Bamberg
Buchtipp

James Rhodes: Der Klang der Wut

Der britische Konzertpianist James Rhodes schreibt über Musik und Kindesmissbrauch.
Ein Ausschnitt aus dem Buchcover Foto: Nagel & Klimche,
Ein Ausschnitt aus dem Buchcover Foto: Nagel & Klimche,
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Die Wahrheit sollte man meinen, ist etwas, das man nicht verbieten kann. Allerdings sah es eine ganze Weile so aus, als ob "Der Klang der Wut" ein Buch sein würde, das es nie in die Regale der Buchhandlungen schaffen würde. Bis das oberste Gericht Großbritanniens eine Veröffentlichung erlaubte, mit dem Hinweis, der Autor dürfe der Welt seine Geschichte erzählen. Der Supreme Court wies damit die Klage von Rhodes' Ex-Frau zurück, die nicht nur das Buch verhindern, sondern ihm auch verbieten wollte, über seine eigene Vergangenheit öffentlich zu reden.


Anders als andere Pianisten

Der Autor ist James Rhodes, ein Konzertpianist, der genau das Gegenteil von dem ist, was man sich landläufig unter einem Konzertpianisten vorstellt. Er kommt im T-Shirt, Jeans und Turnschuhen auf die Bühne, wirkt gleichzeitig hyperaktiv und ruhig, witzig und ernsthaft und hat keinerlei Probleme damit, sein schwarzes langärmliges Shirt, auf dem in Großbuchstaben BACH steht, auszuziehen ("Mir ist zu warm, sorry, ich ziehe das T-Shirt aus. Seit aber nicht neidisch, ich war öfter im Fitnessstudio") und dann an einem beeindruckend großen und spiegelnden Steinway-Flügel Klangwelten zu erschaffen, die die Zuschauer wie im vergangenen Herbst im Londoner Kulturzentrum Barbican gefangennehmen. Und dieser kleine und so zerbrechlich wirkende 40-jährige Brite, der fürs Klavierspielen seine große Nerdbrille abnimmt und tausende von Noten aus dem Gedächtnis spielt, scheint dann so, als hätte er sein ganzes Leben lang nur diese wundervolle Musik gespielt, glücklich alleine mit sich und seinem Klavier.

Das aber, was er in seinem Buch, das jetzt auf Deutsch vorliegt, beschreibt, hat zunächst nichts mit klassischer Musik zu tun - ganz im Gegenteil. Ohne irgendetwas zu beschönigen, schreibt Rhodes wie er als kleiner Junge von seinem Sportlehrer über fünf Jahre hinweg missbraucht wurde. Zwar erspart er seinem Leser die unappetitlichsten Details, aber auch ohne die ist das Buch erschütternd, aufwühlend, verstörend, aber auch rührend. Das liegt auch daran, dass Rhodes genauso schreibt, wie er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit seinen Anhängern kommuniziert oder dem Publikum auf seinen Konzerten erklärt, weshalb er genau dieses Stück spielt, was es für ihn bedeutet und auch gleich noch etwas über das Leben des Komponisten erzählt. Denn natürlich geht es im "Klang der Wut" auch um klassische Musik, um Stücke großer Komponisten, deren Namen auch Laien kennen - auch wenn sie ansonsten mit dieser Musikrichtung nichts anfangen können. Für Rhodes ist diese Musik mehr als reiner Broterwerb. Sie, so schreibt er, hat ihm das Leben gerettet, weil sie Trost schenkt, "wo Verzweiflung ist, und reine, hochdosierte Energie, wenn man sich leer, gebrochen und erschöpft fühlt" und die ihm ein Freund auf einen iPod in die geschlossene Psychiatrie schmuggelte, wo Rhodes nach seiner ersten gescheiterten Ehe und dem Versuch in der Londoner City Geld zu verdienen, mehrfach versuchte, sich umzubringen.

Dass er heute nicht nur glücklich in zweiter Ehe verheiratet ist, gelegentlich für britische Zeitungen schreibt, eine Fernsehsendung über Musik hatte und mittlerweile dank seines Managers, den er in einem Café kennengelernt hat, ein eigenes Musiklabel leitet liest sich wie ein Märchen. "Der Klang der Wut" ist natürlich alles andere als ein Märchen, wenngleich die Geschichte durchaus der Fantasie eines Drehbuchautors entsprungen sein könnte. Dann würde ihr aber der entwaffnende direkte Ton fehlen, der auch in der deutschen Übersetzung, in der der Leser gesiezt wird (und die hin und wieder etwas holprig klingt) nicht ohne die Flüche des Originals auskommt. Komplettiert wird das Lesevergnügen durch eine Playlist der Musikstücke, die jeweils die einzelnen Kapitel einleiten, auf dem Streaming-Dienst Spotify.


Buch & Musik

James Rhodes: Der Klang der Wut, Nagel & Klimche, 22,90 Euro

Einige Stücke stellt James Rhodes zum konstenlosen Anhören zur Verfügung https://soundcloud.com/jrhodespianist

Die neueste CD heißt "Inside Tracks" und steht auch auf den einschlägigen Seiten zum Streamen zur Verfügung.