Neuerdings müssen auch Ärzte ohne allgemeinmedizinische Erfahrung den Bereitschaftsdienst leisten. Der Zeckerner Arzt Thomas Merz kennt den Personalmangel und sieht den funktionierenden Notdienst auf dem Land in Gefahr.
Rasender Blutdruck mitten in der Nacht, Hexenschuss am Sonntagnachmittag: Ruft man in Zukunft außerhalb der Praxisöffnungszeiten den Bereitschaftsarzt, könnte es durchaus sein, dass anstatt des Allgemeinmediziners ein Laborarzt klingelt, der seit 20 Jahren keine Spritze mehr gegeben hat. Oder gar ein Psychiater, dessen Stethoskop schon ein bisschen angestaubt ist.
Seit 20. April sind nämlich auch Ärzte ohne allgemeinmedizinische Erfahrung verpflichtet, sich am Bereitschaftsdienst zu beteiligen. Bisher waren alle Mediziner, die keinen direkten Patientenkontakt haben, wie etwa Laborärzte, von der Pflicht ausgenommen. "Ein Grund, warum es immer weniger Landärzte gibt, ist der Bereitschaftsdienst, der anstrengend und zeitraubend sein kann", sagt Hans-Erich Singer, Regionaler Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). Um diese Belastung zu entschärfen, habe man die Reform beschlossen.
Singer betont aber, dass es nicht das Ziel sei, die Laborärzte alle tatsächlich Hausbesuche durchführen zu lassen. "Die Frage ist, wer ist verpflichtet zum Dienst und wer führt ihn tatsächlich durch", sagt Singer. Schon immer hätten sich viele Fachärzte, so etwa HNO-Ärzte, einen Vertreter für den Dienst gesucht. Über einen Vertrag sind dann meistens Allgemeinmediziner mit der Bereitschaft beauftragt. Dies sei auch bei den neu hinzugekommenen patientenfernen Arztberufen so zu erwarten. Und für jene, die die Herausforderung trotzdem annehmen wollen, gebe es ein Fortbildungsprogramm, in dem die oft lange zurückliegenden allgemeinmedizinischen Grundlagen aufgefrischt werden können, sagt Singer.
Thomas Merz, Allgemeinmediziner mit Praxis in Zeckern kennt den Mangel an Personal. "Das ist das letzte Aufgebot, das da jetzt aktiviert wird", sagt der 49-Jährige. Er ist nicht nur selbst am Notdienst beteiligt, sondern koordiniert den Dienst seiner Kollegen rund um Adelsdorf. "Natürlich ist ein Augenarzt, der zehn Jahre nur in diesem speziellen Fachbereich gearbeitet hat, überfordert. Die Kollegen geben das ja auch zu", sagt Merz. Es sei nicht damit zu rechnen, dass nun etwa Psychiater in den allgemeinmedizinischen Wochenenddienst gehen. Zudem gebe es Labore eher in der Stadt, weshalb die Reform dem ländlichen Raum kaum etwas bringen werde.
Dienstplan in Adelsdorf wackelt Für Merz steht das Bereitschaftssystem auf dem Land "kurz vor dem Kollaps". Um die Not des Notdienstes zu verdeutlichen, reicht seine Liste: 16 Namen stehen darauf. So viele Ärzte hat die Bereitschaftsgruppe im Bereich Adelsdorf zur Zeit. "Vorgeschrieben sind 15", erklärt Merz. Sollten es weniger werden, werde der Bereich aufgelöst und mit Höchstadt und Baiersdorf fusioniert.
Werden Hausbesuche seltener? Für Merz und seine Kollegen würde das bedeuten, dass das zu versorgende Gebiet mit einem Schlag viel größer wäre. "Dann würden wir eventuell bis kurz vor Neustadt zu einem Hausbesuch fahren müssen. Und das am besten noch bei Winterwetter." Mehr Fahrerei, weniger Patienten versorgen können, das wäre das Resultat einer Auflösung des Gebietes, so Merz. Und Adelsdorf sei gefährlich nahe daran: Denn hinter vier der Namen auf der Liste steht "Altersgrenze/freiwillig". "Es funktioniert nur, weil einige freiwillig weitermachen, obwohl sie über 63 nicht mehr verpflichtet wären", sagt Merz. Über kurz oder lang sehe er das bestehende System der Bereitschaft in kleinen Gebieten am Ende.
Zentrale Bereitschaftspraxen "Ganz so drastisch sehe ich es nicht. Aber es besteht Handlungsbedarf", sagt KVB-Vorstandsbeauftragter Singer. In Zukunft könnte es zentrale Bereitschaftspraxen geben. Das Konzept: Wochenends und nachts sitzt ein Arzt in einer Zentralpraxis, ein zweiter macht den Fahrdienst für Hausbesuche. In fünf Modellregionen solle dieses System bald getestet werden, sagt Singer.
"Jene Landärzte vom alten Schlag, die quasi ständig auf Bereitschaft waren, verschwinden immer mehr", sagt Merz. Und die junge Generation habe andere Vorstellungen. Immer mehr wollen Facharzt werden, mehr Wunsch nach Teilzeit und nach Elternauszeiten.
Früher oder später werde die Zusammenlegung mit Höchstadt oder Baiersdorf wohl kommen, sagt Merz. Auch wenn man ab und zu nachts zu einem Hexenschuss rausfahren muss. Trotz der Probleme sei er mit Leidenschaft dabei. "Für mich ist Arzt auf dem Land der Traumjob schlechthin."