Großwerden ist heute kein Kinderspiel

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Bettina Peetz
Bettina Peetz
 

Mit der bundesweiten Kampagne "Lasst Kinder einfach Kinder sein" möchte die Jako-o-Geschäftsführerin Bettina Peetz eine kritische Diskussion über die "verplante Kindheit" anregen. Im Tageblatt-Gespräch erzählt sie offen über ihre Erfahrungen mit den eigenen Kindern.

Tageblatt: Frau Peetz, was war der Auslöser, die Kampagne "Lasst Kinder einfach Kinder sein" zu starten?
Bettina Peetz: Jako-o ist dieses Jahr 25 Jahre alt geworden. Für uns war das ein Anlass, darüber nachzudenken, was in dieser Zeit alles passiert ist. Die Hauptveränderung, die wir wahrgenommen haben, ist dieser wahnsinnige Aktionismus, den es inzwischen gibt. Ich selbst habe mittlerweile drei Gänge zurückgeschaltet. Meine Kinder sind jetzt 13, 16 und 18 Jahre alt, die wollen am Wochenende wirklich zu Hause sein und nichts unternehmen, sondern lieber chillen. Für meine Tochter gibt es sonntags nichts Schöneres, als den ganzen Tag im Schlafanzug rumzulaufen.

Sicherlich wird es auch manche Kritiker der Kampagne geben - einige Eltern werden sich auf die Füße getreten fühlen, weil sie mit umfangreichen Förderaktivitäten ja nur das Beste für ihre Kinder wollen.
Bettina Peetz: Diese Stimmen wird es sicher geben. Aber wir sind ja auch nicht gegen das Fördern, wir sind lediglich gegen das Überfördern.
Wichtig ist mir: Es geht uns nicht um die Kinder, die selber sagen, sie möchten unbedingt Geige lernen oder die so begabt sind, dass der Chinesisch-Kurs für sie eine Freude ist. Wenn ein Kind nicht richtig sprechen kann, dann muss es zur Logopädie, das ist doch klar. Uns geht es um die Kinder, die völlig lustlos zu Aktivitäten gehen, nur weil ihre Eltern das so wollen.

Was gilt beziehungsweise galt beim Thema Förderung für Ihre eigenen Kinder?
Bettina Peetz: Meine Kinder haben nie viel Förderung bekommen, weil ich immer viel gearbeitet habe. Bei allen drei Kindern bin ich jeweils drei Monate nach der Geburt wieder in den Job zurückgekehrt. Wenn ich dann nachmittags endlich mit allen daheim war, war ich einfach froh, meine Kinder um mich zu haben. Da sind wir dann nicht mehr viel von A nach B für irgendwelche Aktivitäten gefahren.
Andere Mütter, die mir deswegen ein schlechtes Gewissen machen wollten, habe ich gemieden. Die haben meinem Ego als Mutter nicht gut getan und das musste ich nicht haben. Gut sind dagegen Freundinnen, die einem ehrliche, ernstgemeinte Hinweise geben, wenn ihnen etwas an einem Kind auffällt - etwa wenn ein Kind lispelt. Als Mutter nimmt man so etwas ja oft gar nicht wahr, da ist der Blick von außen schon sehr hilfreich.

Wie erklären Sie sich, dass viele Eltern angesichts des Terminstresses zwar ein Grummeln im Bauch verspüren, aber trotzdem offenbar nicht auf ihr Bauchgefühl hören?
Bettina Peetz: Viele Eltern haben gar keine Zeit, auf sich selbst zu hören - dafür braucht man Muße, aber die fehlt. Sie sind so im Hamsterrad gefangen, dass sie rennen, rennen, rennen. Die Angst, etwas zu verpassen, stresst Familien unglaublich. Es ist ein verrücktes System, das sich immer weiter selbst hochschaukelt.

Wie haben Sie es geschafft, aus dem Hamsterrad ständiger Aktivitäten auszusteigen?
Bettina Peetz: Ich habe mich zum Beispiel irgendwann von diesem Schulwahnsinn verabschiedet. Meine Kinder sind intelligent, aber stinkfaul. Wenn sie schlechte Noten schreiben, liegt das in ihrer eigenen Verantwortung, ich ärgere mich nicht mehr darüber. Dieses ständige Fragen nach der Schule hat das Verhältnis zu meinen Kindern belastet.
Irgendwann habe ich dann beschlossen, dass es mich nichts mehr angeht - seitdem geht es uns allen besser. red