In Deutschland lebende Muslime müssen sich oft den Vorwurf anhören, sich nicht ausreichend um Flüchtlinge zu kümmern. Am Beispiel Erlanger Muslime zeigt sich, dass dieser Vorwurf richtig und falsch zugleich ist.
Wenn es Abend wird, gleicht die Erlanger Friedensmoschee mehrmals in der Woche eher einem Schulhof als einem Ort der Kontemplation und Glaubensbezeugungen. Überall Lachen und Toben, Kinder fetzen die Treppen der zweigeschossigen Moschee rauf und runter. Mittendrin in einem kleinen Raum sitzen vielleicht zehn Flüchtlingskinder mit Birgit Muhammad um einen Tisch, Bücher und Übungsblätter vor sich. "Dass die Flüchtlinge Deutsch lernen, ist das Allerwichtigste", sagt Muhammad.
Drei bis vier Mal in der Woche besucht auch Ehlimann Akbulut die inzwischen 20 Flüchtlingsunterkünfte in Erlangen. Sie schaut dort, woran es den Menschen fehlt , und notiert sich deren Wünsche und Nöte: Die Aufgabe ihres Mannes Sinan ist es, das Gewünschte anschließend zu beschaffen und in die Unterkünfte zu bringen. Es geht um Kleider, Schuhe und Hygieneartikel, vor allem aber um Fahrräder.
Die Akbuluts und Birgit Muhammad sind Teil einer muslimischen Zivilgesellschaft, die im Angesicht Hunderttausender Flüchtlinge nicht nur auf den Staat und dessen Organe baut, sondern sich von der Situation auch selbst zum Handeln herausgefordert fühlt. Offenbar wissen aber selbst Spitzenpolitiker wie Joachim Herrmann (CSU) nicht, dass es Menschen wie Muhammad oder die Akbuluts gibt. Immer wieder hat der bayerische Innenminister moniert, dass die muslimischen Gemeinden sich nicht konsequent genug um die Versorgung und Integration der Flüchtlinge kümmern würden. Immerhin käme das Gros der Flüchtlinge unbestreitbar aus muslimischen Ländern wie Syrien, Irak oder Afghanistan.
Zwang zur Distanzierung
Die Islamische Religionsgemeinschaft aus Erlangen sah sich von Herrmanns Vorwurf zu einer Stellungnahme provoziert: "Für Muslime gilt, man soll seine guten Taten nicht zur Schau stellen", heißt es dort. Es ist ja nicht so, dass sich Muslime nicht schon genug rechtfertigen müssten. Jede neue Gräueltat setzt sie unter öffentlichen Rechtfertigungszwang. Und auch nach den sexuellen Angriffen in der Kölner Silvesternacht erklang der Appell zur öffentlichen Distanzierung. "Die in Deutschland lebenden Muslime spüren den Druck, der Öffentlichkeit etwas beweisen zu müssen", sagt die Bayreuther Islamwissenschaftlerin Paula Schrode.
Kein Geld vom Staat
Einen Wettstreit um das größte Engagement in der Flüchtlingskrise würden die Muslime gleichwohl haushoch verlieren.
Diesen Wettstreit wollen aber nicht nur die in Erlangen lebenden Muslime ohnehin unbedingt vermeiden: "Wir konkurrieren nicht mit der Awo oder Caritas, sondern arbeiten Hand in Hand."
Tatsache ist, dass die muslimischen Gemeinden im Gegensatz zu den Kirchen keine Wohlfahrtsverbände wie die Caritas oder die Diakonie im Rücken haben, wo haupt- und ehrenamtliche Helfer auf der Grundlage gewachsener Strukturen effizient arbeiten. "Wir können nicht mehr leisten. Es fehlt uns an Raum. Wir platzen aus allen Nähten, seit immer mehr Flüchtlinge zum Beten kommen", sagt Mehmet Sapmaz. Vor allem aber fehle es an Geld, klagt der Vorsitzende der Blauen Moschee.
Muslimische Gemeinden in Deutschland finanzieren sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Auf etwas Vergleichbares wie die Kirchensteuer können die Muslime bislang nicht zurückgreifen und nichts deutet darauf hin, dass sich daran bald etwas ändern könnte. Schon jetzt reichen die Mitgliedsbeiträge sowohl in der Blauen Moschee als auch in der Friedensmoschee nicht einmal dazu, die Betriebskosten zu decken.
So wie die Gemeinden bereits vor der Flüchtlingskrise improvisieren und Finanzlöcher mit immer neuen Spendenaufrufen kontern mussten, so improvisiert läuft auch ihre Flüchtlingshilfe. "Für hauptamtliche Helfer haben wir einfach kein Geld", sagt Abdelilah El-Badi, der Vorsitzende der Friedensmoschee.
Kulturelle Aufklärung
Deshalb hilft, wer helfen möchte und darüber hinaus Zeit hat.
Der begleitet die Flüchtlinge auf Ämter und zu Ärzten, sammelt Kleider, kümmert sich um Praktikumsstellen und hört zu, wenn Flüchtlinge sich Ehe- oder Erziehungsprobleme vom Leib reden möchten.
Zum Repertoire von Birgit Muhammad zählt auch der Rat, nicht in zu großen Gruppen unterwegs zu sein ("Das kann Ängste auslösen.") und im öffentlichen Raum nicht zu laut zu telefonieren ("Das empfinden die meisten als unhöflich."). Sie spricht mit den Flüchtlingen immer mal auch darüber, dass sich Liebespaare hier auf offener Straße küssen und Frauen anders gekleidet sind als es die Flüchtlinge oft aus ihren Heimatländern gewohnt sind. Diese Art kultureller Aufklärung betreiben die Gemeinden allerdings so improvisiert und ausschließlich auf Eigeninitiative basierend wie fast alles in der Flüchtlingsshilfe.
Als Pfeiler institutionalisierter Integrationsbemühungen fallen die Gemeinden deshalb aus: "Das würde uns überfordern", sagt El-Badi.
Er schätzt, dass etwa 25 der 250 Gemeindemitglieder regelmäßig Zeit für die Flüchtlinge investieren. Demgegenüber stehen Hunderte von Asylbewerbern, welche die Moschee zum Beten besuchen und sich dort auch Unterstützung und Rat erhoffen. "Die Gemeinden tun, was in ihrer Kraft steht", heißt es bei der Flüchtlingsberatung der Stadt Erlangen.
Am Ende der Kräfte
Die Islamwissenschaftlerin Schrode hält es allerdings für möglich, dass sich viele Flüchtlinge nach einer Phase der Eingewöhnung von den muslimischen Gemeinden auch wieder emanzipieren werden.
Zwar schenke ihnen der gemeinsame religiöse, kulturelle und auch sprachliche Horizont das Gefühl von Geborgenheit.
"Es könnte die Flüchtlinge aber mit der Zeit stören, dass die Religion ihre Identität auch hier zu stark prägt", mutmaßt Schrode. Wahrscheinlich wäre das für die Gemeinden gar keine so schlechte Nachricht. "Wir sind am Ende der Kräfte", klagt El-Badi und berichtet von erschöpften Gemeindemitgliedern, von Burn-outs und Ehekrisen.