inFranken.de trifft: Schätzlein-Suche in der Rhön

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Gerhard Schätzlein erzählt die Geschichte der Ruine "Mauerschädel": Im Mittelalter versteckten die Menschen sich in der Kirchenburg vor Feinden. Auch Reste der "Gaden", in denen Vorräte gelagert wurden, sind noch zu sehen. Fotos: Ronald Rinklef
Gerhard Schätzlein erzählt die Geschichte der Ruine "Mauerschädel": Im Mittelalter versteckten die Menschen sich in der Kirchenburg vor Feinden. Auch Reste der "Gaden", in denen Vorräte gelagert wurden, sind noch zu sehen.  Fotos: Ronald Rinklef
Dorfspaziergang mit Fachwerkidylle. Foto: Ronald Rinklef
Dorfspaziergang mit Fachwerkidylle. Foto: Ronald Rinklef
 
Fachwerkidyll: "Lauter Postkartenmotive", sagt der Fotograf. Foto: Ronald Rinklef
Fachwerkidyll: "Lauter Postkartenmotive", sagt der Fotograf. Foto: Ronald Rinklef
 
Sogar Aschenbahn und Basketballfeld gibt's im Dorf. Foto: Ronald Rinklef
Sogar Aschenbahn und Basketballfeld gibt's im Dorf. Foto: Ronald Rinklef
 
Er kommt regelmäßig aus Thüringen zum Kaffee trinken und einkaufen, weil hier nicht so ein Gerammel ist wie in den großen Läden. Foto: Ronald Rinklef
Er kommt regelmäßig aus Thüringen zum Kaffee trinken und einkaufen, weil hier nicht so ein Gerammel ist wie in den großen Läden. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
Foto: Ronald Rinklef
 
Marilyn Monroe passt nicht so recht in die sachliche Arbeitsatmosphäre von Gerhard Schätzleins Büro. "Ich bin ein Fan von ihr", sagt der 80-Jährige lächelnd. Seit damals, als er in Bamberg die Hochschule besuchte, und zum ersten mal "Manche mögen‘s heiß" gegeben wurde. Foto: Ronald Rinklef
Marilyn Monroe passt nicht so recht in die sachliche Arbeitsatmosphäre von Gerhard Schätzleins Büro. "Ich bin ein Fan von ihr", sagt der 80-Jährige lächelnd. Seit damals, als er in Bamberg die Hochschule besuchte, und zum ersten mal "Manche mögen‘s heiß" gegeben wurde. Foto: Ronald Rinklef
 
Ewald Landgraf kauft regelmäßig bei Susanne Hofmann ein. Foto: Ronald Rinklef
Ewald Landgraf kauft regelmäßig bei Susanne Hofmann ein. Foto: Ronald Rinklef
 
Der Dorfladen "Dreierlei" in Willmars ist gut bestückt ... Foto: Ronald Rinklef
Der Dorfladen "Dreierlei" in Willmars ist gut bestückt ... Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Vier Bildschirme und eine Mission: Gerhard Schätzlein erforscht seine Heimat. Foto: Ronald Rinklef
Vier Bildschirme und eine Mission: Gerhard Schätzlein erforscht seine Heimat. Foto: Ronald Rinklef
 
Gerhard Schätzlein kommt kurzerhand mit und zeigt uns seinen Ort. Foto: Ronald Rinklef
Gerhard Schätzlein kommt kurzerhand mit und zeigt uns seinen Ort. Foto: Ronald Rinklef
 
Die Kirche im Dorf. Foto: Ronald Rinklef
Die Kirche im Dorf. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Die Fresken in der evangelischen Dorfkirche entstanden vor der Reformation. Foto: Ronald Rinklef
Die Fresken in der evangelischen Dorfkirche entstanden vor der Reformation. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Gerhard Schätzlein hat den Schlüssel für den Jüdischen Friedhof. Foto: Ronald Rinklef
Gerhard Schätzlein hat den Schlüssel für den Jüdischen Friedhof. Foto: Ronald Rinklef
 
