Sie schaut nicht nur gut aus. Sie kann auch die Welt verändern: die Ein-Dollar-Brille. Mit der Sehhilfe will Martin Aufmuth aus Erlangen den ärmsten Menschen die Augen öffnen, damit sie besser leben können.
Martin Aufmuth hat sich ganz schön was vorgenommen. 150 Millionen Menschen auf der Welt will der 40-Jährige eine Brille verpassen. "Das ist meine Brillen-Fabrik", sagt der Familienvater aus Erlangen und platziert eine kleine Holzkiste auf dem Küchentisch.
Dann stellt er eine Tafel mit Sehzeichen auf das Klavier. "Lesen Sie mal die erste Reihe vor!" Mit ein wenig Fantasie kann man das erste Symbol erkennen. Mit jeder Zeile wird es schwieriger. Irgendwann verschwimmen die Figuren zu schwarzen Farbklecksen. "Wir machen den Sehtest ohne Buchstaben, weil viele nicht lesen können. Sie müssten so minus drei Dioptrien haben", sagt Martin Aufmuth fast so überzeugend wie ein Augenarzt.
Herstellung nach Schablone Dann zaubert er aus dem Holzkasten einen silberglänzenden Draht hervor. "Den müssen wir jetzt auf die richtige Länge kürzen und daraus danach das Gestell formen", sagt er und zeigt auf drei Farbpunkte auf dem Deckel der "Fabrik". Brillenbau nach Schablone. Fast wie bei Malen nach Zahlen. "Bei Erwachsenen nehmen wir den roten Punkt in der Mitte." Für Kinder gibt es einen gelben Punkt daneben.
Mit der "Biegemaschine" entsteht aus dem Draht nach und nach ein stabiles Gestell. Funktioniert im Prinzip wie bei einem Seemannsknoten. Schaut schwierig aus, ist mit der Zeit kinderleicht. "Wir bilden die Leute vor Ort aus, damit sie von der Herstellung und dem Verkauf der Brillen leben können", erzählt Aufmuth. Bis zu 50 000 Brillen können mit einer "Brillen-Fabrik" pro Jahr gebaut werden. Hunderte will er davon in die Welt schicken. Denn die Ein-Dollar-Brille könnte tatsächlich die Welt verändern. Davon ist er überzeugt.
"Wenn 150 Millionen Menschen wegen ihrer Sehschwäche nicht lernen und nicht arbeiten können, dann resultiert daraus ein Einnahmeausfall von 120 Milliarden Dollar pro Jahr." Genauso viel Geld werde weltweit jedes Jahr für Entwicklungshilfe ausgegeben. "Mit einem so einfachen Teil wie dieser Brille, können wir die Entwicklungshilfe verdoppeln."
Vor zwei Jahren hat Aufmuth erfahren, dass es für Menschen unterhalb der Armutsgrenze keine Brillen gibt. "Das kann nicht sein", dachte er sich und erfuhr von Initiativen, die ausgemusterte Brillen wie Altkleider zu den Armen schicken. Das Problem dabei: Für eine alte Brille eine neue Nase zu finden, sei schwer.
Früher habe er nur gejammert und gesagt: "Man müsste was tun." Eines schönen Tages habe Jelena, seine Frau, zu ihm gesagt: "Dann tu doch was!" Das war vor etwa acht Jahren. Seitdem hat Aufmuth den Schalter umgelegt und angefangen, soziale Projekte zu initiieren. "Ich habe gemerkt, dass ich etwas bewegen kann."
Der folgenschwere Geistesblitz mit der günstigen Brille ist sein letzter und bislang größter Coup. Sein Leben steht seitdem Kopf. Den Job als Lehrer hat er an den Nagel gehangen, um seine Erfindung dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Keine leichte Aufgabe. Die Welt so riesig, die selbst gesteckte Aufgabe so gewaltig. "Manchmal fühle ich mich schon wie Sisyphus."
Zum Glück finden sich engagierte Mitstreiter. Aber Vorsicht: Wer bei Aufmuth mitmachen will, tritt keinem Kegelclub bei. Rund 50 Menschen arbeiten derzeit ohne Bezahlung und mit grenzenlosem Einsatz für die Ein-Dollar-Brille, damit die Welt besser sehen kann. "Social Business" heißt das Zauberwort.
"Man muss nur anfangen" Die Ein-Dollar-Brille macht die Welt nicht nur schärfer, sondern auch besser. Der 80-jährige Simon aus Uganda zum Beispiel, kann dank seiner Brille wieder auf dem Feld arbeiten. Nicht mehr sehen und arbeiten zu können, hätte für Simon den Tod bedeuten können. Wer von der Hand in den Mund lebt, für den kann eine einfache Sehbehinderung schnell lebensbedrohlich werden. In zehn Ländern wird die Ein-Dollar-Brille mittlerweile von vielen fleißigen Händen gebaut. Die Brille wird für ein bis zwei Tageslöhne verkauft, damit die Produzenten auch davon leben können.
Momentan kümmert sich Martin Aufmuth darum, dass neue Länder dazu kommen. Meistens reist er um die Welt und zeigt, dass seine Brille tatsächlich viel verändern kann. Die Ein-Dollar-Brille hat auch seine Sicht auf die Welt verändert. Probleme, die unüberwindbar scheinen, können gelöst werden, weiß er heute. "Man muss nur anfangen, etwas zu tun", sagt Aufmuth und setzt die beiden Gläser mit einem Handgriff in das fertige Gestell. "Die Gläser bestehen aus Polycarbonat und sind bereits fertig geschliffen", erzählt er zeigt auf den Setzkasten mit den Linsen in den unterschiedlichen Stärken. Mehr Zutaten braucht Aufmuth für seine Brillen aus dem Baukasten nicht. "Glaubt an euch selber", ruft er den Menschen zu und winkt wie zum Beweis zum Abschied mit seiner genialen Brille.
Das Projekt:
Workshops Martin Aufmuth veranstaltet regelmäßig Workshops, in denen Interessierte lernen können, wie man die Ein-Dollar-Brille selbst herstellen kann. Der Verein ist immer auch auf der Suche nach Mitstreitern.
SpendenAber auch Spenden benötigt der Verein für seine Mission: Brillen für 150 Millionen Menschen. Weitere Informationen im Internet unter www.EinDollarBrille.de