Was Elisabeth Kraus als Kind in den letzten Kriegstagen erlebt hat, ist spannend wie ein Krimi. Weil sie alles aufgeschrieben hat, kann sie viel erzählen.
Was Elisabeth Kraus in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges in Coburg erlebt hat - sie war 13 Jahre alt -, wäre für ein Filmdrehbuch geeignet: Nach einem Flugzeugabsturz im Februar 1944 nahe Hohenstein sah sie ihre ersten Toten, zwei amerikanische Piloten. Sie erlebte gleichaltrige Jungs, die als Kindersoldaten an verschiedenen Stellen der Stadt Panzersperren aufbauen mussten - eine davon in der Casimirstraße. "Ein ausgedienter Möbelwagen wurde mit Ästen, Gestrüpp, Unrat und kleinen Stämmen ausgestattet. Und dieses Provisorium sollte heranrückende feindliche Panzer aufhalten - das war schon der reine Wahnsinn", erzählt sie.
Das Mädchen überlebte am 8. April 1945 nur knapp einen Tieffliegerangriff auf Coburg, als sie zusammen mit ihrer Freundin Isolde auf Radtour von Ketschendorf in die Innenstadt war. Dass es die letzten Kriegstage sein sollten, wusste Elisabeth, die damals noch Schindhelm hieß, nicht. Am 11. April gegen 11 Uhr wurde die Stadt nach mehr als 24-stündigem Beschuss durch US-amerikanische Soldaten von Stadtamtmann Alfred Sauerteig in Vertretung des geflohenen Bürgermeisters August Greim an die Alliierten übergeben. Für Coburg war der Krieg vorbei. Aber auch die letzte Nacht war für die Menschen noch dramatisch.
Ihre Erlebnisse hat Elisabeth Kraus dokumentiert und darüber immer wieder jungen Leuten berichtet. Damit all das nicht in Vergessenheit gerät. Ein Podium bot ihr dafür das Projekt "Zeitzeugen" des Awo-Mehrgenerationenhauses.
Doch zurück zu den letzten Kriegstagen in Coburg. Es war der 8. April 1945, Ostermontag. Schon in den frühen Morgenstunden heulten immer wieder die Sirenen und trieben die Menschen in die Schutzräume. Am Nachmittag gab es schließlich Entwarnung. Elisabeth und ihre Freundin Isolde wollten bei sonnigem Wetter in die "Spit" radeln, die ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche und Soldaten war. Plötzlich hörten sie Flugzeuggeräusche, vier Tiefflieger rasten über sie hinweg. Die Mädchen fuhren dennoch weiter.
Bomben über der Innenstadt "Gerade, als wir die untere Ketschengasse passierten, flogen vier weitere Jagdbomber über unsere Köpfe. Sie streiften fast die Giebel der Häuser, und wir hatten Blickkontakt zu den Soldaten", berichtet Elisabeth Kraus. Auf dem Marktplatz angekommen, setzte der Bombenabwurf ein. "Die drei ersten Flugzeuge klinkten ihre Bomben über der Häuserfront von Spitalgasse, Markt und Rosengasse aus. Das vierte richtete die Bordwaffen auf mich." Elisabeth sah einen langen Feuerstrahl, der sie nur knapp verfehlte. Erst jetzt sprang sie vom Fahrrad und rettete sich unter den Rathaus-Erker. "Schreie und Hilferufe von getroffenen Passanten waren zu hören", erinnert sich die Seniorin. Als die Bomber die Richtung wechselten und sich das Viertel um die Theatergasse vorn ahmen, hatten die beiden Mädchen Zuflucht im Rathauskeller gefunden. Nach gut zwei Stunden kam die Entwarnung und sie wollten sich auf den Nachhauseweg machen.
Doch ein Soldat war mit Elisabeths Rad zum "Adolf-Hitler-Haus" an der Ecke Ernstplatz/Viktoriabrunnen (wo heute das Sparkassengebäude steht) gefahren. Das Haus aber war getroffen worden, brannte lichterloh. Elisabeth konnte gerade noch ihr dort liegendes Fahrrad retten - da krachte der Dachstuhl herunter. "In diesem Augenblick war mir bewusst, zum zweiten Mal knapp dem Tod entronnen zu sein."
Am Osterdienstag wurde die 13-Jährige erneut mit dem Tod konfrontiert: Im Ketschendorfer Schlosspark hatte die Wehrmacht Soldaten hingerichtet. Sie hingen dort an Bäumen. Gegen 10 Uhr setzte schwerer Panzer- und Artilleriebeschuss ein. "Den Amerikanern war bekannt, dass Coburg einst eine Hochburg der Nazis war. Dementsprechend wurde jetzt die Stadt beschossen", erzählt Elisabeth Kraus. Bis in die Nacht hinein dauerte das Inferno an. Um Mitternacht waren die Einschläge so nahe, dass die Familie in den Bergbunker am Ketschendorfer Hang flüchtete. Wegen des andauernden Beschusses mussten sie teilweise auf allen Vieren kriechen. Viele Menschen verbrachten die Nacht im Bunker, bis die Schießerei nachließ. Dann kam über Megafone - eine Ausstattung der Polizeiautos - die Nachricht von Kapitulationsverhandlungen und um die Mittagszeit die Mitteilung, dass der Krieg zu Ende ist.
Bilanz der Zerstörung Die Bilanz der Apriltage 1945 für die Stadt (veröffentlicht am 4. April 1970 im Coburger Tageblatt): 45 Tote, 44 total beschädigte Häuser, 112 schwer beschädigte Häuser, zwei gesprengte Brücken (Callenberger Straße, Milchhof), 328 mittel und leicht beschädigte Häuser, 175 zertrümmerte Schaufenster und 7000 Quadratmeter zertrümmertes Fensterglas.