Die hungernden Sektenkinder Lonnerstadts

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Kilian wäre in der Sekte beinahe verhungert. Mit 15 Jahren wog er nur noch 30 Kilo. Foto: WDR/privat
Kilian wäre in der Sekte beinahe verhungert. Mit 15 Jahren wog er nur noch 30 Kilo. Foto: WDR/privat
Um vier Uhr morgens aufstehen zur Meditation: Kinder sollen nicht spielen, sondern durch Dienen, Verzicht und Leid ihre Seele entwickeln. Foto: WDR
Um vier Uhr morgens aufstehen zur Meditation: Kinder sollen nicht spielen, sondern durch Dienen, Verzicht und Leid ihre Seele entwickeln. Foto: WDR
 
Der Guru glaubt an die Heilkraft der Sonnenstrahlen statt an Ärzte. Kinder in seiner Gemeinschaft bräuchten keine Krankenversicherung. Foto: WDR
Der Guru glaubt an die Heilkraft der Sonnenstrahlen statt an Ärzte. Kinder in seiner Gemeinschaft bräuchten keine Krankenversicherung. Foto: WDR
 

In Lonnerstadt hat die Sekte der "Weltdiener" eine fünfköpfige Familie fest im Griff. Die Fernsehjournalistin Beate Greindl bekam Einblick in ein Haus, "in dem man nicht einmal Flüchtlinge offiziell unterbringen könnte". Doch die Behörden schweigen sich über die Zustände dort aus.

"Hare Krishna, Hare Kirshna". Mit monotonem Gesang versetzt sich die Gruppe am Tisch in Eks tase. Es ist 4.30 Uhr in der Früh. Wenn die achtjährige Radha später zur Schule geht, haben sie und ihre Brüder Johannes (11) und Michael (13) schon eine lange Meditation hinter sich. Nach dem Unterricht wartet dann Haus- und Gartenarbeit auf die Minderjährigen. "Wer die Zusammenarbeit verletzt, ist ein Schädling", heißt eine Regel der Sekte.

So schildert Beate Greindl die Lebensumstände der "Weltdiener" und hat die eingangs beschriebene Szene auch filmisch dokumentiert. Ihr Beitrag "Sektenkinder - zum Dienen geboren" wird in der Sendereihe "Menschen hautnah" am Donnerstag, 25. Oktober, ab 22.30 Uhr im WDR-Fernsehen ausgestrahlt. Für ihre Reportage war Greindl in der Region unterwegs: in Ailsbach, wo Guru Gerhard, ein ehemaliger Vertreter für Tiefkühlkost, laut Fernsehbericht ein komfortables Leben führt. In Höchstadt, wo die Kinder zur Schule gehen und sich offenbar nur ein Lehrer vor die Kamera traut. Und in Lonnerstadt, wo die Gemeinde der Familie zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ein baufälliges Haus zur Verfügung stellte. "Hier könnte man nicht einmal Flüchtlinge offiziell unterbringen", sagt Greindl. Nur ein Raum könne mit einem kleinen Ofen beheizt werden, im Winter kühle das Haus auf Werte von null bis drei Grad aus. Es gibt weder Badewanne noch Dusche; alle schlafen in einem Zimmer.


Alles Geld ging an die Sekte


Software-Entwickler Peter und Gymnasiallehrerin Bärbel haben laut Greindl ihre Berufe aufgegeben, ihr Haus verkauft und alles Geld der Gruppe gespendet. "Sie arbeiten nicht, wollen kein Hartz IV beantragen und leben vom Kindergeld", weiß die Journalistin. Weder die Eltern noch die drei Kinder seien krankenversichert. Medizinische Versorgung lehnen die "Weltdiener" ab; Krankheit sehen sie als Reinigungsprozess.

Auch das Essen sei knapp: Wie ein Almosen empfängt Peter im TV-Bericht auf Knien von seinem "Meister" die wenigen Lebensmittel. Der Großteil der Ware, die der Familienvater eingekauft und nach Ailsbach gebracht hat, bleibe beim Guru, heißt es. Die Regel: "Ein guter Weltdiener isst nicht mehr als nötig." Beate Greindl weiß, dass die Kinder manchmal im Ort um Lebensmittel betteln. Auch in der Schule greifen sie zu, wenn Essen ausgegeben wird.


Auf 30 Kilo abgemagert


Kilian hätte dieser Nahrungsmangel vor zehn Jahren fast das Leben gekostet. Der damals 15-Jährige war auf 30 Kilo abgemagert und hatte trotz seiner Krankheit Mukoviszidose jahrelang keine Medikamente nehmen dürfen. Kilian ist der Sohn von Susanne, der Lebensgefährtin des Guru. Sie hatte seinerzeit ihren Mann verlassen und war mit ihren drei Kindern bei Gerhard eingezogen. Die Älteste, Barbara, floh nach jahrelangem Martyrium als Erste und holte die Brüder Kilian und Konrad nach. "Wer muss denn net leiden. Jesus hat für die ganze Welt gelitten", sagt Mutter Susanne, als sie von der Journalistin mit den Aussagen ihrer Kinder konfrontiert wird.


Landrat lehnt Interview ab


Vom Jugendamt heißt es, es habe "zu keinem Zeitpunkt eine Rechtfertigung für eingreifende Maßnahmen gegeben." Landrat Eberhard Irlinger (SPD) hat ein Fernsehinterview dazu abgelehnt. Nur ein Lehrer räumt ein, man hätte mehr tun müssen. Barbara, Kilian und Konrad leiden noch immer unter den Qualen von damals.

Für Radha, Johannes und Michael kämpfen heute die Großeltern. Eine Brille für den einen Enkel mussten sie vor Gericht erstreiten. Jetzt prozessieren sie um ein erweitertes Umgangsrecht. Damit sie die Kinder wenigstens mal alleine sehen können.

Auch bei den Interviews sind die Eltern immer dabei. Nur einmal bekommt Beate Greindl ohne Einfluss von außen einen Einblick in die kleinen Herzen. Dann träumt Radha von einer bunten Brille. Und sagt, dass sie nicht glaubt, dass die Oma böse ist. Sie möchte Freunde haben und nicht länger gehänselt werden: "Man wünscht sich, dass die mal so leben wie wir. Dann würden sie vielleicht verstehen, warum wir ärmer sind als die!"