Selbstverteidigung beginnt im Kopf - und im Kinderwagen. Frauen müssen sich trauen: Selbstbewusstsein kann potenzielle Täter vom Angriff abhalten.
Mit welchem Geräusch bricht ein kleiner Finger? Darüber möchte ich nicht nachdenken müssen. Nicht, wenn dieser Finger zusammen mit neun anderen an meinem Hals liegt und mir die Luft abdrückt. Ob es knackt wie eine splitternde Salzstange oder wie ein dürrer Zweig, ist absolute Nebensache. Wenn's blöd läuft, ist mein Leben in Gefahr. Im günstigeren Fall meine körperliche Unversehrtheit.
Überraschungsmoment. Um den geht's. Wenn ich eine Chance habe, dann in diesem kleinen Augenblick. Wenn der Angreifer nicht mit Gegenwehr rechnet.
Kleiner Test. Einfach mal Daumen und Zeigefinger einer Hand fest zusammenpressen. Dann mit der anderen Hand versuchen, gegen den Widerstand den Zeigefinger zu lösen. Das Gleiche auch mit den anderen Fingern probieren.
Wie läuft's? Misserfolg. Misserfolg. Misserfolg. Und, beim kleinen Finger? Der hat im Laufe der Entwicklung der menschlichen Hand seine Haltekraft verloren.
Bloß nicht hinhören müssen?
Schwachstellen kennen. Darum geht es bei der Selbstverteidigung. Mit welchem Geräusch bricht ein kleiner Finger?
Auf diese Fragestellung hat Alfred Kluge die Kursteilnehmerinnen in der Turnhalle des kronacher Schukzentrums erst einmal bringen müssen. Wenn's nicht anders geht - Finger brechen. Ja. Aber dabei zuhören müssen? "Uuuuuh".
Zwischen nicht darüber nachdenken wollen und nicht darüber nachdenken müssen liegt ein Lernprozess. Das werden sie schon noch herausfinden, an diesem Nachmittag. Es geht nicht ums Möchten. Es geht ums Machen.
Und um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Wenn mich jemand in der Kneipe antatscht und ich habe was dagegen, muss (und darf) ich dem Typen nicht gleich den Finger ins Auge rammen. Da gibt es andere "Denkzettel", die weh und gegebenenfalls verdammt weh tun können.
"Bis hierher und nicht weiter"
"Bis hier her und nicht weiter" - dieses Signal muss aber vor der Aktion schon gegeben sein. "Stopp! Hör auf, ich will das nicht!"
Wie schwer fällt es mir, das deutlich zu sagen? Im Privatleben: überhaupt nicht schwer. Im Beruf: um einiges schwerer. Aber das geht nicht nur Frauen so.
"Eine Frau hat das Recht, nein zu sagen. Eine Frau hat das Recht, sich zu verteidigen", macht Alfred Kluge den Kursteilnehmerinnen ein ums andere Mal klar.
"Sagt nein mit fester und lauter Stimme. Sagt es so, dass es nicht als ein ,vielleicht doch‘ aufgefasst wird. Männer neigen dazu, zu denken, wenn eine Frau nein sagt, meint sie eigentlich gar nicht nein".
Immer aufrecht gehen, nicht den Blick senken. Leuchtet ein. Kluge macht die Probe aufs Exempel. Er wird immer näher kommen, hat er angekündigt. Die junge Frau ist gewappnet.
Die Probe aufs Exempel
Drei Meter, einen Meter. Sie steht aufrecht, schaut ihn an. Die 50-Zentimeter-Distanz ist noch nicht ganz erreicht und die Schultern fallen nach vorn, der Blickkontakt bricht ab, sie weicht nach hinten aus. "Opfer!" Alfred Kluges Einschätzung könnte nicht eindeutiger ausfallen.
Sekunden entscheiden
"Der Täter sieht das. Wenn der Kopf nach unten geht, die Haltung zusammenfällt und die Hand sich um die Tasche krampft, nimmt er das wahr." Wenige Sekunden können entscheiden. Die, in denen der Angreifer seine Entscheidung trifft.
"Frauen, die in diesem Moment selbstsicher dastehen - auch wenn sie's innerlich vielleicht gar nicht sind - werden deutlich weniger zu Opfern als Frauen, die schwach wirken".
