Eine Stadtratsmehrheit fordert nicht nur Übertragungen per Livestream, sondern auch die Möglichkeit, online an den Sitzungen teilzunehmen. Doch dafür müsste erst die Gemeindeordnung geändert werden.
Bleibt der Bamberger Stadtrat handlungsfähig, wenn Corona einzelne Mandatsträger in die Quarantäne zwingt? Die Frage ist durchaus berechtigt. Denn allein in dieser Woche mussten zum Beispiel in Aschaffenburg und in Schillingsfürst (Kreis Ansbach) Sitzungen abgesagt werden, weil Stadträte oder Verwaltungsmitarbeiter an Corona erkrankten, in Neuburg/Donau gingen zwei Bürgermeister und der halbe Stadtrat in Quarantäne. Für Volt-Stadtrat Hans-Günter Brünker ist es längst fünf vor zwölf.
Zwei Anträge, viele Unterzeichner
Er befürchtet, dass in solchen Fällen ein normaler Sitzungsbetrieb im Stadtrat und in den Senaten nicht aufrechterhalten werden kann. "Eine so lange Unterbrechung wie im Frühjahr/Sommer können wir uns aber nicht mehr leisten", stellt er fest. "Sitzungen müssen stattfinden." Eine breite Phalanx aus Grünes Bamberg/ÖDP/Volt, SPD, Bamberger Linke Liste, Freie Wähler und Bambergs Mitte hat nun nicht nur beantragt, dass die Sitzungen künftig live im Internet übertragen werden. Einige fordern auch, dass sich Stadträte per Videoübertragung an den Sitzungen beteiligen können.
"Hintergrund des Antrags sind auch die bei uns stetig steigenden Infektionszahlen", sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Klaus Stieringer. "Wir haben schon bei Aufsichtsratssitzungen gute Erfahrungen mit Videokonferenzen gemacht." Entsprechend ist er optimistisch, dass auch Sitzungen online oder mit online zugeschalteten Teilnehmern funktionieren könnten.
Anträge mit derart vielen Unterzeichnern sollten im Stadtrat eigentlich gute Chancen auf Mehrheiten haben. Die Sache hat nur einen entscheidenden Haken: Die bayerische Gemeindeordnung regelt unter anderem, dass Stadtratsmitglieder vor Ort präsent sein müssen, um debattieren und entscheiden zu können. Artikel 48 sieht die Teilnahmepflicht der Ratsmitglieder an Sitzungen und Abstimmungen vor und im Artikel 52 steht, dass die Sitzungen "in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum" stattfinden müssen.
Der virtuelle Raum ist damit allerdings nicht gemeint, denn anders als in Baden-Württemberg konnte sich das bayerische Landesparlament im Corona-Jahr im April nicht zu einer entsprechenden Änderung durchringen. Auf FDP-Initiative war darüber im Landtag beraten worden - aber CSU, SPD, Grüne und Freie Wähler hatten dagegen gestimmt. Auch das bayerische Innenministerium hat auf eine Nachfrage Hans-Günter Brünkers unterstrichen, dass "Anwesenheit" als "körperlich anwesend" zu verstehen sei.
Die letzten Wochen und Monate hätten gezeigt, "dass die Kommunen auch in Zeiten der Corona-Pandemie auf Grundlage der bestehenden Regelungen der Kommunalgesetze weiterhin handlungsfähig sind". Brünker macht das fassungslos: "Wir können es uns nicht noch einmal leisten, dass wochenlang keine Sitzungen stattfinden. Für mich beweist die CSU-Staatsregierung mit solchen Äußerungen, wie rückständig sie eigentlich ist."
Es gehe ihm keineswegs um reine Videokonferenzen. Vielmehr solle im ersten Schritt nur die Möglichkeit geschaffen werden, einzelne Stadträte zuzuschalten, die nicht persönlich teilnehmen können. Das sei nicht nur mit Rücksicht auf Risikogruppen, auf möglicherweise erkrankte und unter Quarantäne stehende Stadträte wünschenswert. Auch in Nicht-Corona-Zeiten könne so zum Beispiel auch jemand mitentscheiden, der gerade auf einer Geschäftsreise ist.
Und der zweite Antrag ermögliche es eben der Öffentlichkeit, an den Sitzungen teilzuhaben, ohne vor Ort sein zu müssen. Datenschutzbedenken seien in diesem Zusammenhang immer ein Totschlagargument: "Persönlichkeitsrechte müssen stets geachtet werden, aber wenn sich jemand in ein öffentliches Amt wählen lässt, warum will er dann nicht, dass man ihn sieht?"
Technisch gut ausgestattet
Was eine mögliche Übertragung von Sitzungen im Livestream angeht, zeigt sich auch der für Digitalisierung zuständige Wirtschaftsreferent Stefan Goller sehr aufgeschlossen. Er prüfe derzeit die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Zeitnah möchte er dann dem Stadtrat berichten, was zu tun ist und was es kosten würde.
Was aber den auch aus Gollers Sicht "durchaus berechtigten Wunsch, Stadtratssitzungen auch als Videokonferenzen abhalten zu können" angeht, stehe dem das derzeit geltende Recht entgegen. Aber Goller könne sich die Online-Zuschaltung einzelner Stadtratsmitglieder durchaus vorstellen.
"Wir werden erleben, dass auch bei uns wieder Stadtratssitzungen abgesagt werden müssen", ist Klaus Stieringer überzeugt. "Wir müssen versuchen, über die Regierung von Oberfranken unseren Einfluss geltend zu machen." Denn gerade vor einer der schwierigsten und komplexesten Haushaltsverhandlungen der Stadtgeschichte gelte es, handlungsfähig bleiben. "Das ist keine Entscheidung, die erst im nächsten Jahr fallen darf. Hier ist Eile geboten."
Zumindest an der technischen Ausstattung der Stadträte würde die Online-Sitzung nicht scheitern: Schon eine Weile vor Corona wurden die Stadträte mit modernen Tablets ausgerüstet.
KOMMENTAR von Stefan Fößel
Schwer nachvollziehbar
Zugegeben, nicht jede Videokonferenz läuft perfekt. Aber nicht zuletzt Corona hat auch hierzulande dazu beigetragen, dass sich Strukturen und Technik verändern mussten, dass auch die Akzeptanz virtuellen Austauschs enorm zugenommen hat. Parteitage, Konferenzen und Regierungserklärungen finden selbstverständlich auch auf digitalen Wegen statt. Dass in Bayerns Städten und Gemeinden aber schon die Zuschaltung einzelner Räte nicht möglich sein soll, ist daher schwer nachvollziehbar. Denn die laut Innenministerium stets vorhandene Handlungsfähigkeit muss hinterfragt werden. Was bleibt liegen, wenn ständig Sitzungen ausfallen und über Notsenat oder Eilverfügungen regiert werden muss? Warum kann ein Stadtrat nicht mitbestimmen, der sich nur in Quarantäne befindet? Die Kommunen hätten hier mehr Vertrauen verdient. Und ein Werkzeug, dass für mehr Handlungsfreiheit sorgen könnte.
also auch ich würde vom livestream abraten, es würde sich blankes entsetzen in der bürgerschaft breit machen
Bitte nicht! Das Fernsehprogramm ist schlecht genug, das muss man nicht noch toppen...