Bei der Veranstaltung mit dem Historiker und Buchautor Norbert Frei in der Stadtbücherei ging es um den Umgang mit der Vergangenheit. Klar, dass auch die Max-Brose-Straße thematisiert wurde.
Die Feststellung ist ernüchternd: "Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die der Ansicht sind, man solle endlich einen Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus ziehen und nicht so viel über die Judenverfolgung reden", sagt der Historiker Norbert Frei. Der Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena sprach in der Stadtbücherei über den Umgang der Deutschen mit Geschichte nach 1945. Grundlage dafür war sein Buch "1945 und wir". Dass die Veranstaltung ausgerechnet am Abend der Stadtratsentscheidung für eine Max-Brose-Straße auf dem Programm stand, war Zufall, aber passend, und die Stadtbücherei war proppenvoll. "So groß war das Interesse bisher nur bei der Gedenkveranstaltung für Georg Hansen", stellte Edmund Frey fest, der zusammen mit der Leiterin der Bücherei, Brigitte Maisch, den Abend moderierte.
Um die am Nachmittag beschlossene Max-Brose-Straße drehte sich denn auch die Diskussion nach dem Vortrag von Norbert Frei. Darin hatte er unter anderem die Entnazifizierung in Deutschland in den Jahren 1945 bis 1949 angesprochen. Die größten Kriegsverbrecher seien zwar bestraft, die Mitläufer zur Rechenschaft gezogen worden, aber: "Da gab es viel Heuchelei und Lügen." Hunderttausende von Mitläufern hätten ihren Schreibtisch verlassen müssen, seien jedoch irgendwann wieder zurückgekehrt. "Schon damals glaubte die Bundesregierung, die Deutschen erwarteten, dass endlich Schluss sein soll mit der Entnazifizierung. Mitte der 50er-Jahre kam die juristische Behandlung zum Erliegen." Andererseits habe es aber auch eine kritische Betrachtung dieser Verfahrensweise gegeben. Norbert Frei verwies auf die kritischen Stimmen des Philosophen Theodor W. Adorno und des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS).
In diesem Zusammenhang fragte Harald Demetz, wie es um die Entnazifizierung in Coburg steht und wie nun mit der Max-Brose-Straße umzugehen sei. Der Professor gestand ein, dass er zum ersten Mal eine solche Situation erlebe. "Sonst ist das umgekehrt. Da wollen Kommunen sich eher von Straßennamen trennen." Aber auch damit sollte man vorsichtig sein, denn die Straßenbenennungen seien ein Teil der Geschichte. Bereits Vorhandenes sollte nicht einfach ausgetauscht, sondern die Straßenschilder mit einer Infotafel versehen werden, die Auskunft über die Ambivalenz der Person gibt, nach der eine Straße benannt ist. Er warnte davor, die Geschichte "glattzuziehen".
Unbrauchbares Buch über Brose Anders sehe es bei neuen Straßennamen aus. Dazu griff der Professor das Beispiel Max Brose auf: "Hier soll ein erfolgreicher Unternehmer mit ökonomischer Bedeutung gewürdigt werden. Doch was wir bislang über ihn haben, sind dürre Fakten." Das Buch über den Brose-Firmengründer von Gregor Schöllgen bezeichnete Norbert Frei als wissenschaftlich unbrauchbar im Stil von Unternehmensfestschriften. "Für das, was dort behauptet wird, gibt es keinerlei Quellenangaben." Über Max Brose sei nur zu erfahren, dass er kein unwichtiger Mann war.
Ob er seine Stellung im Nationalsozialismus genutzt habe, um Positives zu tun oder auch nicht, müsse jedoch nachgewiesen werden. "Wenn er aber ein Wehrwirtschaftsführer war, der sich opportun verhalten hat, dann taugt er nicht als Vorbild." Zu der Frage aus dem Publikum, ob die alljährliche Gastgeberrolle der Stadt für den Coburger Convent etwas mit Nachholbedarf bei der Vergangenheitsbewältigung zu tun habe, wollte Norbert Frei sich nicht äußern. "Dazu habe ich zu wenig Kenntnis." SPD-Stadträtin Monika Ufken sprach die Vermutung aus, dass viele Coburger sich aus einem Schuldgefühl heraus nicht mit der Vergangenheit konfrontieren wollten. Dem widersprach der Historiker: "Es ist eher Überdruss, vor allem bei jungen Leuten, die kaum einen Bezug zum Nationalsozialismus haben." Umso wichtiger sei es, Verantwortung zu übernehmen für das, was in der Vergangenheit passiert ist.
Das sagte er auch in die Richtung von Stadtrat Klaus Klumpers (ÖDP), der eingestanden hatte, für eine Max-Brose-Straße gestimmt zu haben, weil der Firmengründer nicht der einzige Nazi in Coburg gewesen sei. Und es könne nicht sein, dass man sich heute noch mit Schuldgefühlen quälen müsse. Rupert Appeltshauser, Vorsitzender der Initiative Stadtmuseum, erinnerte daran, dass über viele Jahr hinweg ein Stadtmuseum in Coburg verhindert worden sei. "Alles, was mit Schuld, Scham und Verdrängung zu tun hat, stört nur die Idylle. Und die soll erhalten bleiben", sagte er. Und Stadträtin Martina Benzel-Weyh (Grüne) ergänzte: "Es ist eine Schande, dass es in Coburg kein solches Museum gibt."
Keine Zeugenschutzprogramme An dieser Stelle verwies Norbert Frei darauf, dass Firmendokumente oft sehr unvollständig sind. Besser sei es, sich an staatliche Stellen zu wenden. Und hier kam der Leiter des Staatsarchivs, Johannes Haslauer, ins Spiel. Denn Unterlagen zu Max Brose und anderen Coburgern gibt es im Staatsarchiv. "In unserem Bestand befinden sich 700 Seiten Spruchkamme rakten zu Max Brose und die Akten zu 5000 anderen Coburgern." Wobei die sehr kritisch gesehen werden müssten.
Das bestätigte Norbert Frei. Denn Betroffene hätten sich positiv dargestellt und Zeugen unter großem Druck gestanden. "Zeugenschutzprogramme gab es noch nicht." Schließlich forderte der Professor die Coburger Historiker und Geschichtsinteressierten auf, sich mit Johannes Haslauer zusammenzutun und die Akten zu Max Brose zu studieren. Das aber hätte vor der Entscheidung über eine Namensgebung passieren müssen.