Noch praktiziert Günter Geier und rollt mit seiner Puppenambulanz durchs Land. Wegen gesundheitlicher Probleme will der 71-Jährige aber in den Ruhestand gehen - sofern sich ein Nachfolger findet: "Denn mein Beruf darf nicht aussterben."
"Nein, keine Sorge, das wird schon wieder. Ein abgetrennter Kopf ist doch kein Beinbruch." Liebevoll legt Günter Geier seine Patientin auf den "Operationstisch", um mit Spezialkleber den Heilungsprozess einzuleiten. Während bei Puppenmutter Stella die Tränen versiegen, die ihr "Sorgenkind" wenig später wieder im Arm mit nach Hause nimmt. - Eine alltägliche Szene aus der Klinik von Dr. med. Pupp, wo auch Kassenpatienten keine Praxisgebühr zahlen müssen. Nach einem halben Jahrhundert, in dem Geier Spielkameraden aus Porzellan, Celluloid, Stoff und Stroh verarztete, ist der 71-Jährige aber gesundheitlich selbst so angeschlagen, dass er seinen Beruf nicht länger ausüben kann. "Nur habe ich trotz aller Versuche bislang noch keinen geeigneten Nachfolger gefunden."
Seit Jahren leidet der Puppen- und Bärendoktor mit dem großen Herz für Kinder unter Herzproblemen. "Eigentlich wollte ich im Frühjahr schon in den Ruhestand treten und hatte eine Nachfolgerin gefunden, die aus familiären Gründen letztendlich aber absagte." So ging der Seußlinger notgedrungen "in die Verlängerung", wie er es nennt. "Aber 2012 ist endgültig Schluss, das habe ich meiner Frau versprochen."
Müde ist Günter Geier, erschöpft und zunehmend desillusioniert, was die Suche nach einem geeignetem Ersatz betrifft. "Der Beruf des Puppendoktors darf nicht aussterben. Früher gab es in jeder Stadt ein solches Angebot und auf dem Land übernahmen Bader ,Not-OPs'." Mittlerweile aber sei das Interesse an dem wenig lukrativen Broterwerb verschwindend gering. Ein passender Kandidat meldete sich nicht mal nach Radio- und Fernsehsendungen, in denen der durch alle deutschsprachigen Länder tourende Dr. med. Pupp auftrat. "Besser als ein Kandidat wäre übrigens eine Kandidatin, da sich Frauen meiner Tätigkeit vermutlich mit mehr Hingabe widmen als technikbegeisterte Männer, die über einen so nostalgisch anmutenden Beruf doch nur schmunzeln können."
Ja, hingebungsvolles Engagement gehört zu den Schlüsselqualifikationen eines Puppendoktors, neben Fingerspitzengefühl, Geduld, Einfalls- reichtum und der Freude am Herumreisen. "Schließlich bin ich bis zu 40 Wochen pro Jahr für jeweils drei Tage auf Tour, um auch in Österreich und der Schweiz in Touristik- und Einkaufszentren zu praktizieren." Und hält Geiers "Rettungswagen" mal wieder in Seußling, kommt der 71-Jährige noch lange nicht zur Ruhe. "Zu Hause betreibe ich schließlich meine Puppenklinik - mit einem Ersatzteillager von 25 000 Einzelteilen, darunter alleine 10 000 Augen (Puppen-, Bären-, Fisch- und selbst Räuchermännchenaugen)."
Schönheits - und Unfallchirurgie Wie viele Behandlungen hat der Franke im Lauf der letzten fünf Jahrzehnte durchgeführt ohne je im Sinne von "Operation gelungen, Patient tot" zu versagen. "Bei mir gibt's keinen Puppen- oder Bärenfriedhof", betont der 71-Jährige. Wobei ihm bei allen Eingriffen - von der Unfallchirurgie bis hin zu Haar- und Fell-Transplantationen - die Betreuung der Angehörigen am Herzen lag. "Zeitweise war ich Seelsorger oder Psychologe."
Keineswegs nur Kinder vertrauen dem Puppendoktor eben ihre Lieblinge an. "Beispielsweise kam vor einiger Zeit eine über 80-jährige Frau mit der einzigen Puppe, die ihr die Eltern in der Kindheit geschenkt hatten. Der Porzellankopf war zersprungen, ein Arm fehlte." Günter Geier half, angesichts der schmalen Rente der Alleinstehenden sogar zum Nulltarif. Während sein Honorar bei aufwendigen Behandlungen sonst bis zu 150 Euro betragen kann.
"Vergessen werde ich auch nie die gebrechliche alte Dame, die am Stock in meine Praxis kam und mir ,Lisa' anvertraute." Soldaten hatten die Puppe der heute weit über 80-Jährigen aufgeschlitzt, die im Zweiten Weltkrieg mit den Eltern vor der Roten Armee flüchtete. "Sie vermuteten verstecktes Geld, was viele tatsächlich in Kinderspielzeug verbargen." Der Puppendoktor half - auch dieses Mal. "Und die Dankbarkeit der alten Dame rührt mich bis heute zu Tränen."
Nein, reich wird kein Dr. med. Pupp. Aber reich an zwischenmenschlichen Erfahrungen. "Die bedeuten mir mehr als eine eigene Villa und ein dicker Schlitten vor der Tür", sagt Geier. Mittlerweile behandelt er zwar eher in die Jahre gekommene "Alfs" und "E.T.s" als Porzellanpüppchen, die in 1000 Teile zerspringen können ("bis man die alle wieder zusammengeleimt hat... "). Aber daran hängt heute eben das Herz vieler Besitzer - der Wegwerfgesellschaft zum Trotz.
Interessenten bitte melden Und wer an dieser Stelle Lust bekommen hat, selbst als Puppendoktor zu praktizieren, sollte sich baldmöglichst an Günter Geier wenden, der per Mail über seine Frau Ute zu erreichen ist: utegeier2408@aol.com.