Nach Rechtsruck der Bundespartei: AfD in Franken ist tief gespalten

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Foto: Fredrik von Erichsen/dpa
Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Der Machtwechsel an der Spitze der AfD schlägt Wellen in der Partei: Auch in Franken sind viele Funktionsträger enttäuscht und kehren ihr den Rücken. Wird die AfD nun zur Pegida-Partei und zum Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker?

Eine unruhige Nacht lang hat Arnd Feistel in Essen noch einmal das Für und Wider abgewogen, dann wusste er, es geht nicht mehr. In der kommenden Woche wird der Vorsitzende des Forchheimer AfD-Kreisverbands sein Amt zur Verfügung stellen und auch gleich aus der Partei austreten.

"Ich bin ein Anhänger von Bernd Lucke und natürlich enttäuscht, dass er gegen Frauke Petry verloren hat. Am meisten haben mich auf dem Parteitag in Essen aber der Ton, das Gebrülle und die vielen rechten Redner entsetzt."

Der AfD-Stadtrat will jetzt erst einmal abwarten, ob Lucke nach seinem angekündigten Rückzug aus der AfD tatsächlich eine neue Partei ins Leben rufen wird. Ein Mann aus dem fränkischen Umfeld der AfD ist sicher, dass genau das auch passieren wird: "Lucke gründet eine neue Partei.
Ich bin schon gefragt worden, ob ich mitmachen möchte." Möchte er aber nicht; ebenso wenig, wie seinen Namen in der Zeitung lesen.

"Schlechte Verlierer"

Das Beben von Essen lässt auch in den fränkischen Kreis- und Bezirksverbänden die Fundamente wackeln.
So klagt der Würzburger Kreisvorsitzende Frank Hillgärtner, dass auf dem Essener Parteitag die "AfD, für die ich mich einmal begeistert habe, zu Grabe getragen" worden sei.

Der Kreisverband Coburg/Kronach ist seit Dienstag sogar führungslos, nachdem Vorsitzender Stefan Zubcic und seine Stellvertreter ihre Posten geräumt und auch der Partei den Rücken gekehrt haben. Ihren drastischen Schritt begründeten sie mit einem drohenden Rechtsruck, den sie weder mittragen könnten noch möchten.
"Die Coburger sind doch nur schlechte Verlierer", höhnt Wolf-Dieter Jacobi. Der Bamberger AfD-Vorsitzende hat den Essener Parteitag als lang ersehnten "Befreiungsschlag" erlebt. Die Flügelkämpfe der zurückliegenden Wochen hätten die Partei unnötig gelähmt: "Jetzt machen wir mit neuer Kraft weiter."

Gelöster Stimmung kam auch der Vorsitzende des Kreisverbands Kulmbach-Lichtenfels, Georg Hock, aus Essen zurück: "Ich kann mit der neuen Vorsitzenden gut leben." Dass die Partei künftig deutlich nach rechts rücken könnte, glaubt er nicht. Er erlebe die AfD weiter als eine Partei, in der sowohl Konservative als auch Liberale eine Heimat hätten. Auch der mittelfränkische Bezirksvorsitzende Siegfried Ermer sehnt sich nach Wochen der Hysterie nach Ruhe und Gelassenheit. Den Rückzug Luckes nennt er "schade, aber wohl zwangsläufig". Dem Parteigründer fehle es schlicht an der nötigen Sozialkompetenz, um eine Partei zu führen.

Ein Kritiker fühlt sich bestätigt

Von einer aufgewühlten Parteibasis, die in Scharen ihren Austritt erklärt, wollen in der fränkischen AfD aber weder Unterstützer noch Gegner der neuen Führung sprechen.

Dem oberfränkischen Bezirksvorsitzenden Tobias Peterka "sind 24 Austritte bei 260 Mitgliedern bekannt". Dass die Zahl weiter steigen könnte, will Peterka zwar nicht völlig ausschließen. Allerdings sei die oberfränkische Basis "definitiv das, was man national-konservativ nennt" und verbinde deshalb mit der neuen Vorsitzenden Petry große Hoffnungen. Auch aus Mittelfranken meldet Ermer lediglich "überschaubare Austritte". "Überschaubar", so nennt er es, wenn innerhalb weniger Tage zehn von 350 Mitgliedern ihren Austritt erklärt haben.
Alarmierter klingt einzig der bayerische Landesvorsitzende André Wächter. "Wir haben aktuell viele Austritte", räumt er ein. 200 von 3000 bayerischen AfD-Mitgliedern haben demnach die Partei seit dem Wochenende verlassen.

In Bamberg fühlt sich unterdessen ein Mann in seinen dunkelsten Ahnungen bestätigt. Vor genau einem Jahr hatte Franz Eibl aus Protest gegen die schleichende Dominanz rechter Positionen sein Amt als Bezirksvorsitzender und Pressesprecher der Bayern-AfD niedergelegt. "Mich überrascht die Entwicklung nicht", sagte Eibl am Donnerstag.


Kommentar: die gute und die schlechte AfD

Man muss die AfD nicht mögen, um ihren Zustand zu bedauern. Auch nachdem Frauke Petry den erbitterten Machtkampf um den Parteivorsitz gewonnen hat, bleibt die AfD eine Partei im Ausnahmezustand.
In dieser desolaten Verfassung vermag die AfD aber nicht länger eine Aufgabe zu erfüllen, für die sie auch respektieren konnte, wer ihr niemals seine Stimme gegeben, geschweige seinen Mitgliedsbeitrag überwiesen hat.
Gegründet als ein Verein entfremdeter CDU/CSU-Mitglieder und Gegner der Euro-Rettungspolitik, hat es die Partei in ihren besten Tagen geschafft, auch stramm rechts denkenden Menschen eine politische Heimat zu geben. Die AfD wurde zum Sammelbecken für alle, die Ressentiments in sich trugen oder auch nur ein Unbehagen: an der Homoehe, am Atomausstieg, an der Zuwanderung oder am Islam.

Unter sich und im trotzigen Selbstmitleid, nicht gehört und repräsentiert zu werden, können diese Kreise einer offenen Gesellschaft großen Schaden antun. Es hat deshalb gerade den Charme der AfD ausgemacht, dass sich darin konservative, populistische und offen radikale Positionen gewürdigt fühlten - und in Wahrheit einander neutralisierten. "Ohne uns gibt es die Gefahr, dass enttäuschte Wähler, die eigentlich gar nicht rechts sind, aus Protest extremistische Parteien wählen", hat Lucke einmal selbst erkannt.

Indem er jetzt seiner Partei beleidigt den Rücken kehrt, droht die AfD selbst zu einer extremistischen Partei zu werden. Denn er überlässt sie nicht nur den Nationalkonservativen um Petry. Er überlässt sie auch den Verschwörungstheoretikern, Antikapitalisten, Systemkritikern und wohl auch manchem Antisemiten. Es stimmt, die AfD droht zur Pegida-Partei zu werden. Der Unterschied zwischen Pegida und der AfD aber ist, dass die AfD nicht auf die Dauermobilisierung der Straße angewiesen ist. Sie sitzt bereits in Landesparlamenten, verfügt so über nicht unbeträchtliche finanzielle Ressourcen und eine parlamentarische Bühne.

Lucke hätte in der AfD weiterkämpfen müssen für seine Positionen. Das wäre er nicht nur seinen Anhängern, sondern auch der deutschen Demokratie schuldig gewesen. Sein Parteiaustritt lässt gerade jenes bürgerliche Verantwortungsgefühl vermissen, das er so gern für sich in Anspruch genommen hat.