Auf den Dachböden des geheimen Gerichts

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Jakob K. (Thorsten Köhler, hinten Thomas Straus) in den Verstrickungen des "Gerichts". Fotos: Henning Rosenbusch
Jakob K. (Thorsten Köhler, hinten Thomas Straus) in den Verstrickungen des "Gerichts".  Fotos: Henning Rosenbusch
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Eine Träumerei der anderen Art, so kurz vor Weihnachten. Darf es zur Abwechslung ein richtiger Albtraum sein? Zum Beispiel Franz Kafkas bizarres Romanfragment, umgesetzt in abltraumhafte Bilder im Landestheater Coburg.

Der Mensch steckt fest im "System", in Beschuldigung, ohne zu wissen welcher, in nicht konkretisierbarer, also der schlimmsten Art von Angst, in Fragen ohne Aussicht auf Antwort, in Hilflosigkeit, in Hohn und Scham, in Franz Kafkas nicht wirklich zu fassendem, albtraumhaften Romanfragment "Der Prozess".

Schauspielchef Matthias Straub hat die bizarre Szenenfolge, die durchaus in die Befindlichkeit des modernen, zunehmender Überwachung ausgesetzten Menschen, zu übersetzen ist, bedrängend intensiv verbildlicht im Coburger Theater in der Reithalle - unter dumpf drohenden Klängen und blitzartig in prägnante Bewegungsmuster fallend, die den Psychohorror körperlich expressiv ausstellen.
Ausdauernder Beifall nach der Premiere am Freitag.


Der Weg in den Irrsinn

In Till Kuhnerts treffender Bühnenszenerie führen Leitern, Gestänge, nackte Glühbirnen den unbescholtenen Bankprokuristen Josef K., der an seinem 30. Geburtstag verhaftet wird und einen "Prozess" zu durchlaufen hat, ohne je zu erfahren warum, in die staubigen Kanzleigänge eines "Gerichts". Das agiert hinterhältig und verborgen vor der Öffentlichkeit auf den "Dachböden" der Gesellschaft und des Bewusstseins. "Sie haben sich doch nicht schon verirrt?", fragt der Gerichtsdiener süffisant. Tatsächlich gibt K. im verzweifelten Versuch, vorauszudenken und zu verstehen, schon bald selbst die Stichworte für seinen Untergang.

Thorsten Köhler ist der um die Deutungs- und Handlungshoheit über sein Leben und seine Geschichte ringende K und gleichzeitig der durchs Mikrofon sprechende, distanzierte Erzähler seiner "Geschichte".

So doppeldeutig gebrochen, wie es dem Träumenden oft geschieht, lässt Regisseur Straub auch Thomas Straus, Sandrina Nitschke und Oliver Baesler agieren, die versiert in vielfältige Rollen springen, von den begierigen Frauen bis zum arglistig die Zusammenhänge verdrehenden Advokaten.

Matthias Straubs "Prozess" ist ein beklemmendes, warnendes Psychohorrorbild der Verstrickung in unüberschaubare, ohne jede Rücksicht auf die Würde des einzelnen wirkende Gesellschaftssysteme. Hoffentlich hat es keinen prophetischen Gehalt.

Landestheater "Der Prozess". Schauspiel nach dem Roman von Franz Kafka in der Dramatisierung von Ruth Bader und Johannes Schmid. Inszenierung Matthias Straub, Bühnenbild und Kostüme Till Kuhnert, Dramaturgie Dirk Olaf Hanke. Darsteller: Thorsten Köhler, Thomas Straus, Sandrina Nitschke, Oliver Baesler.
Weitere Termine: 8., 9., 10. Januar, 20 Uhr in der Reithall