Filmreife Flucht: Häftling löste Fußfessel selbst

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Hier am Hintereingang des Coburger Justizgebäudes gab der 23-jährige Kronacher am Dienstagmorgen Fersengeld. Die Polizeibeamten aus Straubing, die ihn nach Coburg brachten, hatten keine Chance, den jungen Mann aufzuhalten. Foto: Ulrike Nauer
Hier am Hintereingang des Coburger Justizgebäudes gab der 23-jährige Kronacher am Dienstagmorgen Fersengeld. Die Polizeibeamten aus Straubing, die ihn nach Coburg brachten, hatten keine Chance, den jungen Mann aufzuhalten.  Foto: Ulrike Nauer

Weil er "Luft schnappen" wollte, entwischte ein 23-jähriger Häftling am Dienstagmorgen seinen Bewachern am Coburger Justizgebäude. Seine Fußfesseln hatte er selbst gelöst und im Lunchpaket versteckt.

Aufregung am Dienstagmorgen in Coburg: Mit allen verfügbaren Einsatzkräften, Diensthunden und sogar einem Hubschrauber fahndete die Polizei nach einem 23-jährigen Häftling, der seinen begleitenden Polizeibeamten bei der Ankunft am Coburger Landgericht entflohen war. Die Freiheit konnte er allerdings nur kurz genießen, denn zwei Stunden später war der Kronacher schon wieder in Gewahrsam und der Prozess gegen ihn konnte fortgesetzt werden.

Wegen Messerattacke angeklagt

Gegen 9.15 Uhr am Dienstagmorgen traf der Polizei-Bus am Hintereingang des Justizgebäudes am Berliner Platz ein. Der 23-Jährige ist derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus in Straubing untergebracht und muss eigens zur Gerichtsverhandlung nach Coburg gefahren werden. Dem türkischstämmigen Mann aus Kronach wird eine ganze Reihe von Delikten vorgeworfen: Diebstahl, Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung und - als führendes Verfahren - versuchter Totschlag. Der 23-Jährige soll in einem Kronacher Obdachlosenheim mit einem Messer auf einen Bewohner losgegangen sein. Am Dienstag sollten in dem Prozess die Plädoyers und das Urteil gesprochen werden.

Eigentlich sollte die Verhandlung pünktlich um 9 Uhr beginnen, doch der Polizei-Bus steckte auf dem Weg nach Coburg im Stau und verspätete sich um eine gute Viertelstunde.

Augenzeugin sah die Flucht

Eine Augenzeugin, die mit ihrem Auto genau zu diesem Zeitpunkt in der Oberen Anlage Richtung Anger unterwegs war, bemerkte den Polizei-Bus sogar noch, wie er am Hintereingang des Justiz-Gebäudes vorfuhr. "Ich bin ganz langsam gefahren, weil die Ampel rot war", erzählte sie dem Tageblatt. Kaum hatte die Coburgerin an der Kreuzung angehalten, kam der 23-Jährige schon an ihr vorbeigerannt. "Mit einem irren Tempo", wie die Zeugin beschrieb. "Er rannte über die grüne Ampel und weiter in Richtung Alte Angerturnhalle." Ein Beamter habe ihn zwar noch ein Stück verfolgt, allerdings bei dem Tempo des jungen Mannes keine Chance gehabt, ist sich die junge Frau sicher.

Als sich die Nachricht am Morgen in Coburg verbreitete, dass sich ein mutmaßlicher Straftäter aus dem Staub gemacht hatte, hieß es zunächst von Seiten der Straubinger Polizeibeamten, der junge Mann hätte bei seiner Flucht Fußfesseln getragen. Dies sei auch der Kenntnisstand der Coburger Polizei gewesen, als die erste Meldung herausgegeben wurde, sagte Jürgen Stadter von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberfranken. Bei seiner Festnahme habe der Häftling aber keine Fußfesseln getragen und vermutlich auch nicht während seiner Flucht.

Das kann auch die Coburger Augenzeugin bestätigen, die den 23-Jährigen davonlaufen sah: "Er kann definitiv keine Fußfesseln getragen haben. Sonst hätte er niemals so große Schritte machen können!" Der Verteidiger des Angeklagten äußerte im Übrigen später am Rande des Prozesses gegenüber Coburger Journalisten, sein Mandant habe die Fußfesseln während der Fahrt nach Coburg "aufgefriemelt" und im Lunchpaket versteckt. Dieser Punkt werde noch zu klären sein, kündigte Jürgen Stadter an.

Schulen abgeriegelt

Während über dem südlichen Coburger Stadtgebiet gegen 10 Uhr der Polizeihubschrauber kreiste und alle verfügbaren Beamten zum Teil mit Hunden nach dem entflohenen Gefangenen suchten, harrten die Prozessbeteiligten im Gerichtssaal aus - ohne zu wissen, ob der Prozess am Dienstag überhaupt fortgesetzt werden könnte. Für Vorsitzenden Richter Gerhard Amend war der Vorfall eine Premiere: Dies sei der erste Gefangene gewesen, der ihm in seiner langen Laufbahn abhanden gekommen sei.

Auch in den Kindergärten und Schulen in der Nähe des Justizgebäudes verbreitete sich die Nachricht vom entlaufenen Häftling in Windeseile - und es wurde schnell reagiert. Die Gymnasien Albertinum und Casimirianum etwa wurden verriegelt und die Schüler darüber informiert, dass sie bis auf Weiteres ihre Schulhäuser nicht verlassen könnten.

Nach knapp zwei Stunden endete die Flucht ähnlich spektakulär, wie sie begonnen hatte: Zunächst war der 23-Jährige zum Markt gerannt, um - wie er dem Gericht später berichtete - etwas zu essen. Schließlich stieg er in ein Taxi, drückte dem Fahrer 20 Euro in die Hand und wies ihn an, einfach erst einmal loszufahren. Zum Unglück des Kro nachers führte der Weg des Taxis am Justizgebäude vorbei, wo einige Polizisten standen. Sie erkannten den Flüchtigen sofort und stoppten das Taxi kurz darauf. Auf die Frage von Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein, warum er überhaupt geflohen sei, antwortete der Angeklagte später: "Ich wollte einfach nur frische Luft schnappen."