"Die Leidtragenden sind die künftigen Rentner"

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Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, erklärt in Coburg, was sichere Renten mit Demokratie zu tun haben.

"Rente muss reichen." Doch das reicht nicht. Der Einschub "für ein gutes Leben" gehört aus Gewerkschaftersicht dazu. Und selbst wenn IG Metall, Ver.di und DGB in Details unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie das Rentensystem umgebaut werden soll, so sind sie sich in der Forderung einig. Deshalb stand auch der DGB-Neujahrsempfang in Coburg unter diesem Motto, deshalb hatten die Coburger extra einen Mann vom IG Metall-Vorstand geholt: Hans-Jürgen Urban, den Miterfinder des Rentenkonzepts der IG Metall.

Wer nun aber im gut besetzten Seminarraum des Pfarrzentrums St. Augustin Tabellen, Formeln und viele Zahlen erwartet hatte, wird enttäuscht. Urban belässt es bei den plakativen Forderungen und ein paar flotten Sprüchen. Die Mehrheit seiner Zuhörer hat er ohnehin auf seiner Seite: Wer weiß, dass er trotz 45 Jahren Arbeit und halbwegs gutem Verdienst mit einer Rente von 1370 Euro auskommen soll (das ist der Eckwert, der für das Jahr 2030 erwartet wird), der schreit nicht Hurra, wenn ihm erzählt wird, dass er zusätzlich privat vorsorgen soll.
Laut Urban ist das ohnehin kaum möglich, wo sich doch der Finanzmarkt als Kasino erwiesen habe. Keine private Versicherung könne angesichts dessen und der globalen politischen Entwicklung garantieren, dass am Ende tatsächlich mehr rauskommt, als eingezahlt wurde, sagt Urban. Seine Schlussfolgerung: "Wir können sozialstaatliche Verpflichtungen nicht an die Finanzmärkte abtreten!"

Natürlich muss Urban bei seiner gut 45-minütigen Rede einiges unter den Tisch fallen lassen. Zum Beispiel, wie sich die Renten "im Osten", in den vor 25 Jahren dazu gekommenen Bundesländern, errechnen, wo weniger verdient wird und wo der erworbene Rentenpunkt auch weniger zählen soll als im Westen. Die Rentenmathematik ist kompliziert, verständlich dagegen die Forderung, dass die erforderlichen Ausgleichszahlungen aus Steuermitteln aufgebracht werden sollen und nicht von denen, die die Rentenversicherungsbeiträge bezahlen.


Junge Generation skeptisch

Denn dass diese von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierten Beiträge nicht ins Unerträgliche steigen dürfen, wissen auch die Gewerkschafter. Aber eben weil diese Beitragssätze jetzt schon gedeckelt sind und die Zahl der Rentner steigt, kriegt der Einzelne in Zukunft immer später immer weniger raus. Bis auf 43 Prozent des Ecklohns kann die Rente bis zum Jahr 2030 sinken. "So steht es im Gesetz", betont Urban: Die Warnung vor Renten, die nicht mehr reichen würden, um den nötigen Bedarf zu decken, sei also keine Schwarzmalerei. So ergeben sich die 1370 Euro Rente nach 45 Normalverdiener-Beitragsjahren für diejenigen, die heute Anfang 50 sind.

Sie bilden den größten Teil der Zuhörer im Saal. Jüngere sind nur wenige da. Junge Leute seien durchaus bereit, die Altersversorgung solidarisch zu finanzieren, versichert Urban. Sie würden aber auch starke Zweifel hegen, ob sie selbst denn noch in den Genuss einer ausreichenden Altersrente kommen.

So kehren die Gewerkschaften auch das Schlagwort der "Generationengerechtigkeit" um: Vor steigenden Rentenbeiträgen wird gewarnt, um die heute junge Generation nicht über Gebühr zu belasten. Urban hingegen warnt vor einem Abbau der Rente, weil das genau diejenigen treffen würde, die heute schon hohe Beiträge einzahlen und kaum Möglichkeiten haben, anderweitig vorzusorgen, zum Beispiel mit Wohneigentum.


"Erwerbstätigenrente"

Woher aber das Geld nehmen, das nicht über Beiträge kommt? Alle müssen einzahlen, auch Beamte und Selbstständige, fordert Urban und nennt das "Erwerbstätigenrente". Politisch begründete Rentenzahlungen wie die Mütterrente, der Ausgleich für Rentner im Osten oder Reha-Leistungen müssten aus Steuern finanziert werden. Und: Die Rentenversicherung soll Überschüsse aus guten Jahren behalten dürfen und nicht sofort abschmelzen müssen.

Widerspruch regt sich nicht, schon gar nicht, als Urban die solidarische Rente und den Sozialstaat zum Fundament der Demokratie in Deutschland erklärt. Denn es sei auch die Unsicherheit in Sachen Altersversorgung, die die Menschen misstrauisch mache und sie glauben lasse, die "da oben" würden sich um "die da unten" nicht kümmern.

"Ich bin froh, dass Bundestagswahlkampf ist. Da finden wir hoffentlich ein offeneres Ohr", sagt Urban, der nicht vergisst, Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die auch mal bei der IG Metall angestellt war, ein bisschen dafür zu loben, dass sie kleine Verbesserungen im Sinne der Gewerkschaften durchgesetzt hat. So müssen (dürfen) nun auch Solo-Selbstständige in die gesetzliche Rente einzahlen. Außerdem soll "die Politik" nun schon reagieren, wenn der Rentenanteil bei 46 Prozent des Durchschnittsverdienstes liegt.

Auch wenn diese Korrekturen "zu spät, zu halbherzig und zu unverbindlich" seien, verbucht Urban sie als Erfolg. Denn seit Sommer 2016 läuft die gewerkschaftliche Rentenkampagne. Damit, betont das IG Metall-Vorstandsmitglied, würden mitnichten Ängste geschürt oder den Rechtspopulisten in die Hände gespielt: "Wir haben einen demokratiepolitischen Auftrag, den Sozialstaat zu stärken."