Die Leute, dafür stehen sie hier am Stammtisch. Lorke spricht über die Zeit, in der in Rödental das Annawerk und die Firma Göbel produzierten. "3000 Arbeiter. Da waren 2000 SPDler darunter. Heute hat man nur noch Angestellte, es gibt nicht mehr viele Arbeiter." Die Sozialdemokratie ringt um ihre Identität.
Die SPD soll sich für Soziales einsetzen - und soziale Berufe unterstützen
"Die SPD ist die Partei, die sich für die Unteren eingesetzt hat." Darauf sollte sie sich aus Heidi Ludwigs Sicht konzentrieren. "Als Erzieherin sehe ich, dass Frauenberufe oft sehr unterbezahlt sind. Rente mit 75 plus? Bei den Erziehern gibt es kaum welche über 60 ..." Anna-Maria Lesch kennt das. Sie ist Krankenschwester, seit 40 Jahren. "Ich war im Krankenhaus, in der häuslichen Pflege, im Altenheim. Den Pflegenotstand habe ich schon vor 20 Jahren gesehen. Heute sind die Jungen zehn Jahre in dem Beruf, dann gehen sie." Sie erzählt von Kollegen, denen es körperlich und psychisch zu viel wurde. "Das macht mich wahnsinnig! Ich bin keine Politikerin. Es ärgert mich, wie in Berlin diskutiert wird." Zur Bundespolitik der SPD steht sie nicht. "Was da oben passiert, damit kann ich mich nicht identifizieren. Ich stehe zur Kommunalpolitik. Zu meinem Mann."
Das rote Herz im schwarzen Bayern
Ihr Mann ist der Zweite Bürgermeister und sitzt gegenüber. Regiert wird das 13 000-Einwohner-Städtchen im Kreis Coburg von einem Freien Wähler, aber die SPD ist im Stadtrat gut vertreten. In der Kommunalpolitik vertrauen die Menschen auf die Sozialdemokraten. In München und Nürnberg, den beiden größten Städten Bayerns, stellt die SPD die Bürgermeister. Genau wie in den meisten größeren Städte Frankens - die Region ist das Herz der Sozialdemokratie inmitten des CSU-Landes. Aber "da oben" wird nicht auf die Basis gehört.
Frau Nahles ist nicht beliebt
Lesch grummelt. "Bei Frau Nahles geht alles unter, was wirklich sozialdemokratisch ist", sagt der Kommunalpolitiker. "Wenn wir in Rödental einen kostenlosen Stadtbus fordern, ist das sozialdemokratisch. Der Bus wird vor allem genutzt von Rentnern, von Bürgern, die sich kein Auto leisten können. Das würde die Stadt 17 000 Euro im Jahr kosten." Aber solche Vorstöße gingen in der Wahrnehmung der Bevölkerung unter. "Wir werden für das wahrgenommen, was in Berlin gemacht wird." Wahrgenommen würden vor allem Stimmungen. In einer Umfrage fiel die SPD diese Woche auf ein Rekordtief von 13,5 Prozent im Bund. Andrea Nahles vermittelt keine gute Stimmung.
Lesch spricht über den Mindestlohn und die Renten- und Sozialreform, die Anfang Dezember in Kraft getreten ist. "Da redet keiner drüber!" Da klinkt sich Eva Lorke ein: "Genau, die SPD kann sich nicht verkaufen, wenn sie was Gutes erreicht hat." Ihr Mann zuckt die Schultern: "Bei einer Großen Koalition legt der Juniorpartner immer drauf."
Das Problem mit der Groko
Auch Heidi Ludwig ärgert, dass "alles Positive die Merkel abgefischt" hat. Aber die negativen Aspekte beispielsweise von Hartz IV würden den Sozialdemokraten angelastet. "Dabei war das vom Schröder damals nicht so gedacht", sagt Lorke. Vor ihm auf dem Tisch steht ein roter Wimpel, den einst SPD-Übervater Willy Brandt dem Ortsverband überreichte. Neben der Unterschrift von Brandt und anderen SPD-Größen prangt auch ein Autogramm von Gerhard Schröder.
Der Altkanzler mit den umstrittenen russischen Verbindungen ist bei den Genossen ein emotionales Thema - einzig Schröders Leibgericht Currywurst und die Flasche Bier passen gut zum Stammtisch. "Der hat schon a bissl viel falsch gemacht", findet Lorke. Ulrich Krause nickt. Im Ortsverband ist er neu; vor zwei Jahren zog der Chirurg aus beruflichen Gründen von Berlin hierher. SPD-Mitglied ist er seit 40 Jahren. Ende der 70er fuhr er mit Aufklebern "Willy wählen" herum. Er erzählt von einem Interview mit Schröder, das er gelesen hat. Auf die Frage, warum er es nicht noch einmal als Parteichef versucht, antwortete er: "Es gibt keinen Ortsverein, der mich vorschlagen würde." Der ganze Stammtisch lacht.
Nächste Runde. "Niemand hat dieses Charisma, was Schröder hatte, der Fernsehkanzler", sagt Krause. Brandt, Schmidt - solche Persönlichkeiten gibt es heute in keiner Partei mehr, da sind sich alle einig.
Mit Merz können sie nichts anfangen
Aber über einige Bundespolitiker der SPD sprechen sie am Stammtisch mit Respekt: Außenminister Heiko Maas, Justizministerin Katarina Barley, Generalsekretär Lars Klingbeil. Die Wahl des neuen CDU-Parteivorsitzenden ist auch Thema. Mit dem nationalkonservativen Friedrich Merz können die Genossen nichts anfangen, das wäre in der Groko schwer. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer ist es leichter, einen gemeinsamen Kurs zu finden. Aber eigentlich will die SPD ja ihr ihr Profil schärfen.
"Die erste Groko war der Fehler", sagt Lorke. "Jetzt musste die SPD sie machen." Wäre sie mit der AfD in die Opposition gegangen, so argumentiert er, stünde die Opposition mit sich selbst im Kampf. "Da könnte die Regierung machen, was sie will." Clemens schüttelt den Kopf. Er war gegen die Groko. "Dann hätte es Neuwahlen gegeben und wir hätten dieses Drama nicht gehabt." Lesch unterbricht: "Seh ich anders!"
Auch Fabian Weber, der sich in der Wahlnacht so aufregte, hat Verständnis dafür, dass die Partei entgegen Schulz' Ankündigung die Groko wieder belebt hat. "Wenn ich die Alternativen seh', ist es für Deutschland wahrscheinlich besser", sagt er. "Aber für die Partei nicht."
Das Thema bekommen sie heute nicht vom Tisch. Als das Bistro schließt, diskutiert draußen vor der Tür immer noch eine kleine Gruppe über die wichtigen Fragen der SPD-Politik. Und keiner hört zu.
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