Die SPD will ihren Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten küren. Der Vorschlag des Parteivorstands hat für die Basis weitere Folgen: Sie muss weit vor der Wahl in Wahlkampfmodus schalten.
Die Personalentscheidung an sich war wenig überraschend, aber der Zeitpunkt: Am Montag verkündeten die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, dass die SPD mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2021 gehen will. Was sagt die Basis dazu? Wir sprachen mit dem Vorsitzenden der SPD Coburg-Land, Carsten Höllein.
Bei der Pressekonferenz hieß es, dass die Entscheidung für Olaf Scholz als Kandidat schon länger gefallen sein soll. Gingen bei der SPD-Basis wirklich keine Gerüchte oder Spekulationen herum?
Carsten Höllein: Es war sicherlich keine große Überraschung mehr, dass Parteivorstand und Präsidium Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidaten vorschlagen. Seine gutes Krisenmanagement während der Corona-Pandemie und zukunftsweisende Vorschläge, zum Beispiel zur Entschuldung der Kommunen, haben seine Popularitätswerte steigen lassen. Insofern war es eine konsequente Entscheidung, sich für Olaf Scholz auszusprechen. Offen war aus meiner Sicht nur noch der Zeitpunkt, in die Öffentlichkeit zu gehen.
Welche Erwartungen haben Sie an den SPD-Kanzlerkandidaten?
Die Bundesrepublik Deutschland hat ein ereignisreiches Jahrzehnt hinter sich und steckt mitten in einer weltweiten Pandemie, die unsere moderne Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellt. Olaf Scholz muss als SPD-Kanzlerkandidat die Menschen überzeugen, dass sie unser Land in seine Verantwortung geben können. So wie ich ihn bisher erlebt habe, geht er die Probleme mit Vernunft an, verschließt sich aber nicht Antworten auf Fragen der Zukunft. Gemeinsames Europa, Corona, Klimaschutz, neue Handelskriege, die Gefahr einer neuen nuklearen Aufrüstung - die internationalen Fragen werden uns weiter beschäftigen. Gleichzeitig brauchen wir aber auch den Blick auf Deutschland: Teile der Bevölkerung haben weiterhin große Existenzängste trotz Hilfsangeboten. Ein weiteres Feld ist die soziale Ungleichheit, beispielsweise unterliegt der Einzelhandel immer weniger der Tarifbindung. Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung sind die Folgen. In diesem Bereich muss eine SPD-geführte Bundesregierung aktiv werden. Wir brauchen einen Bundeskanzler, der sich der Demokratie und dem sozialen Rechtsstaat verpflichtet fühlt und ihn schützt gegen Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretiker und Untergangsfanatiker. Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass Populisten und Demagogen à la Trump, Johnson und Bolsonaro ihr Land in Chaos stürzen und keine Lösungen von ihnen zu erwarten sind.
Welche Erfahrungen - und wenn es nur in der Sicht "von außen" ist - haben Sie mit dem SPD-Politiker Olaf Scholz gemacht?
Ich habe Olaf Scholz bei Parteitagen als nüchternen Hanseaten kennengelernt, der Probleme analytisch angeht. Damit haben wir in der deutschen Geschichte keine schlechten Erfahrungen gemacht, wenn ich an Helmut Schmidt denke, der das Land durch die Weltwirtschaftskrise und den RAF-Terror in den 70er-Jahren geführt hat. Olaf Scholz ist sicher niemand, der immer die Seele der Partei streichelt. Das muss er als Bundeskanzler auch nicht: Sein Talent ist es, Menschen unterschiedlicher Denkrichtung zusammenzubringen, die Bevölkerung zu überzeugen und das ganze Land in den Blick zu nehmen. Darauf kommt es an.