayern und Oberpfalz untergebracht wurden.
In Forchheim sowie den Landkreisen Forchheim und Ebermannstadt wuchs die Bevölkerung zwischen 1939 und 1950 um 27 498 auf 90 741 Personen an, was einem Zuwachs von 43,5 Prozent entsprach. Bei der Flucht vor den Russen oder vor der Vertreibung durch die Tschechen konnten die meisten nur ganz wenig Gepäck mitnehmen. Einige wenige, die in Forchheim und Umgebung eine neue Heimat fanden, kamen wie Alfred Stache mit seiner Familie im geschlossenen Treck mit Kuh- oder Pferdegespannen an.
21 Transportzüge Auf Befehl des Ortsbauernführer musste er mit allen Bewohnern sein Dorf in der Nähe von Glogau verlassen. Auf einem hohen Kastenwagen wurde das Notwendigste verstaut, für die drei Pferde Heu und Hafer mitgenommen und dann mitten im Winter in langer Kolonne der Marsch nach Westen angetreten.
67 Tage waren sie unterwegs, bis sie nach 600 Kilometern am Karfreitag 1945 in Wohlmuthshüll einquartiert wurden. "Wir standen den ganzen Nachmittag auf der Straße", schreibt er in seinen Erinnerungen. "Herr Bürgermeister Wölfel suchte in der ganzen Ortschaft nach einem Quartier für uns. Die Bewohner gingen lieber um die Zeit zum Gottesdienst, als dass sie ein Obdach bereitstellten." Schließlich kam die Familie in zwei Räumen bei "netten und guten Leuten" unter. Elender waren die 7391 Heimatvertriebenen dran, die zwischen 1946 und 1948 in insgesamt 21 Transportzügen dem Landkreis Forchheim zugewiesen wurden.
Der Großvater des Verfassers, Rudolf Franze, schreibt in seinen Aufzeichnungen, dass er gemeinsam mit vielen anderen Landsleuten im August 1945 aus Braunau in Böhmen ausgewiesen wurde, ein halbes Jahr in einem tschechischen Barackenlager inhaftiert war und die Männer Zwangsarbeit in einem Bergwerk zu leisten hatten, bis der Großteil schließlich im Januar 1946 mit einem Sammeltransport in die amerikanische Zone abgeschoben wurde.
Erschöpfte Kapazitäten Nach langer Fahrt über Pilsen und Furth im Walde hielt der Zug in Nürnberg und Fürth, wo "jeweils zwei Waggons abgekoppelt" wurden. Dann heißt es weiter: "Die ersten Braunauer verließen den Zug." Dann wurden in Erlangen die nächsten ausgeladen, bis er selbst mit seinen Angehörigen in Forchheim ausgestiegen ist. Das war am 28. Januar 1946 der erste Flüchtlingstransport.
Beim 18., der hier am 11. November 1946 mit 1595 Personen ankam, war die Aufnahmekapazität der Stadt völlig erschöpft. Auf höhere Anordnung hin musste er nach Ebermannstadt und Höchstadt weitergeleitet werden. Massenquartiere wurden als Durchgangslager bei der Firma Weber & Ott, in der Spinnerei, der Mädchen- und der Klosterschule, der VfB-Turnhalle, im Waisenhaus, im "Gasthaus zum Hirschen", im Kolpingshaus und in den Baracken am Viktor-von-Scheffelplatz eingerichtet. Ebermannstadt musste im Mai 1946 drei Transporte mit 1380 Vertriebenen auf dem Areal der Polizeischule unterbringen.
In Muggendorf gab es Wohnlager im "Goldenen Stern" und im "Parkhotel", in Veilbronn im "Gasthof Lahner" und im "Gasthof Sponsel" sowie im Schloss von Wiesentfels. Im "Flak- und Ersatzteillager Poxdorf-Langensendelbach" entstand ein "Regierungsflüchtlingslager" mit mehreren Baracken und einem Fassungsvermögen von 367 Personen. "Wir waren etwa 15 Personen mit allem, was wir hatten, in einem Raum von 25 Quadratmetern untergebracht", erinnert sich eine ehemalige Insassin.
"Wasser gab es nur im Freien. Je eine Baracke hatte einen Wasserhahn. Es war eine Waschküche für etwa 400 Personen vorhanden. Ganz am Anfang war eine Baracke mit sechs Klos, alle ohne Türen", heißt es weiter. Das alles ist heute verschwunden, stattdessen hat sich hier eine Siedlung entwickelt, die 1952 den Namen "Hagenau" erhielt und heute zur Stadt Baiersdorf gehört. Von den Durchgangslagern aus wurden die Flüchtlinge auf Privatwohnungen verteilt. Die behördliche Einweisung stieß bisweilen auf heftigen Widerstand.
"Was wollt ihr Zigeuner hier? Geht hin wo ihr hergekommen seid, in unser Zimmer geht keiner, sonst hetz' ich den Hund auf euch" - so wurde im Oktober 1946 einer jungen Frau, ihrer Mutter sowie ihrem Opa in Heiligenstadt entgegengeschleudert.
Am dramatischsten entwickelte sich die Situation in Streitberg. Hier gab es im Oktober 1946 doppelt so viel Flüchtlinge wie Einheimische. Im Vergleich zu 1939 war die Bevölkerungszahl von 443 auf 1318 angestiegen. Dort, wo heute die ehemalige Firma Hertlein ihre Produktionsstätte hat, standen fünf Holzbaracken.
Erinnerung und Tradition Zusätzlich waren die Gasthäuser "Schwarzer Adler", "Alte Post", "Forelle" und "Altes Kurhaus" für die Unterbringung der Flüchtlinge beschlagnahmt.
Der Tourismus war völlig zum Erliegen gekommen. 1946 sah der Bezirks-Oberkommissar Heinrich Meyer in seinem "politischen Lagebericht" an die amerikanische Militärregierung "auf der ganzen Front unübersehbare Schwierigkeiten" und hielt die "Eingliederung der Flüchtlingsmassen" für "völlig aussichtslos". 70 Jahre nach Kriegsende sind die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen hier im Landkreis Forchheim längst voll integriert. An ihr Schicksal erinnert in Forchheim das "Braunauer Heimatmuseum" und mehrere "Landsmannschaften", die mit ihren Trachten und Veranstaltungen ihre Herkunft betonen.