Ivan Gumenshaymer wohnt seit sieben Jahren in Coburg. Ist er jetzt endlich angekommen? Ein Großteil seiner Familie lebt hier, aber er musste auch geliebte Menschen zurücklassen.
Wenn das Thema Ukraine zur Sprache kommt, verschwindet das Lächeln aus Ivan Gumenshaymers Gesicht. 29 Jahre hat er selbst in der Nähe von Donezk gewohnt. Dort, wo heute Krieg herrscht. Einer seiner Söhne lebt noch immer dort. "Das tut schrecklich weh. Auch die Verwandten meiner Frau sind noch da. Sie haben keine Chance rauszukommen", sagt der 66-jährige Russlanddeutsche. Der Großteil seiner Familie hat schon vor Jahren den Absprung nach Deutschland geschafft. Ivan Gumenshaymers zweiter Sohn sowie die Geschwister Andreas, Katrin und Jakob leben auch in Coburg, seine Schwester Rose in Bamberg.
Ins Land der Vorfahren gezogen
Sie hatten sich vor über zehn Jahren entschlossen, ins Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Ivan Gumenshaymer konnte sich erst 2008 dazu entschließen.
"Ich hatte eine gute Arbeit, habe als Ingenieur an der Hochschule unterrichtet und ein Konstruktionsbüro geleitet." Aber die Familienbande waren dann doch stärker als die Bindung an den Job. Und die Ukraine war schließlich auch nicht seine richtige Heimat.
Die zu verorten, fällt Ivan Gumenshaymer schwer. Aufgewachsen ist er im Dorf Donkoschurowka in Kasachstan, in dem nur Deutschstämmige lebten. Sie waren im Kriegsjahr 1941 von Stalin als vermeintliche Verräter am russischen Volk dorthin verbannt worden. "Obwohl ich in dem Dorf geboren bin, haben wir uns als Kinder dort immer irgendwie fremd gefühlt."
"Niemand hat sich um sie gekümmert"
Früher lebte die Familie in der Region Stawropol im Kaukasus. Von dort wurden sie vertrieben. "Meine Großmutter Katrin musste mit ihren Kindern in einem überfüllten Viehwaggon bis nach Kasachstan fahren.
Sie hatten nichts zu trinken und zu essen und mussten stehen. Dazu noch die Hitze", erzählt Ivan Gumenshaymer.
Zwischendurch habe es immer wieder Bombenangriffe gegeben. "Zwei Drittel der Menschen haben das nicht überlebt. Und niemand hat sich um sie gekümmert." Das sei der Unterschied zu den Flüchtlingen heute. Für sie werde in Deutschland wenigstens gesorgt, wenn sie es bis hierher schafften. Seine Großeltern und die mit ihnen vertriebenen Russlanddeutschen hätten alles aus eigener Kraft bewältigen müssen.
Sein Vater habe später immer wieder in sein Dorf bei Stawropol zurückkehren wollen, aber das wurde ihm untersagt. "Er durfte sich seinem Heimatort nur bis auf fünf Kilometer Entfernung nähern." Eine Zeitlang hätten sie zumindest in der Nähe gelebt. "Dort kam es dann auch schon mal vor, dass wir als Faschisten beschimpft wurden", sagt Ivan Gumenshaymer.
Zum Militär nach Weißrussland
Er selbst musste von 1968 bis 1970 zum Militär nach Weißrussland. Dort habe er keine größeren Anfeindungen erlebt - immerhin sprach er perfekt russisch. Das Deutsche, das er als Kind noch beherrscht hatte, habe er weitgehend verlernt.
1970 kehrte er nach Donkoschurowka in Kasachstan zurück. Auch seine Eltern lebten inzwischen wieder dort. Ivan Gumenshaymer heiratete, seine Frau ist Russin und stammt aus der Ukraine. Die junge Familie zog mit den Kindern ins russische Toljatti am östlichen Ufer der Wolga, wo Ivan Gumenshaymer ein Studium aufnahm.
Als dann seine Schwiegermutter im ukrainischen Kramatorsk bei Donezk schwer krank wurde, übersiedelte die Familie dorthin und blieb bis zur Ausreise nach Deutschland dort.
Eigentlich könnte sich der Rentner zurücklehnen - in dem Bewusstsein, alles richtig gemacht zu haben. Wäre da nicht die Sorge um den Sohn und die Familie seiner Frau in der Ukraine. Und um die Ehefrau. Während er problemlos die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, blieb ihr die verwehrt. Als Russin muss sie den Test für die europäische Sprachkompetenzstufe B1 bestehen. "Das schafft sie nicht mehr." Was soll aus ihr werden, wenn er vor ihr stirbt? Muss sie dann zurück in die Ukraine, in den Krieg?
Ute Wallentin von der Migrationsberatung der Caritas beruhigt Ivan Gumenshaymer: "Das wird nicht passieren." Aber die Unsicherheit bleibt. Sie ist das Resultat einer Familiengeschichte, die geprägt ist von Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit.