Hagen Liebing kannte die "beste Band der Welt" lange Zeit nur aus dem Fernsehen - und gehörte plötzlich selbst dazu. In dieser Zeit erlebte er so einiges, etwa ein Konzert in der Frankenhalle. Und in Coburg hätte er seine heutige Partnerin treffen können.
Wenn am Donnerstag die Ärzte beim HUK-Open-Air-Sommer aufspielen, werden 15 000 Fans erwartet - mehr Andrang gab es bislang nur bei Whitney Houston. Bela, Farin und Rod werden den Schlossplatz zum Beben bringen. Aber da war doch was, oder? Ja, genau vor 25 Jahren war das Trio schon einmal in unserer Region zu Gast, genauer gesagt in der Frankenhalle in Neustadt. Einer, der damals dabei war, ist Hagen Liebing, besser bekannt unter seinem damaligen Namen "The Incredible Hagen". Er war damals Bassist der Ärzte.
Hagen, drehen wir die Zeiten der Zeit etwas zurück. Wir befinden uns im Sommer 1986 und du erhältst einen Anruf von Bela B., seines Zeichens Gründungsmitglied und Schlagzeuger der Ärzte. Seine Frage: "Willst Du Popstar werden?" Kannst du kurz deine Gefühlswelt in diesem Moment beschreiben?Hagen: Es war ein Gefühl von Freude und Stolz und gleichzeitig auch ein klein wenig bedrohlich, denn die Ärzte bewegten sich ja damals bereits in Sphären, die ich nur aus der Zeitung oder aus dem Fernsehen kannte.
Von da an warst du bis 1988 an drei großen Tourneen der Ärzte beteiligt und hast während dieser Zeit akribisch Tagebuch geführt. Warum denn eigentlich?Das hatte zwei Gründe: Ich war ja zeitgleich auch Student und mein Professor Friedrich Knilli hatte uns angeregt, unbedingt das Schreiben zu üben. Tagebücher wären da sehr praktisch. Außerdem war mir bei allem was wir damals taten bewusst, dass es etwas Besonderes und - zumindest für mich - Einmaliges war, das wollte ich festhalten.
Aus deinen Aufzeichnungen heraus ist das Buch "Meine Jahre mit Die Ärzte" im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen. Hättest du dich ohne deine Aufzeichnungen überhaupt an all diese Geschehnisse erinnern können?Mit Sicherheit nicht. Ein Kopf ist auch nicht viel mehr als ein Regal, und wenn man links ständig neue Eindrücke reinstellt, fallen die alten automatisch auf der anderen Seite runter. Nun die Erinnerungen direkt aus dem Tagebuch: "20. April 1988. Nach unserer Ankunft verfolgen uns in Coburg zahlreiche Fans und wollen Autogramme. Im Hotel haben zwei Mädchen einen großen Strauß weißer Tulpen für uns abgegeben. Haben Tulpen einen tieferen Sinn? Als Tageshöhepunkt gibt es für die Crew am Abend noch Bildungsfernsehen. Wir führen ihnen Jekyll & Hyde vor."
Am anderen Tag habt ihr das Frühstück verschlafen. Und trotzdem waren Teile von eurer Crew so fit einen Marsch auf die Veste Coburg zu bewältigen. Die dortige aufgestellte Kanone hatte es dir ja angetan, oder?Anscheinend. Solche Tourneen sind einfach eine tolle Gelegenheit gewesen, das ganze Land (in seinen damaligen Umrissen) kennenzulernen. Ohne unsere Konzerte hätte ich viele Orte und Sehenswürdigkeiten sicher nie gesehen. Aus dem Tagebuch: "Die Frankenhalle ist eigentlich eine Turnhalle und viel zu groß für unsere Zwecke. Schließlich kommen heute nur 600 Zuschauer. Aber aus zensurtechnischen Gründen wollte man uns direkt in Coburg keinen Auftrittsort zur Verfügung stellen. Trotz ähnlicher Mentalität wie in Würzburg ist das Publikum hier viel freundlicher. Die reinste Erholung!"
Wie war es damals für dich mit Bela und Farin auf Tour zu sein? Doch bestimmt im Nachhinein etwas ganz besonderes, oder? Und überhaupt, wie hast du dich als Nachfolger von Sahnie, der ja zuvor ausgestiegen war, auf der Bühne gefühlt? Wurdest du von Anfang an richtig gut von der Fangemeinde aufgenommen?
Jan und Dirk (
Farin Urlaub, bürgerlich: Jan Ulrich Vetter / Bela B., bürgerlich: Dirk Felsenheimer, Anmerkung der Redaktion) waren sehr fürsorglich zu mir. Sie wussten ja, dass die Fans sehr enthusiastisch und treu waren und legten deshalb bei der ersten Tournee sehr viel Wert darauf, dass diese mich auch freundlich aufnehmen. Folglich gab es auch nur ganz zu Beginn "Sahnie, Sahnie" Rufe und schnell bekam ich dann das Gefühl akzeptiert und gemocht zu werden. Nochmals ein Auszug aus dem Tagebuch: "Die Polizei ist heute auch da. Irgendwer hat ihnen gesteckt, dass wir eine "rechte" Band sein sollen und auch Skinheads zu erwarten wären. Ein Kameramann der Polizei stellt sich dann letztendlich als Hobbyfilmer und Fan heraus, der für den Eigenbedarf filmen will, aber wir lassen es trotzdem nicht zu. Am Ende ist es womöglich doch nur Tarnung."
Eigentlich war der Auftritt hier in unserer Region einer wie viele andere auch, aber Jahre später solltest du nochmals mit Coburg in Verbindung kommen. 1991 hast du im Berliner Hard Rock Café deine jetzige Lebenspartnerin, Anja Caspary, kennengelernt, die - zur Zeit des Ärzte-Konzerts in Neustadt - die Coburger Medau-Schule besucht hat. Euer Zusammentreffen hätte deshalb vielleicht viel früher stattfinden können.Du meinst in Coburg? Eigentlich nicht, denn Anja hatte mit den Ärzten damals nichts am Hut.
Im Juli 1988 war mit Sylt, Westerland und eben den Ärzten Schluss mit lustig und es fand eine einvernehmliche Trennung statt. Die Band wurde aufgelöst. Hagen, bist du dabei in eine tiefes Loch gefallen oder war das Ende sowieso fest ausgemacht?Das Ende der Ärzte stand ja schon vor Beginn der Tournee fest. Und so viel Spaß diese letzte, sehr lange Tournee auch gemacht hat: gesagt ist gesagt. Eine Pause gab's dann für mich nicht. Ich hatte mein Studium während der Ärzte gelinde gesagt etwas schleifen lassen und habe mich dann gleich wieder in die Uni-Arbeit reingekniet. Da hattest Du keine Fans, die Dir zujubeln, aber es war auch sehr schön. 1990 machte ich mein Diplom als Medienwissenschaftler.
1993 - die Ärzte waren plötzlich wieder da. Live und mit neuer Platte - aber wo war Bassist Hagen? An seiner Stelle stand nun Rod Gonzales, ehemals Mitglied der Rainbirds. Wie hast du von der Reunion erfahren? Und warum bist du nicht mehr an Bord gewesen?Ich hatte davon aus der Zeitung erfahren, das war schon ein bisschen gemein und ohne Fingerspitzengefühl. Aber die Entscheidung für Rod konnte ich schon akzeptieren. Jan und Dirk hatten ja nach der Trennung weiter mit King Kong und Depp Jones Musik gemacht - bei Letzteren spielte ja auch bereits Rod an der Gitarre - während ich bald fünf Jahre keinen Bass mehr angefasst hatte und sozusagen die Seiten gewechselt hatte, weil ich nun als Musikjournalist arbeitete und mir mein Privatleben wichtiger war als Karriere. Das hätte zwar für eine kleine Nostalgie-Tour gereicht, aber niemals für solch eine Entwicklung, wie sie die Ärzte nach ihrem Comeback gemacht haben.
Wie geht es euch heute? Gibt es noch Berührungspunkte mit den Ärzten? Welche beruflichen Wege wurden eingeschlagen?Anja und ich haben inzwischen zwei Kinder - die mittlerweile elf und 19 Jahre alt sind - und wir arbeiten beide als Journalisten. Anja, die ja ihre Ausbildung zur Krankengymnastin an der Coburger Medau-Schule gemacht hat, zog schließlich nach Berlin, wo sie mittlerweile als sehr bekannte und beliebte Radiomoderatorin arbeitet. Und ich bin seit 1995 Musikredakteur beim Stadtmagazin "tip Berlin" - und da schließt sich der Kreis, denn beim "tip" sind Die Ärzte 1983 zum ersten Mal auf einem Titelbild gelandet. Schöne Grüße nach Coburg!