Die letzte Bestattung fand 1938 statt. Die letzten jüdischen Bewohner des Dorfes wurden nach Treblinka deportiert oder waren rechtzeitig geflohen. Schätzlein hat Kontakt zu Nachfahren der Juden in Israel, England, Schweden und Australien. Foto: Ronald Rinklef
Die letzte Bestattung fand 1938 statt. Die letzten jüdischen Bewohner des Dorfes wurden nach Treblinka deportiert oder waren rechtzeitig geflohen. Schätzlein hat Kontakt zu Nachfahren der Juden in Israel, England, Schweden und Australien. Foto: Ronald Rinklef
 
Der älteste Teil des Jüdischen Friedhofs in Willmars wurde vor etwa 300 Jahren in einer aufgelassenen Lehmgrube errichtet, wie Gerhard Schätzlein erklärt. Foto: Ronald Rinklef
Der älteste Teil des Jüdischen Friedhofs in Willmars wurde vor etwa 300 Jahren in einer aufgelassenen Lehmgrube errichtet, wie Gerhard Schätzlein erklärt. Foto: Ronald Rinklef
 
Der Stein stammt aus der ersten Zeit des Friedhofs. Die Fichte hingegen ist geschätzt nur etwa 60 Jahre alt. Foto: Ronald Rinklef
Der Stein stammt aus der ersten Zeit des Friedhofs. Die Fichte hingegen ist geschätzt nur etwa 60 Jahre alt. Foto: Ronald Rinklef
 
 
 
Foto: Ronald Rinklef
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Der mysteriöse Mauerschädel. Foto: Ronald Rinklef
Der mysteriöse Mauerschädel. Foto: Ronald Rinklef
 
Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Foto: Ronald Rinklef
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Die Gaden der Kirchenburg sind noch zu sehen. Sie dienten der Vorratshaltung. Foto: Ronald Rinklef
Die Gaden der Kirchenburg sind noch zu sehen. Sie dienten der Vorratshaltung. Foto: Ronald Rinklef
 
 
 

Ein uralter steinerner Schädel im Wald, ein innovativer Dorfladen und der Mann, der alles weiß und jeden kennt. Begegnungen in Willmars in der Rhön.

Als wir uns am Morgen auf dem Parkplatz vorm Dorfladen treffen, wissen wir, dass Willmars nur ein paar Kilometer von den Grenzen zu Hessen und Thüringen entfernt liegt. Wir - das sind der Fotograf und ich, die Reporterin. Wie geschichtsträchtig dieses Dorf ist, begreifen wir erst, als wir am Mittag vor einer 1000 Jahre alten Kirchenburgruine im Wald stehen und Gerhard Schätzlein erzählt, wie er im Herbst 1959 als junger Lehrer in den Landkreis Rhön-Grabfeld kam.
"Damals hat es hier um den Mauerschädel herum ganz anders ausgesehen", erinnert sich der 80-Jährige und zeigt auf den Stumpf des Kirchturmes. Der Fotograf ist begeistert vom Licht, das schräg über die Bäume auf das Gemäuer fällt. "Früher gab es hier keine Bäume", sagt Schätzlein. "An meinem ersten Tag als Lehrer haben wir hier nachmittags Verstecken gespielt. Auf einmal kamen zwei DDR-Grenzsoldaten auf Motorrädern. Da - " er deutet auf den Wald hinter dem Turm, "war der Kolonnenweg." Die Grenze verlief mitten durch die Ruine, sie teilte Altarraum und Kirchenschiff in Ost und West. Das wusste der junge Lehrer aus Nürnberg nicht. "'59 war die Grenze noch unsichtbar, es lagen auch keine Minen. Die Soldaten guckten nur." Den Schülern ist nichts passiert. Doch Gerhard Schätzlein ließ das Thema Grenze nie wieder los. Er hat mehrere Bücher darüber geschrieben; überhaupt hat er sich intensiv mit der regionalen Geschichte beschäftigt und ist dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Nichts davon wissen wir, als wir am Morgen vorm Dorfladen parken. Aber gleich der erste, dem wir begegnen, sagt: "Da müssen Sie mit Herrn Schätzlein sprechen." Dabei kennt sich Ewald Landgraf selbst recht gut mit seinem Heimatort aus: Etwas mehr als 600 Einwohner habe Willmars zusammen mit den Ortsteilen Völkershausen und Filke, viele Junge zögen weg, die Grenzöffnung habe leider nicht den erhofften Effekt gehabt. Trotzdem gebe es einige Besonderheiten, aber darüber wisse am besten Herr Schätzlein Bescheid. "Er wohnt in der alten Schule in Filke."


