Weil ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom seit ein paar Monaten einen gewöhnlichen Kindergarten besucht, befand der Bezirk Oberfranken, dass individuelle Förderung der knapp Dreijährigen nur noch einmal im Monat nötig ist - statt wie bisher einmal pro Woche. Das sieht der Lebenshilfe-Verband anders und zieht nun vor Gericht.
Sie ist fast drei Jahre alt und kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Seit ein paar Monaten geht sie in einen ganz normalen Kindergarten und soll deshalb aus Sicht des Bezirks Oberfranken viel weniger individuelle Förderung benötigen. Die Leistung wurde um 80 Prozent gekürzt.
"Das kommt öfter vor, leider", sagt Rechtsreferentin Ursula Schulz von der Lebenshilfe Bayern. Der Verband für Menschen mit geistiger Behinderung kümmert sich um die Förderung des Mädchens - aber er zieht jetzt nicht nur stellvertretend für die Kleine vors Sozialgericht. Sondern vor allem, um etwas Prinzipielles zu klären: "Es ist ein Musterfall."
Da die bayerische Lebenshilfe ihren Hauptsitz in Erlangen hat, landet der Musterfall am Nürnberger Sozialgericht.
Kinder mit Behinderungen haben laut Sozialgesetzbuch einen Anspruch auf bedarfsgerechte Hilfe im Einzelfall - wie hoch der allerdings ist, bewertet vor allem der Bezirk Oberfranken immer wieder anders als die Lebenshilfe.
So funktioniert Inklusion Dass der Verband nun den juristischen Weg wählt, hat Landtagspräsidentin Barbara Stamm entschieden - in ihrer Funktion als Vorsitzende der Lebenshilfe. Stamm, gelernte Erzieherin aus Unterfranken, sagt über den Fall: "Sowohl der Kinderarzt als auch die Frühförderstelle halten 60 Behandlungseinheiten pro Jahr weiterhin für unbedingt nötig. Doch der Bezirk bewilligt einfach nur noch zwölf Einheiten mit einer fachlich mehr als fragwürdigen Begründung." Lebenshilfe-Rechtsreferentin Schulz schließt sich dem an: "Es ist auffällig, dass der Bezirk Oberfranken den Förderbedarf geringer einstuft, sobald ein Kind in den
Kindergarten kommt."
Sabine Heid, Sprecherin des Bezirks Oberfranken, erklärt das damit, dass behinderte Kinder auch im Kindergarten "von fachlich ausgebildetem pädagogischen Personal" betreut würden. Die weiterhin nötige Beratung, Unterstützung, Förderung und Anleitung werde auch durch den Integrationsfachdienst für die Kindertagesstätte abgedeckt. Dessen Mitarbeiter sind dafür zuständig, behinderten Kindern den Besuch eines gewöhnlichen Kindergartens zu ermöglichen. Also das, was man jetzt unter dem Begriff Inklusion versteht.
Die fast Dreijährige, um die es geht, ist geistig auf dem Stand eines 15 Monate alten Kleinkindes - und sie ist das erste Kind mit Down-Syndrom, das diese Einrichtung besucht. So wie es auch politisch gewollt ist: Inklusion bedeutet, behinderte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.
Ellen Dünkel-Stahl hat sich intensiv damit beschäftigt, wie so etwas funktionieren kann. Sie arbeitet wie Ursula Schulz in Erlangen für die Lebenshilfe Bayern, ist allerdings für die Bereiche Frühförderung und Kindertageseinrichtungen zuständig. In diesen Einrichtungen bräuchten Erzieher und Kinderpfleger die Unterstützung des Fachdienstes, um den Alltag auf ein behindertes Kind abzustimmen.
Hat es beispielsweise eine zu schwache Mundmotorik und kann nicht essen wie die anderen, muss das den restlichen Knirpsen der Gruppe erst einmal vermittelt werden. "Und dann dreht es sich auch darum, die anderen Eltern ins Boot zu holen, zum Beispiel bei Elternabenden."
"Oberfranken rechnet" Dünkel-Stahl sagt, in den meisten bayerischen Bezirken werde eine Fachdienstleistung von 50 Stunden pro Jahr als feste Größe angesehen.
Zusätzlich werden die Kinder individuell gefördert. "Aber in Oberfranken werden Fachdienst und individuelle Frühförderung gegeneinandergerechnet."
Während der Fachdienst vor allem für die Integration in die Gesellschaft - also in die Kindergartengruppe - zuständig ist, geht die Frühförderung sehr speziell auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes ein. Im aktuellen Fall fanden die Förderstunden mit Krankengymnastik und heilpädagogischen Einheiten zu Hause bei den Eltern statt. Auch sie brauchen Anleitung im Alltag.