Durch die Bamberger Innenstadt klingen zu Fronleichnam aus 52 Lautsprechern Gesänge und Gebete. Sie kommen live aus dem Dom. Von hier aus steuert Friedrich Salzbrenner die Prozession.
Am Regietisch herrscht höchste Konzentration. Ist die Stimme des Erzbischofs laut genug? Muss die Schola gemächlicher singen? Oder der Vorbeter das Tempo drosseln? "Wir können mit der Geschwindigkeit des Sprechers die Leute zum schnelleren oder langsameren Gehen bringen", weiß Friedrich Salzbrenner. Das ist wichtig, denn die eineinhalb Kilometer lange Fronleichnamsprozession darf nicht auseinander fallen und muss die Altäre entlang der Strecke zu bestimmten Zeiten erreichen. "Wir richten uns nach dem Himmel", sagt der "Regisseur" und meint damit den Baldachin, unter dem der Erzbischof das Allerheiligste durch die Straßen trägt.
Schweißperlen im Stirnkranz "Sie kommen, sie kommen". Die Menschenmenge am Straßenrand ist unruhig, Handys und Fotoapparate werden in Stellung gebracht.
Keiner will die prachtvollen Fahnen und Stäbe, die Uniformen, die Trachten, vor allem aber die blumengeschmückten Statuen verpassen. Ob die beiden Madonnen - die Freudenreiche aus der Oberen Pfarre und die Schmerzhafte aus St. Martin - den Durchgang am Alten Rathaus ohne Probleme passieren? Im Gold des schweren Domkreuzes sammeln sich die Sonnenstrahlen und in den Stirnkränzen der 18 Träger die Schweißperlen. Wer achtet bei dieser Bilderflut schon darauf, dass in der Prozession gar keine Musikkapelle spielt?
73 Stufen zum schalldichten Studio Das Bläserensemble sitzt nämlich zu dieser Zeit im Ostchor des Doms und wird - ebenso wie die Orgel, der Vorbeter und die Sängerinnen der Schola - per Knopfdruck von Friedrich Salzbrenner zugeschaltet.
Seit 1967 sorgt er mit seinen Technikern für den guten Ton der Prozession und hat dafür über dem Fürstenportal drei Räume zur Verfügung. 73 Stufen geht's hinauf, vorbei an der Orgel und an ausgelagerten Sandsteinfiguren. Heiß ist es dort oben im Studio. Und eng. Dafür ist der Ausblick grandios. In einem Raum - durch Schaumstoff an Türen und Wänden schalldicht gemacht - ist der Vorbeter im Einsatz, im zweiten hat die Schola Aufstellung genommen, während im dritten Raum Friedrich Salzbrenner und sein Tonmeister agieren. Seit das Gehör des 81-Jährigen ein wenig nachlässt, assistiert ihm ein Mitarbeiter seiner Firma Stagetec, die der gelernte Fernsehmechaniker vom Ein-Mann-Betrieb zum europaweiten Marktführer in der professionellen Audiotechnik mit mehr als 280 Angestellten geformt hat.
Mit Blumenstrauß zur Hausbesitzerin Über 20 Leute
sind bereits eine Woche vorher für die Fronleichnamsprozession im Einsatz. Damit buchstäblich alles wie am Schnürchen läuft, müssen mehr als neun Kilometer Kabel durch die Innenstadt verlegt werden. Am Tag vor dem Großereignis, das alljährlich Tausende von Gläubigen und Schaulustigen anzieht, sind 52 Lautsprecher punktgenau zu platzieren: an Laternen und Fensterläden, auf Balkonen oder in Mauernischen. In einer Höhe von mindestens vier Metern und so sicher verankert, dass keine Gefahr besteht. Dazu muss die Erlaubnis der Hausbesitzer eingeholt werden, und Friedrich Salzbrenner erinnert sich an eine besonders strenge ältere Dame, bei der er jedes Jahr mit einem Blumenstrauß vorbeikommen musste, um ihren Segen zu erhalten.
Die Tücke der Residenz-Fenster Die Wattzahl jedes Lautsprechers ist individuell auf den jeweiligen Standort ausgerichtet, damit die
Beschallung optimal funktioniert. Schwierig wird die Akustik am Domplatz: "Hier müssen wir die Lautsprecher schräg stellen, damit die Klangwellen nicht auf die Fenster der Residenz treffen und Rückkopplungen entstehen", erklärt Friedrich Salzbrenner. Er kann sich noch gut an den Tag im Jahr 1967 erinnern, als er sechs Wochen vor Fronleichnam einen Anruf aus dem Erzbischöflichen Ordinariat erhielt: "Sie müssen übernehmen", hieß es, denn das alte Team hatte sich nach dem Katholikentag 1966 aufgelöst. Also saß jetzt Friedrich Salzbrenner, der schon an seinem Wohnort Hallstadt "Prozessionserfahrung" mit sieben Umzügen im Jahr gesammelt hatte, am legendären Regietisch, von dem aus der Bayerische Rundfunk von 1945 bis 1951 sein "Studio Bamberg" steuerte.
Als dieses aufgelöst wurde, hatte Bischofssekretär Paul Kupfer die technische Ausstattung erworben und vom Dominikanerbau, wo das Studio Bamberg sein Domizil hatte, ins Ordinariatshaus am Domplatz geholt. Funkmeldeingenieur Josef Gandl und fünf Bamberger Elektrohändler machten die Geräte fit für Fronleichnam. 1972 zog das "Prozessionsstudio" vom Ordinariatshaus in den Dom um. Längst schon steuert Salzbrenner die Technik über eine moderne Anlage; das alte Regiepult steht heute im Museum des Bayerischen Rundfunks in München.
"Früher hatten wir auf der Strecke 30 Telefonstationen, an denen uns die Alumnen über den aktuellen Stand der Prozession auf dem Laufenden hielten", erinnert sich Salzbrenner.
Heute geht alles über Handys und Monitore: "Wenn der Domkapellmeister bei der Station am Maxplatz die Arme hebt, weiß ich: Jetzt muss ich den Domchor zuschalten." Denn während Gesänge und Gebete entlang des Prozessionsweges aus dem Dom kommen, wird an den Altären vor Ort musiziert und gesprochen.
Durchschnittene Leitungen Unzählige Geschichten kann Friedrich Salzbrenner aus den Jahrzehnten erzählen, in denen die Prozession nur dreimal ausfiel. Gestohlene Lautsprecher, durchschnittene Leitungen, fehlende Vorbeter - alles hat der Tonmeister schon mitgemacht. Er selbst konnte zwar die Fronleichnamsprozession nie anschauen, aber in seinem Studio im Dom ist er noch immer mit ganzem Herzen dabei: "Wenn alles ohne Pfeifen und Brummen in den Mikrofonen und Lautsprechern ausgeht, bin ich stolz und zufrieden." Bis zum nächsten Jahr.
Nach dem Gottesdienst am Domplatz (8 Uhr) zieht die Fronleichnamsprozession am Donnerstag, 19. Juni, gegen 8.45 Uhr aus und nimmt den etwa zweistündigen Weg durch die Innenstadt mit Altären in der Markusstraße und am Maxplatz.