Erinnerungen an das furchtbare Schicksal eines jungen Neustadters

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Horst Gundel, Pfarrer Andreas Sauer und Klaus Engelhardt zeigen die Ausstellung zur Geschichte des "Pulverkelchs" von St. Georg. Foto: Rainer Lutz
Horst Gundel, Pfarrer Andreas Sauer und Klaus Engelhardt zeigen die Ausstellung zur Geschichte des "Pulverkelchs" von St. Georg. Foto: Rainer Lutz
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Im Safe der St-Georgskirche schlummert ein Abendmahlskelch, der an das furchtbare Schicksal eines jungen Neustadters erinnert.

Wenn Pfarrer Andreas Sauer in der Stadtkirche St. Georg den Gläubigen beim Abendmahl den Kelch zum Trinken reicht, sehen sie den Schriftzug nicht, der in den Boden des Gefäßes eingraviert ist. Und doch sind es die Worte an der Unterseite des Kelches, die an eine Geschichte erinnern, die dieses Abendmahlsutensil zu etwas ganz Besonderem machen. Horst Gundel und Klaus Engelhardt sind der Geschichte nachgegangen, die hinter der Bezeichnung "Naumburger Pulverkelch" steckt, die sie manchmal für dieses Gefäß verwenden.

Sie folgten den Spuren von Johann Philipp Oberender. Er war gerade 23, als er sich vor fast genau 300 Jahren, im Juni 1714 zu einer Reise aufmachte. Das Ziel des jungen Mannes war Naumburg an der Saale. Am Peter- und Paulstag fand dort traditionell eine wichtige Messe statt. Johann Philipps Vater war in Neustadt ein angesehener Mann. Der Ratsherr verdiente sein Geld als Schlosser und Handelsherr.
Der Besuch der Naumburger Messe dürfte für ihn ein fester Termin im Jahreskalender gewesen sein. "Naumburg war im 18. Jahrhundert neben Leipzig ein Mittelpunkt des sächsischen Handels", erklärt Horst Gundel. Er machte sich Gedanken, wie der 23-Jährige seinerzeit wohl von Neustadt ins rund 140 Kilometer entfernte Naumburg gekommen sein mag.

Ein alter Freund hilft

Es ist einem früheren Schulfreund von Klaus Engelhardt zu verdanken, dass die beiden Neustadter Geschichtsforscher heute einiges mehr über die letzte Reise des jungen Oberender wissen. Wilfried Laue ging in den Jahren des Zweiten Weltkrieges in Neustadt zur Schule. Engelhardt war damals mit ihm befreundet. Nach der Wende nahmen die beiden wieder Kontakt auf. Laue lebte nun in Naumburg. Gern kam er der Bitte Engelhardts nach, die Forschung der Neustadter in seiner Heimatstadt zu unterstützen. So kam heraus, dass es 1714 einen gut ausgebauten Linien-Postverkehr gab. Eine Route führte von Nürnberg über Coburg und Neustadt nach Saalfeld und weiter über Jena nach Naumburg und Leipzig. Es dürfte also eine Postkutsche gewesen sein, die Oberender nach Naumburg brachte, wo er Schrot für das Handelshaus seines Vaters kaufen sollte. "Wir wissen nicht, was damals eine Fahrt nach Naumburg gekostet hat", bedauert Gundel. Selbst wenn er eine Preisangabe hätte, wäre es heute schwer, den Betrag in einen Euro-Wert umzurechnen. Man müsste dann noch wissen, was in jener Zeit etwa ein Laib Brot in der genannten Währung gekostet hat, um Vergleichswerte zu finden. Der Sohn eines reichen Handelsherrn und Schlossers dürfte sich aber wohl eine Kutschfahrt geleistet haben.

So fand sich Johann Philipp Oberender am 29. Juni 1714 im Treiben der Käufer und Verkäufer der Naumburger Messe ein. Er mag wohl gerade um den Preis des Schrots gefeilscht haben, als noch ein anderer Kaufinteressent die Ware prüfte. Es war der Jäger des Herrn von Berlepsch aus Teuchern, der hier Schießpulver kaufen wollte.
Mehrere Pulverhändler waren vertreten. 60 Zentner Pulver hatten sie nach überlieferten Angaben dabei. Die Qualität des Schießpulvers zu testen, war das gute Recht des Käufers. Allerdings war es vorgeschrieben, dass dies nur an einem sicheren Winkel an der Stadtmauer zu geschehen habe.

Leichtsinniger Jäger

Der Jäger zückte aber gleich neben den Pulverfässern ein Brennglas und setzte eine Probe in Brand. Es zischte und einige Funken erreichten die Fässer. Die durch diesen Leichtsinn ausgelöste Katastrophe muss verheerend gewesen sein. Die Zahl der Opfer, die durch die Explosion getötet wurden, schwankt in den Quellen zwischen 30 und 40. Zeitgenössische Berichte sprechen von völlig zerfetzten Körpern. Doch mit der Explosion war das Unglück noch nicht vorbei. Es folgte ein Stadtbrand, dem 432 Häuser zum Opfer fielen.

Schwer verletzt

Johann Philipp Oberender wurde schwer verletzt. Elf Tage nach dem Unglück erlag er seinen Verletzungen. Zum Trost der Eltern wurde am 22. Juli 1714 in Neustadt eine Gedächtnispredigt gehalten.
Die Eltern stifteten der Stadtkirche einen silbernen, teilweise vergoldeten Kelch, der an den Verlust ihres einzigen Sohnes erinnern sollte. Er ist bis heute in Gebrauch. Die Schrift im Boden sehen die Gläubigen nicht, wenn sie im Gedenken an das von Jesus Christus vergossene Blut einen kleinen Schluck Wein aus dem Kelch trinken.

Gott zu Lob und Ehren

Die Gravur lautet: "Gott zu Lob u. Ehren und ihren im Naumburger pulver Unglück Petri Pauli 1714 mit getroffenen u. den 10 July darauf im 24 jähr seines Alters seel. Daselbst verschiedenen Sohn Johann Philipp Oberender, zum guten Andencken verehren diesen Kelch die betrübten Eltern Joh. Philipp u. Anna Oberender von neystadt an der heüd."
Aus Anlass des 300. Jahrestags dieser Geschehnisse haben Horst Gundel und Klaus Engelhardt in der Kirche eine Ausstellung zu dem Abendmahlskelch aufgebaut. Sie ist ab Sonntag bis zum 13. Juli in der Stadtkirche zu sehen.
Mit dem Tod des künftigen Erben ging das Handelshaus der Oberender nicht unter. Es ging später auf den Schwiegersohn der Oberenders, Johann Christian Holzhey über, der später zum Begründer der blühenden Neustadter Kaufmannschaft wurde.