Von Apfelmus bis Zahnpasta

Auch Susanne Hofmann sagt, wir sollten mit Schätzlein reden, wenn wir mehr über Willmars wissen wollen. Sie steht hinter der Theke des Dorfladens. Es ist ein kleiner Supermarkt, der von Apfelmus bis Zahnpasta alles führt - aber in kleinen Mengen, nicht palettenweise. Susanne Hofmann packt Brot und Fleischsalat für Ewald Landgraf zusammen. Obwohl manches ein paar Cent teurer ist, kaufen die Leute gern hier ein, um das Geschäft im Ort zu erhalten. Sie sind froh, nicht immer aufs Auto angewiesen zu sein. Außerdem ist das "Dreierlei" ein Treffpunkt. "Freitagnachmittag kommen die Männer auf ein Feierabendbier", erzählt Hofmann.
Als der Laden vor gut zwei Jahren dicht gemacht wurde, weil die frühere Betreiberin in Ruhestand ging, suchte die Dorfgemeinschaft händeringend eine Lösung. Nach einigem Hin und Her übernahm Werner Palancares den Betrieb und Susanne Hofmann den Verkauf. Vieles wurde erneuert, beispielsweise gibt's jetzt auch einen WLan-Hotspot. Am Anfang habe sie Angst gehabt, ob das gut geht, schließlich hatte sie ihren festen Job im Altersheim gekündigt. Die 37-Jährige macht einen Kaffee für den Stammgast aus Thüringen, der am Tisch in der Ecke Zeitung liest. Sie lächelt. "Es läuft prima."


Schon wieder dieser Schätzlein!

Die kleine Gemeinschaft funktioniert. Wir sehen ein Bilderbuchdorf mit hübschen Fachwerkhäusern und gepflegten Blumenrabatten, es gibt eine Schule mit Spielplatz und Sportanlagen, einen Kindergarten. Die Dorfbewohner helfen zusammen, jeder kennt jeden. Zumindest fast. Und einen kennen alle: Beim Spaziergang durchs Dorf treffen wir Heike Dankert aus Ostheim, die den Kirchenchor in Willmars leitet. Einer ihrer Sänger, sagt sie, also der wisse wirklich alles über den Ort. Der schon wieder! Jetzt müssen wir mal mit diesem Schätzlein sprechen. Also ab ins Auto und nach Filke.
Zwei Minuten später klingeln wir bei Gerhard Schätzlein, Sekunden später stehen wir in seinem Büro: Auf vier Computerbildschirmen verarbeitet der 80-Jährige gerade Material für sein neues Buch über den "Sulzgau". Im Hintergrund läuft Klassikradio. Nur ein Bild von Marilyn Monroe durchbricht die sachliche Arbeitsatmosphäre von Gerhard Schätzleins Büro. "Ich bin ein Fan von ihr", sagt der 80-Jährige lächelnd. Seit damals, als er in Bamberg die Hochschule besuchte, und zum ersten mal "Manche mögen‘s heiß" gegeben wurde.
Die Regale sind bis zur Decke gefüllt mit Büchern und Ordnern über die Region, in die ihn das Lehramt als jungen Mann verschlagen hat. Später wurde er hier Bürgermeister. Er betrachtet unsere mitgebrachte Landkarte, auf der wir markiert haben, wo der Pfeil beim inFranken.de-trifft-Spicken gelandet ist. "Hm", ist sein Kommentar. "Hier im Wald ... da ist gar nichts." Aber nicht weit entfernt gebe es einige Besonderheiten, sagt er. Und dann kommt er einfach mit uns mit.


Das letzte Geheimnis

Schätzlein zeigt uns den Jüdischen Friedhof, der oberhalb des Dorfes versteckt im Wäldchen liegt. Und er bringt uns zur Ruine Mauerschädel, diesem Ort, an dem irgendwie auch seine persönliche Geschichte mit Willmars begonnen hatte. Ein letztes Dorfgeheimnis lüftet er noch. Im Kalten Krieg wurde über das alte Gemäuer verhandelt: "Die Ruine wurde durch die deutsch-deutsche Grenzkommission 1974 komplett der BRD zugeordnet."

Lesen Sie am Donnerstag, was Irmtraud Fenn-Nebel in Marktgraitz erwartet.