Eine Aktion allein bringt nichts
Nicht nachdenken. Machen. Blitzschnell. Den Angreifer überraschen. Es nicht bei einer Aktion bewenden lassen, sondern gleich die nächste folgen lassen. Dazu müssen die Abläufe sofort abrufbar sein. "Üben, üben, üben", schärfen Alfred Kluge und Peggy Bradler, die Co-Kursleiterin, den Frauen ein.
"Ihr müsst Euch wehren. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren. Wer sich wehrt, hat zumindest eine Chance, davonzukommen." Dass es dabei einen schmalen Grat zwischen angemessener Gegenwehr und Überreaktion gibt - was gegebenenfalls auch vor Gericht eine Rolle spielen kann -, verhehlen die beiden nicht.
Manchmal steht mehr auf dem Spiel als nur das Handy
Frauen sollen sich effektiv zur Wehr setzen können, das ist das Kursziel. Nicht nur gegen handgreifliche Anmache in der Disco. Nicht nur gegen potenzielle Handtaschenräuber. Frauen können in Situationen kommen, in denen mehr auf dem Spiel steht, als nur Handy oder Kreditkarten.
Habe ich den Mut, einem Angreifer in Notwehr das Knie nach hinten durchzutreten oder den Autoschlüssel durchs Gesicht zu ziehen? Muss ich darüber nachdenken?
"Als Frau macht man so was nicht", stellt Alfred Kluge in den Raum und kommt zum Kern des Problems, warum es vielen Frauen schwer fällt, sich zu behaupten und zu wehren. Es ist in den meisten Fällen eine Frage der Erziehung.
"Von Mädchen wird erwartet, dass sie lieb sind"
"Von Mädchen wird erwartet, das sie lieb und sanft sind, dass sie zurückstecken. Dann werden aus den Mädchen Teenager, die plötzlich zu hören bekommen: Du musst schon sagen, was du willst. Selber schuld, wehr Dich doch! Das wird aber nicht funktionieren."
Wie ist das im Kinderwagen, wenn ein kleiner Junge die Hand wegschiebt, die ihm die Wange streichelt? "Hoho! Der kleine Kerl, der lässt sich nicht alles gefallen." Diese Reaktion ist nicht unwahrscheinlich. Wie fällt sie aus, wenn ein Mädchen auf die gleiche Weise agiert? Bekommt es Bestätigung?
Frauen müssen also an sich arbeiten. Diese Botschaft ist angekommen. Wirklich? Wieso muss ich?
Wenn ich aus Kindertagen nicht die nötige Fähigkeit zur Selbstbehauptung mitbringe, werde ich wohl tatsächlich müssen. Ich kann's auch bleiben lassen. Und von denen, die einen Blick dafür haben, als schwach eingeschätzt werden.
Verteidigen, nicht angreifen
Jedoch: Die Grenze zwischen Selbstsicherheit und Provokation kann fließend sein. Daran sollte man auch denken. Wenn Leib und Leben in Gefahr sind, müssen sich Frauen wirksam wehren können. Dazu befähigt ein Selbstverteidigungskurs. Nicht zum Angreifen. Ziel ist, aus der Situation herauskommen und flüchten zu können.
"Seid fies"
"Seid fies", ruft Alfred Kluge den Frauen in Kronach zu. "Seid fies. Die Täter sind es auch. Selbstverteidigung ist nicht schön. Sie ist schmutzig."
Wenn's wirklich sein muss, wird ein kleiner Finger dabei auf der Stecke bleiben. Oder mehr. Darüber denke ich nicht mehr nach. Auch nicht über das Geräusch, mit dem ein kleiner Finger bricht. Alfred Kluge hat es verraten. Selbst ein doppelter Oberarmbruch, den er schon erlitten hat, ist nicht laut. Und ein Bruch des kleinen Fingers klingt nach splitternder Salzstange.
Ein Interview mit Alfred Kluge (Karate-B-Trainer, 4. Dan, Trainer Selbstverteidigung und Gewaltprävention) lesen sie
hier.
Das sagt das Strafgesetzbuch
§ 32 (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
§ 33 Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.
§34 Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Warum spart man sich das ganze Fingerbrechen, Gesicht zerkratzen und Augen ausstechen nicht und schafft die brutalen Vergewaltiger einfach außer Landes?! - In Deutschland muß wieder Sicherheit, Recht und Ordnung herrschen! Wir wollen uns auch nachts noch auf die Straße trauen und nicht in jeder Sekunde mit einem Überfall rechnen müssen! - Niemand will plötzlich deutsche Frauen die fies und brutal sind, darauf kann man getrost verzichten...!
MfG